Süddeutsche Zeitung

Marsforscherin:"Sonst wird man verrückt"

Lesezeit: 4 min

Christiane Heinicke hat als einer von zwölf Menschen ein Jahr lang im Auftrag der Nasa einen Mars-Aufenthalt simuliert. Sie hat auf vieles verzichtet und ertragen - und plant doch schon wieder die nächste Reise.

Interview von Kim Lucia Ruoff

Als sie auf die Erde zurückkehrte, bekam Christiane Heinicke ein ganz besonderes Geschenk: eine Schale Himbeeren. Das Foto von ihr und den Himbeeren war in den Tagen danach immer wieder zu sehen. Schließlich hatte sie gerade an einem spannenden Projekt teilgenommen, das irgendwie auf der Erde stattfand, irgendwie aber auch nicht - jedenfalls aber in einer Gegend, in der Himbeeren ganz sicher nicht zu bekommen waren. Zwölf Monate war Heinicke in einer weißen kuppelförmigen Marsstation, die auf einem Vulkanhang auf Hawaii stand. Drei Männer und drei Frauen simulierten dort im Auftrag der US-Weltraumbehörde Nasa und der Universität Hawaii ein Jahr lang das isolierte Leben in einer Raumstation. Seit gut einem Monat ist Heinicke wieder zurück in Deutschland - zur Ruhe gekommen ist sie aber nicht.

Gibt es etwas, das Sie jetzt von Ihrem Leben in der Mars-Simulation vermissen?

Christiane Heinicke: Ich vermisse es, mit meinen Freunden zusammenzuleben. Inzwischen sind wir alle wieder auf verschiedenen Kontinenten verstreut. Und: Hier gibt es keine Lava-Röhren, in die ich mal spontan hineinklettern könnte. Den Raumanzug vermisse ich dagegen weniger.

Sie wurden mit den Worten "Willkommen zurück auf der Erde" begrüßt. Hat es sich denn wirklich so angefühlt, als seien Sie auf einem anderen Planeten?

Von der psychologischen Seite her war die Isolation für uns tatsächlich so, wie sie auch auf einem anderen Planeten wäre. Ich meine, wir haben in diesem Jahr keine andere Menschenseele gesehen und auch per E-Mail nur zeitverzögert mit der Außenwelt kommuniziert. Dazu kam die landschaftliche Umgebung. Das Terrain war rot, trocken, es gab dort keine Vegetation.

Wie auf dem Mars.

Ja, aber das Gefühl, auf dem Mars zu sein, hatten wir trotzdem nicht wirklich. Wir konnten ja immer noch den Himmel sehen, gelegentlich ein paar Wolken und ein bisschen Regen.

Warum nur lässt man sich ein Jahr lang mit fünf Fremden auf 100 Quadratmetern einsperren?

Zum einen wollte ich wissen, ob ich das durchhalte, ob ich das machen kann: nach einem Jahr rauszukommen und niemandem den Schädel eingeschlagen zu haben. Zum anderen war es eine großartige Möglichkeit, zur Weltraumforschung beizutragen. Gewissermaßen haben wir das sogar im Schlaf gemacht - das ist schon cool.

Im Schlaf?

Wir hatten Fitnessarmbänder, die unsere physische Aktivität und unseren Herzschlag aufgezeichnet haben. Na ja, und die haben wir eben auch nachts getragen.

Sie haben ja zum Glück niemandem den Schädel eingehauen. Streit gab es aber trotzdem, oder?

Es gab mal schwierige Phasen, gar keine Frage. Zwischen Januar und Mai war der Gruppenzusammenhalt doch etwas angeschlagen. In dieser Phase hatten wir viele Diskussionen über die immer gleichen Themen: Ist es wirklich sicher, nach draußen auf die Lava-Felder zu gehen? Sollte man eine Schutzbrille tragen, wenn man den Akkubohrer verwendet? Das hat irgendwann sehr genervt.

Wie wurden die Konflikte gelöst?

Ein Konflikt an sich ist kein Problem, jeder streitet sich mal. Es war nur wichtig, Probleme immer frühzeitig anzusprechen. Ganz konkret: Manche von uns sind dann eben nicht mehr raus auf die Lava-Felder, und den Akkubohrer haben wir einfach nur dann ohne Schutzbrillen benutzt, wenn die anderen gerade nicht zugeschaut haben. Die Frage für die Nasa wird sein: Wie stellt man eine Crew zusammen, die Probleme und Konflikte angehen kann, ohne dass die Gruppe dann auseinanderfällt und ihre Leistungsfähigkeit verliert? Ich bin schon sehr stolz, dass wir trotz allem bis zum Ende zusammen gearbeitet haben.

Welche soziale Rolle haben Sie in diesem Team eingenommen?

Die des Zuhörers vielleicht. Zumindest war ich dafür bekannt, dass ich relativ wenig sage. Ich habe einen ruhigen Überblick und versuche dann, dafür zu sorgen, dass die Diskussionen sich auf das Wesentliche konzentrieren und sich nicht in Nebensächlichkeiten verlaufen.

In der Station konnte man fünf Sekunden geradeaus laufen, bevor man gegen eine Wand knallte. Wie verbringt man da seine Freizeit?

Ich habe versucht, Französisch zu lernen und mir Mundharmonika beizubringen. Ein Instrument zu spielen entspannt. Das Laufband habe ich auch regelmäßig benutzt, aber nur, weil ich meinen Bewegungsmangel kompensieren musste - sonst wird man verrückt.

Haben Sie auch mal darüber nachgedacht, die Mission abzubrechen?

Theoretisch hatten wir die Möglichkeit, jederzeit abzubrechen, auch ohne Angabe von Gründen, das war uns vertraglich zugesichert. Auf der anderen Seite haben die beteiligten Wissenschaftler natürlich gehofft, dass wir durchstehen. Freunde und Familie standen hinter mir und die ganze Welt schaute auf uns - so richtig hatten wir die Möglichkeit dann also doch wieder nicht. Ich habe es jedoch nie in Erwägung gezogen, aufzugeben.

Sie mussten viele Entbehrungen auf sich nehmen, nun hatten Sie gut einen Monat Zeit, vieles nachzuholen. Was davon haben Sie schon gemacht?

Abgesehen von den Himbeeren, die ich ja gleich am Ausgang bekommen hab', war ich mittlerweile auch schon ausgiebig baden - obwohl ich mich an den Gedanken auch erst einmal gewöhnen musste. Wasser war kostbar im Habitat, das musste man sparen. Und dann sollte ich da mit meinem verschwitzen Körper rein? Letztes Wochenende haben wir außerdem gegrillt, endlich. Mit einem richtigen, festen Steak, keine vorgeschnittenen gefriergetrockneten Fleischwürfel.

Jetzt wartet schon das nächste Projekt auf Sie, womöglich: Sie haben sich für die Initiative "Die Astronautin" beworben, die 2020 die erste deutsche Frau ins Weltall schicken möchte. Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein?

Ich hoffe doch, dass ich gute Chancen habe. Gerade bei den Einschätzungen zum Gruppenverhalten habe ich keine Bedenken. Nach der Simulation möchte ich jetzt endlich richtig ins All.

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Quelle:
SZ vom 27.09.2016
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