Marktkirche in Hannover:Das Fliegenfenster

Marktkirche in Hannover: Markus Lüpertz sagt, er habe mit Gerhard Schröder eine "geistige Auseinandersetzung" über das Fenster geführt (Entwurf oben).

Markus Lüpertz sagt, er habe mit Gerhard Schröder eine "geistige Auseinandersetzung" über das Fenster geführt (Entwurf oben).

(Foto: Markus Lüpertz/VG Bild-Kunst, Bonn 2018)
  • Altkanzler Gerhard Schröder möchte der Marktkirche in Hannover ein neues Fenster schenken.
  • Entworfen wurde das Fenster von Schröders gutem Freund, dem Künstler Markus Lüpertz.
  • Eigentlich hätte das etwa 13 Meter hohe Lüpertz-Fenster dieser Tage bereits eingebaut werden sollen - doch da ist noch diese lästige Sache mit dem Stiefsohn des Architekten Dieter Oesterlen.

Von Martin Zips

Es ist schon ärgerlich, wenn man ein bisschen Freude machen möchte, und dann kommt einem so etwas dazwischen. Altkanzler Gerhard Schröder möchte der Marktkirche in Hannover ein neues Fenster schenken, das sein Freund Markus Lüpertz entworfen hat. Lüpertz ist nicht irgendwer. Er ist einer der bekanntesten deutschen Künstler der Gegenwart und war lange Jahre Rektor an der Kunstakademie Düsseldorf. Das Münchner Haus der Kunst plant für 2019 eine große Lüpertz-Schau. Man kann es vielleicht so sagen: Wenn Lüpertz und Schröder mit einem Geschenk auftauchen, kann man nicht einfach "Nein" sagen. Das wäre ja Wahnsinn.

Der Kirchenvorstand und die Pastorin der Marktkirche waren von dem Geschenk auch gleich sehr angetan. Schröder, 74, ist Ehrenbürger seiner Heimatstadt Hannover und auch mit der mittlerweile fünften Ehefrau weiterhin evangelisch. Eigentlich hätte das etwa 13 Meter hohe Lüpertz-Fenster dieser Tage bereits eingebaut werden sollen - gerechnet hatte man in der Marktkirche damit zum Reformationstag am 31. Oktober. In der Südseite des aus dem 14. Jahrhundert stammenden und im Zweiten Weltkrieg stark beschädigten Kirchengebäudes wäre es, wenn es allein nach Schröder, Lüpertz und dem Kirchenvorstand gegangen wäre, ganz wunderbar aufgehoben. Lüpertz sagt: Kirche sei für ihn "eine Möglichkeit zu glauben". Und Glauben sei wichtig, "sonst wird das Leben rein materialistisch" und "nur von Misstrauen bestimmt".

Doch da ist noch diese lästige Sache mit dem Stiefsohn des Architekten Dieter Oesterlen (1911 - 1994). Nach Oesterlens Plänen war die Marktkirche nach dem Krieg neu aufgebaut worden. Sein Stiefsohn Georg Bissen, ein in Japan registrierter Jurist mit dem Schwerpunkt "Banking and Finance", hat die Urheberrechte an der baulichen Gestaltung der Marktkirche geerbt - und sein Veto gegen das Fenster eingelegt. Ach ja, die Erben.

Via Mail erklärt Bissen, es gehe ihm um nichts anderes als um die "sakrale Atmosphäre" des Gotteshauses. Im schriftlichen Nachlass habe sein Stiefvater seinen Leitgedanken von der "großartigen Einfachheit und Geschlossenheit des Raumes" festgelegt. Lüpertz hingegen habe die Absicht, "diese Atmosphäre zu verändern". Und zwar mit einem sehr bunten Fenster, auf dem auch riesige Fleischfliegen zu sehen sind. Fleischfliegen?

Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung nennt Markus Lüpertz seine Fliegen "ornamental, aufregend und spannend". Er erzählt von der Legende, laut der Martin Luther auf der Wartburg eine ihn störende, geradezu teuflische Fliege mit einem vollen Tintenfass beworfen habe. "Den Tintenfleck kann man heute noch auf der Wartburg sehen, der wird immer wieder erneuert", schwärmt Lüpertz. Zudem werde der Teufel "in der Religion als ,Herr der Fliegen' bezeichnet". Was also spreche da gegen seinen Entwurf, der dieser Tage von einer hessischen Glasmanufaktur umgesetzt werde und spätestens Anfang des kommenden Jahres die Marktkirche schmücken könnte? Gespräche mit der Kirchengemeinde jedenfalls habe er bereits viele geführt, sagt Lüpertz. "Ich bin 77, und natürlich ist das ein bisschen mühsam. Aber ich bin ein umstrittener Künstler, und da musst du zu den Leuten fahren und mit ihnen reden und sie überzeugen." Und: "Es ist nicht unbedingt so, dass die Leute ,Halleluja' schreien, wenn sie meinen Namen hören. Das macht mich aber auch nicht bitter. Das ist halt so."

Die 100 000 Euro sollen allein aus Vortragshonoraren stammen

Den ein oder anderen Bedenkenträger in der Kirchengemeinde jedenfalls dürfte es tatsächlich beruhigt haben, dass Lüpertz neben den Fleischfliegen auch noch den Reformator höchstselbst in seinem Fensterentwurf miteingebaut hat. "Die Luther-Figur unten ist mindestens fünf Meter hoch, und keine der Fliegen erreicht diese Dimensionen", erklärt der als junger Mann zur katholischen Kirche konvertierte Vater von fünf Kindern. Durch einen vor dem Augsburger Rathaus physisch ausgetragenen Kampf mit einem Gegner seiner Aphrodite-Skulptur war Lüpertz vor einigen Jahren auch außerhalb der Kunstszene bekannt geworden.

Die 100 000 Euro jedenfalls, die der Altkanzler für Herstellung und Einbau springen lassen möchte, sollen allein aus Vortragshonoraren stammen, so wird versichert. Ist es Geld aus Russland? "Ich bitte Sie", stöhnt Lüpertz, der gerade im Berliner Hotel Adlon unter Schröders Hochzeitsgästen weilte. "Was soll ich denn darauf antworten?" Auch Schröders Büro bleibt eine Antwort schuldig.

Lüpertz hat schon viele Kirchenfenster entworfen. Für die hübsche Dorfkirche in Landsberg-Gütz zum Beispiel oder die Kathedrale von Nevers (Zentralfrankreich). Auch für die Marienkirche in Lippstadt. Einige Entwürfe wurden umgesetzt. Im Kölner Dom allerdings kam im Jahr 2007 sein Kollege Gerhard Richter zum Zug, der, wie Lüpertz etwas gehässig anmerkt, einfach nur farbige Plättchen "mit einem Leim auf die Glasscheiben klebte und somit für sich die Moderne pachtete. Übrigens: Die Garantie für diesen Leim beträgt 25 Jahre." Für eine Kirche nicht viel. In der Kunstszene, sagt Lüpertz, gelte Richter dennoch als "der progressive Moderne", während er als "altertümlicher Bleiverglaser" gesehen werde. Versteht doch kein Mensch.

Die Wahrnehmung von bildender Kunst sei "zum Event verkommen"

Das Fliegen-Fenster jedenfalls ist ihm wichtig. Dafür will er notfalls vor Gericht ziehen. Auch der Kirchenvorstand prüfe juristische Schritte, so Pastorin Hanna Kreisel-Liebermann. "Noch aber setzen wir auf Dialog." Der Stiefsohn des Architekten allerdings diskutiert nicht mehr. Der Lüpertz-Entwurf, meint Georg Bissen, kollidiere "bewusst" mit der "schöpferischen" Grundidee. Geht es ihm auch um Geld? "Ich habe mir in dieser Sache schon viele Beleidigungen anhören müssen", klagt er. "Auch von Herrn Lüpertz. Dass er jetzt meint, es würde mir um Geld gehen, liegt nun völlig neben der Sache und spiegelt vielleicht seine Gedankenwelt wider. Ich werde - wenn die Kirche ein Gerichtsverfahren haben will - Kosten für Gutachten und Gerichtsverfahren gerne aus eigener Tasche bezahlen, um das Werk meines Stiefvaters zu bewahren."

Der sehr leidenschaftlich agierende Lüpertz jedenfalls sieht sich durch die Angelegenheit nur in seiner Ansicht bestätigt, in einer Welt zu leben, "die sich gegenseitig knechtet mit Politik und Pädagogik". Jeder passe nur noch darauf auf, dass der andere das Richtige sage. "Eine Art Inquisition." Da passe es nur zu gut, "dass jetzt der Stiefsohn eines längst verstorbenen Kirchenarchitekten mein Kirchenfenster verhindern will." Zudem, so klagt Lüpertz weiter, sei die Wahrnehmung von bildender Kunst "zum Event verkommen". Da müsse man nur in den Louvre gehen und sich vor die Mona Lisa stellen: "Ein mittelmäßiges Bild. Die Leute stehen täglich in Scharen davor, weil es eine Legende ist. Am Ende haben wahrscheinlich die meisten die Kunst nicht begriffen, sondern eine Devotionalie abgehakt." So bleibe ihm, dem Künstler, nur der Glauben.

Sonst wäre das Leben doch ziemlich sinnlos. So sinnlos wie ein Fliegenleben.

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