Süddeutsche Zeitung

Mandarin:Redebedarf

400 Millionen Chinesen können kein Mandarin. Das soll sich ändern - denn für Peking war die Verbreitung des Hochchinesischen immer auch ein politischer Akt.

Von Kai Strittmatter

Im Jahr 2012 war Xi Jinping, Chinas Parteichef, noch der Neue, und hielt erstmals vor landesweitem Publikum eine Rede. Hut ab, hieß es dann in vielen Kommentaren: nicht schlecht, das Chinesisch des Neuen. Also das Hochchinesisch, auch Mandarin genannt. Tatsächlich, ein Parteiführer, der makellos Hochchinesisch spricht, für die Chinesen war das etwas Besonderes. Von Xis Vorgängern waren sie alle Arten von Dialektfärbungen gewohnt, am schlimmsten war es bei Deng Xiaoping, der nie richtig von seinem Sichuan-Dialekt loskam.

70 Prozent aller Chinesen sprechen Hochchinesisch. Das hat das Bildungsministerium soeben verkündet und sich Mühe gegeben, das wie eine Erfolgsmeldung aussehen zu lassen. Dabei ist es eine auf den ersten Blick erstaunliche Zahl: 400 Millionen Chinesen sprechen es also heute noch nicht. Vor allem auf dem Land, vor allem unter den Minderheiten: Dort sind es nur 40 Prozent.

Auf den zweiten Blick sind die Zahlen nicht ganz so verwunderlich. Das moderne Hochchinesisch, offiziell "putonghua" - etwa: "Standardsprache" - ist eine Schöpfung des Jahres 1956. Es basiert auf dem Pekingdialekt und auf der Sprache der alten Beamtenelite, also der Sprache der Mandarine. Nun hatten in China nicht nur Minderheiten wie Uiguren und Tibeter immer ihre eigene Sprache - auch unter den Han-Chinesen selbst gibt es regionale Sprachgruppen, die offiziell "Dialekte" genannt werden, in Wirklichkeit aber eigene Sprachen sind: Ein Pekinger versteht praktisch nichts, wenn Shanghaier loslegen, und beiden geht es so, wenn Kantonesen sprechen. Verständigung erfolgt oft über die Schrift, denn die Schriftzeichen sind überall gleich.

Für Peking war die Verbreitung des Hochchinesischen immer ein politischer Akt, ein Instrument zur "Einigung" des Landes. "Die vereinheitlichte nationale Sprache ist der entscheidende Faktor bei der Staatswerdung", sagt Yao Xishuang, Direktor der Abteilung zur Anwendung von Sprache und Schrift im Bildungsministerium. Sein Ministerium veranstaltet jedes Jahr im September eine "Woche zur Verbreitung des Hochchinesischen". Yaos Behörde startete ihre Kampagnenwoche in diesem Jahr in der von vielen Minderheiten bewohnten Provinz Guangxi, die Abschlussveranstaltung fand in Haidong in der Provinz Qinghai statt, von hier aus reist man in die Tibetergebiete. In Tibet und Xinjiang gibt es immer wieder Berichte von Widerstand gegen die Verdrängung der einheimischen Sprachen durch das Chinesische in den Schulen. Tibeter und Uiguren fürchten, Peking wolle sie so kulturell assimilieren. Aber auch in han-chinesischen Gebieten gibt es Ressentiments gegen das Sterben der Dialekte. Als die Regierung 2010 die Moderatoren des Lokalfernsehens in Guangdong auf Mandarin einschwören wollte, da gingen Tausende auf die Straße und protestierten für den Erhalt des Kantonesischen.

Die Regierung lässt sich nicht beirren. Ministerialbeamter Yao Xishuang winkt mit dem 13. Fünfjahresplan: Bis 2020, so hat die Partei darin verfügt, müssen 80 Prozent der Chinesen Mandarin beherrschen. Wenigstens grob. Denn so fließend und makellos wie der Parteichef - auch die Zahl stammt vom Bildungsministerium - spricht heute nur jeder zehnte Chinese.

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Quelle:
SZ vom 21.09.2016
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