Süddeutsche Zeitung

Malaysia:Nackte Touristen für Erdbeben verantwortlich gemacht

Touristen machen am heiligen Mount Kinabalu auf Borneo Nacktfotos - dann folgt ein Erdbeben. Priester und Politiker sehen da einen Zusammenhang.

Von Arne Perras, Singapur

Der Schamane fordert jetzt Opfer, um die Geister am Berg zu besänftigen. Er sagt, die zehn Touristen aus der Fremde müssten zehn Büffel bringen, damit alles wieder in Ordnung komme. "Der Wächter des Berges ist sehr zornig", sagt Tindarama Aman. Er muss es wissen, denn er ist ein Bobolian. So heißen die Hohepriester aus dem Volk der Dusun. Sie leben am Fuß des Mount Kinabalu, dem höchsten Berg der Inselwelt Südostasiens.

In den Dörfern der malaysischen Provinz Sabah, im Norden Borneos, ist der Geisterglaube noch sehr lebendig. Das gilt für die meisten Regionen der Tropeninsel, wo das Leben seit Jahrtausenden durchdrungen ist von animistischen Vorstellungen, die weder das Christentum noch der Islam ganz verdrängen konnte. Und der Mount Kinabalu ist den Einheimischen heilig, weil dort die Seelen ihrer Verstorbenen ruhen. Sie machen auf dem Gipfel Rast auf ihrer langen Reise ins ewige Jenseits, den sogenannten "Libabou".

Touristen machten sich lustig

Doch der Mount Kinabalu ist nicht nur Sitz reisender Geister, er ist auch ein Magnet für Touristen. Der Staat Malaysia hat die artenreiche Region für Besucher aus aller Welt erschlossen, und sie kommen in Scharen. Jedes Jahr lockt der Koloss Tausende Wanderer und Bergsteiger nach Borneo. Wer den 4095 Meter hohen Berg in einer zwei- bis dreitägigen Tour bestiegen hat, kommt meist voller Begeisterung wieder herunter. Denn auf der Wanderung durchquert man zahlreiche Klima- und Vegetationszonen. Faszinierende Natur.

Am vergangenen Freitag allerdings war alles ganz anders, da erschütterte ein heftiges Erdbeben der Stärke 5,9 den Berg. Es hagelte Felsen, und der Mount Kinabalu verwandelte sich in eine tödliche Falle. Mindestens 16 Menschen kamen ums Leben, viele waren Schüler aus Singapur. Seit dem Wochenende trauern Malaysia und Singapur. Und dann platzten plötzlich irritierende Meldungen von westlichen Touristen dazwischen, die kurz vor dem Beben auf dem Berg waren. Sie posteten Fotos von ihrem Ausflug in sozialen Netzwerken. Und das provozierte Wut.

Im Internet kann man mehrere dieser Fotos finden, entkleidete Menschen posieren da für die Kameras, mal stehen sie auf einem Felsen mit einem Meer aus Wolken im Hintergrund, mal ist hinter ihnen der majestätische Gipfel zu sehen. Mal tragen sie noch Höschen und BH, mal gar nichts mehr. Warnungen eines einheimischen Führers, dies aus Rücksicht auf die Heiligkeit des Berges zu unterlassen, ignorierten sie offenbar. Angeblich nannten sie ihn blöd und sagten, er könne zur Hölle fahren.

Respektlosigkeit soll für Beben verantwortlich sein

Die Einheimischen sehen diesen Akt als Sakrileg, sie sind überzeugt: Die Besucher haben die Geister auf dem Berg damit böse beleidigt. Aber nicht nur das: Weil schon kurz nach den Nacktszenen die Erde in Borneo bebte, weil der Berg auf einmal tödliche Steine schickte, konnte dies aus Sicht vieler Einheimischer nur eines bedeuten: Die Geister zürnten den Menschen und ließen zur Strafe die Erde beben.

Die Wut über die Touristen geht inzwischen weit über Sabah hinaus, im Netz schaukelt sie sich hoch. Manchmal findet sich sachliche Kritik, die dazu mahnt, fremde Kulturen zu achten. Doch manchmal gleiten die Kommentare auch in wüste Beschimpfungen und Drohungen ab, so wie auf der Facebook-Seite eines Kanadiers, der Bilder von dem Ausflug postete. Dort scheint sich jetzt auch tiefer Hass auf die Freizügigkeit westlicher Kultur abzureagieren. Der stellvertretende Ministerpräsident von Sabah, Joseph Pairin Kitingan, verbreitet nun ebenfalls die Ansicht, dass die Respektlosigkeit der Touristen für das Beben verantwortlich gewesen sei. "Als das Erdbeben geschah, war das wie eine Bestätigung unseres Glaubens. Eine Verbindung ist so gut wie sicher."

Behörden verweigern Touristen die Ausreise

Aus der zehnköpfigen Gruppe kommen zwei Touristen aus Kanada, zwei aus den Niederlanden und einer aus Deutschland. Das Auswärtige Amt bestätigte auf Anfrage, dass es mit dem Fall befasst sei und ein betroffener Staatsbürger konsularisch betreut werde. Die Behörden verweigerten den zwei Kanadiern die Ausreise und wollen offenbar auch verhindern, dass die anderen das Land verlassen. Wie die Borneo Post berichtet, sollen sich die beiden Kanadier jetzt einem lokalen Verfahren nach traditionellem Recht stellen, das vermutlich die Zahlung von Sogit einfordern wird, einer Art Wiedergutmachung.

Ob es die zehn Büffel sein werden, ist noch nicht sicher. Aber irgendeine Form der Beschwichtigung wird es vermutlich geben müssen, um die Dörfer und Geister rund um den Kinabalu wieder zu beruhigen.

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SZ vom 10.06.2015
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