Diebstahl in Berlin:Der Gang der Goldmünzendiebe

FILE PHOTO - A 2007 Canadian $ 1,000,000 Big Maple Leaf

Bis heute ist die gestohlene "Big Maple Leaf" nicht wieder aufgetaucht.

(Foto: Heinz-Peter Bader/Reuters)
  • Die sogenannte Maple Leaf, eine 100 Kilogramm schwere Goldmünze wurde im März 2017 aus dem Berliner Bode-Museum gestohlen.
  • Seit Beginn diesen Jahres läuft der Prozess gegen drei Tatverdächtige vor dem Berliner Landgericht.
  • Ein Forensiker erklärt nun vor Gericht, wie er die Täter mit einer Simulationstechnik aus Computerspielen zu überführen will.

Verena Mayer, Berlin

Der S-Bahnhof Hackescher Markt in Berlin, im März 2017. Drei vermummte Männer gehen um drei Uhr morgens die Treppe hoch, sie tragen dunkle Arbeitskleidung und Rucksäcke. Mehrere Überwachungskameras zeichnen auf, wie die drei in einer Reihe auf das Ende des Bahnsteigs zusteuern, sie wirken sehr fokussiert, so, als hätten sie etwas Großes vor. Heute weiß man, was das war. Die drei hangelten sich über die Gleise zum Bode-Museum, stiegen durch ein Fenster ein und nahmen die Maple Leaf mit, eine hundert Kilogramm schwere Goldmünze.

Deswegen stehen seit Anfang des Jahres drei junge Männer vor dem Berliner Landgericht, Ahmed, Wayci und Wissam R., ein Brüderpaar und ein Cousin aus einer stadtbekannten Großfamilie. Die drei sagen nichts, schon gar nicht zu den Vorwürfen der Anklage. In schicken Jeans und Turnschuhen sitzen sie zwischen ihren Anwälten und gucken freundlich in den Saal. Sind diese drei die vermummten Personen auf den Videos aus dem S-Bahnhof? Und wenn ja, wie weist man das nach?

Das soll der Gutachter Dirk Labudde tun, Professor für allgemeine und digitale Forensik in Mittweida. Labudde wurden die Videos aus dem S-Bahnhof vorgelegt, dazu Ganzkörper-Fotos, die die Polizei aus mehreren Perspektiven von den Angeklagten gemacht hatte.

Labudde, der mit seinem Dutt und der entspannten Haltung auch in einem Start-up arbeiten könnte, erklärt den Prozessbeteiligten am Donnerstag erst einmal seine Methode. Die zweidimensionalen Fotos der Angeklagten rechnet er auf dem Computer um in dreidimensionale Körper. Und diese Modelle legt er so über die Videos der Männer vom S-Bahnhof, dass man beides vergleichen und eine Aussage darüber treffen kann, ob Modelle und Personen übereinstimmen.

Mit der Technik wurde Gollum aus "Herr der Ringe" modelliert

Von Fotos digitale Simulationen zu erstellen und daraus auf echte Täter zu schließen - so etwas ist Neuland in einem deutschen Gerichtssaal. Diese Technologie werde normalerweise in Computerspielen angewandt, sagt dann auch Labudde, die erste Figur, die damit modelliert wurde, sei Gollum aus "Der Herr der Ringe" gewesen. Von Labuddes Gutachten hängt viel ab. Denn bislang hat der Prozess über den Diebstahl der Goldmünze wenig Handfestes zutage gebracht. Das Einzige, was man mit den R.s in Verbindung bringen kann, sind Goldspuren in Turnschuhen und einer Jacke.

Zeugen gibt es nicht, was daran liegt, dass der einzige Wächter des Museums im Keller war, als die Täter im Münzkabinett die Vitrine zerschlugen und die Münze mit einem Rollbrett abtransportierten. Und es hat auch damit zu tun, dass sich in Verfahren gegen arabische Clans die Belastungszeugen nicht gerade vordrängen. Aus anderen Prozessen weiß man, dass Aussagen sehr oft zurückgezogen werden oder Leute lieber selbst eine Strafe riskieren als sich vor Gericht zu äußern.

Doch in diesem Fall hatten die Ermittler Glück: Von den Tätern gibt es nämlich mehrere Videos. Die drei hatten bereits in zwei Nächten zuvor den S-Bahnhof ausgekundschaftet. Auf den Kamerabildern sieht man die drei, wie sie mit einer Plastiktüte in der Hand die Treppen hochlaufen, Gleise inspizieren, sich auf eine Bank setzen und beratschlagen. Sie tragen Jeans und Turnschuhe und halten sich nur notdürftig die Hände oder einen Schal vors Gesicht. Labudde klappt seinen Computer auf und projiziert ein Powerpoint an die Wand des Gerichtssaals. Darauf Bilder der Männer vom S-Bahnhof, die übersät sind mit grünen und weißen Linien und Strichen.

Gang und Körperhaltung der Männer stimmen überein

Labudde hat die Bewegungen der drei Männer auf den drei Videos vermessen, ihre Körper- und Schulterhöhe, er hat die Art analysiert, wie sie ihre Knie abknicken, Füße und Schultern bewegen, sich drehen. Die Treppe sei dabei von Vorteil gewesen, sagt Labudde, denn beim Stiegensteigen sei der individuelle Gang besonders gut sichtbar. Sein Fazit: Gang und Körperhaltung stimmen in allen drei Nächten überein, es sind also drei Mal dieselben Männer. Und diese Männer stimmen auch mit den Simulationen überein, die aus den Fotos von den drei Angeklagten gemacht wurden.

Für den Gutachter heißt das: Die Männer auf den Videos müssen Ahmed, Wissam und Wayci R. sein. Doch digitale Technologien in der Forensik sind das Eine. Das Andere ist es, aus Computersimulationen etwas abzuleiten. "Was sagt das aus?", fragt dann auch die Richterin. Also: Auf wieviele andere reale Personen würde ein digital errechneter Mensch passen? Labudde sagt, es sei nicht so wie bei einem Fingerabdruck, der einmalig sei. Aber es gebe eine Ähnlichkeit. "Es kommt ein Zahlenwert heraus, der eine Wahrscheinlichkeit betrifft."

Er habe dieselbe Methode an zwölf Mitarbeitern ausprobiert, und alle Vergleiche hätten übereingestimmt.Über Stunden muss Labudde Fragen beantworten. Wie er gemessen hat, welche Qualität die Kamerabilder hatten, welche Körpermerkmale er berücksichtigt hat. Dennoch bleibt vieles offen. Etwa, wie zuverlässig solche Berechnungen sind und welche Beweiskraft sie am Ende haben.

Nicht zuletzt kann man sich auch ethische Fragen stellen, bei einem Verfahren, das aus der Vermessung von Körpern Schlüsse auf einen Täter ziehen will, ist man schnell auf historisch belastetem Terrain. Immer wieder muss Labudde einräumen, dass das alles doch sehr neu sei oder es noch keine belastbaren Studien gebe. Andererseits bleibt dem Gericht nicht viel Anderes übrig als auf die Kamerabilder zu vertrauen. Die können immerhin nicht ihre Aussage zurückziehen.

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