Malaysia-Airlines-Flug MH370:Wie kann ein Flugzeug einfach so verschwinden?

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Sendet ein Passagierflugzeug nicht ständig Daten? Fluglotsen am Düsseldorfer Flughafen überwachen die Flugbewegungen. (Foto: dpa)

Keine Funksignale, kein Notruf, keine Wrackteile: Von der Malaysia-Airlines-Maschine fehlt fünf Tage nach dem vermuteten Absturz jede Spur. Dass eine riesige Boeing 777 einfach so verschwindet, gibt Rätsel auf. Dafür gedeihen Spekulationen und abstruse Theorien. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Jens Flottau

Auch am Donnerstag fehlte noch jede Spur von der verschwundenen Boeing 777 der Malaysia Airlines. Vietnamesische und malaysische Flugzeuge überflogen den Teil des Meeres, in dem auf chinesischen Satellitenaufnahmen schwimmende Gegenstände zu sehen waren, bei denen es sich um Trümmerstücke hätte handeln können. Offenbar ergebnislos. Die Angehörigen der 239 Menschen, die an Bord der Maschine waren, warten immer noch verzweifelt auf Nachrichten. Flug MH370: Fragen und Antworten zu einem Mysterium.

Wie ist es in unserem digitalen Zeitalter möglich, dass ein Flugzeug einfach so verschwindet?

Das ist möglich, weil viele Fluggesellschaften zwar mittlerweile ausgeklügelte Technologien nutzen, um die Verbindung zwischen dem Flugzeug und der Außenwelt aufrechtzuerhalten, diese aber oft nicht für vergleichsweise einfache Anwendungen wie das Orten der Maschine nutzen. Technisch wäre dies kein Problem, schließlich bauen viele Airlines mittlerweile selbst einen Breitbandzugang für das Internet ein, damit die Passagiere an Bord surfen oder live fernsehen können. Aber auch die Kombination von eher herkömmlichen Alternativen sollte ausreichen. Allerdings: Der Pilot kann den Transponder, der wichtige Signale sendet, einfach ausschalten.

Sendet so ein Flugzeug nicht ständig Daten? Wird es nicht laufend von Radar und Satelliten erfasst?

Nicht unbedingt. In gut erschlossenen Regionen über Land gibt es Radar, aber in vielen Gegenden auch nicht. Über Wasser ist grundsätzlich nur so lange Radar vorhanden, wie die Stationen an Land reichen, in der Regel nur einige Hundert Kilometer. Es gibt bereits Alternativen wie das sogenannte Automatic Dependent Surveillance-Broadcast (ADS-B), bei dem Transponderdaten über Satelliten übermittelt werden, aber dies ist nicht flächendeckend verfügbar. Wenn der Transponder ausgeschaltet ist, funktioniert aber auch ADS-B nicht.

Die letzten Worte des Piloten, die zu hören waren, lauteten offenbar: "Gute Nacht!" Einmal angenommen, er habe danach Suizid begehen und das Flugzeug zum Absturz bringen wollen: Kann ein Pilot sämtliche Kommunikationssysteme einfach abschalten?

Der Pilot kann den Transponder abschalten. Damit fällt die Möglichkeit weg, das Flugzeug auf dem Radar zu identifizieren. Auch ADS-B funktioniert dann nicht mehr. Allerdings müsste dann noch ein Radarziel, wenn auch unidentifiziert, auf dem Schirm der Fluglotsen zu erkennen sein. Ausnahme: Das Flugzeug sinkt stark und taucht damit in großer Entfernung von der letzten Station unter dem Radar ab.

Warum werden nicht alle Daten von Passagierflugzeugen fortlaufend in einer Daten-Wolke gespeichert?

Dies würde bedeuten, dass eine gigantische Menge von Daten ständig gesendet werden müsste, und zwar über Satelliten. Zwar ist das theoretisch machbar, aber es wäre für die Fluggesellschaften extrem teuer, denn sie müssten enorm große Satellitenkapazitäten reservieren. Die Industrie argumentiert, dass eine solche Übertragung in der Regel nicht nötig ist.

Es gibt Spekulationen, wonach Malaysias Militär die Boeing weit abseits der geplanten Route auf ihrem Radar hatte. Lässt sich ein Flugzeug mittels Radar nicht eindeutig identifizieren?

Das Militär hatte nur ein sogenanntes Primärradar zur Verfügung, bei dem zwar ein Punkt auf dem Schirm zu erkennen ist, aber nicht klar wird, um welches Flugzeug es sich handelt. Beim zivilen Radar können die Fluglotsen die Ziele nach Flugnummern identifizieren, außerdem wird auch die Flughöhe und die Geschwindigkeit angegeben. Das malaysische Militär hat lediglich erwähnt, dass es ein unidentifiziertes Radarziel in der Gegend gesehen hat. Es ist aber ungewiss, ob es sich dabei tatsächlich um die vermisste Boeing 777 handelte.

Neue Spekulationen besagen, das Flugzeug sei stundenlang weitergeflogen, in unbekannter Richtung. Angeblich hätten die Triebwerke Daten gesendet. Ist so etwas möglich?

Theoretisch ist das denkbar, allerdings haben der malaysische Verkehrsminister und Malaysian Airlines bestritten, dass es diese Daten gibt. Laut Malaysian Airlines hat die Airline die letzten automatisch gesendeten Daten von Flug MH370 am Samstag um 1:07 Uhr empfangen, rund 20 Minuten bevor der Kontakt mit der Maschine verloren gegangen war. Die Triebwerkshersteller, in diesem Fall Rolls Royce, bieten grundsätzlich ihren Kunden die Möglichkeit, noch während des Fluges operationelle Daten, die die Motoren betreffen, zu senden. Dadurch sollen mögliche Fehler frühzeitig erkannt werden. Im Fall eines Schadens können die Airlines schon vor der Landung Ersatzteile besorgen und somit wertvolle Zeit sparen. Allerdings nutzen nicht alle Fluggesellschaften diese Möglichkeiten. Manche Airlines argumentieren, dass die Triebwerke so zuverlässig sind, dass dieser Aufwand gar nicht nötig sei.

Verwegene Theorie: Könnte das Flugzeug an einem unbekannten Ort gelandet sein?

Es gibt zumindest keine Daten, die das derzeit eindeutig widerlegen. Allerdings ist dies extrem unwahrscheinlich, denn es dürfte nahezu unmöglich sein, die Landung eines Flugzeuges selbst an einem entlegenen Ort so lange zu verbergen. Selbst wenn es keine Augenzeugen gegeben hätte, wäre ein Objekt von der Größe eines Flugzeuges wohl über kurz oder lang mit Hilfe von Spionagesatelliten zu entdecken.

Bis Donnerstagabend gab es nicht die geringste Spur von dem Flugzeug, obwohl das Suchgebiet mittlerweile auf 93 000 Quadratkilometer ausgeweitet worden ist. Falls es ins Meer gestürzt ist - wie groß ist das Trümmerfeld?

All dies hängt stark davon ab, wie ein Flugzeug auf dem Wasser auftrifft. Schlägt es sehr steil auf, ist das Trümmerfeld sehr klein und es wird wenige große Komponenten geben. Ist der Winkel flacher wie im Fall von AF447 - dem im Juni 2009 abgestürzten Air-France-Flug von Rio nachParis-, bei dem die Piloten noch versucht haben, die Maschine über dem Atlantik abzufangen, ist das Trümmerfeld sehr viel größer. Auch im Fall MH370 hängt alles von der Unglücksursache ab und davon, wie die Piloten darauf reagiert haben. Oder ob sie überhaupt reagieren konnten: Sollte das Flugzeug in großer Höhe auseinandergebrochen sein, ist es wahrscheinlich, dass die Trümmer in großen Abständen voneinander auf dem Wasser aufgeschlagen sind.

Kann ein Flugzeug unter Wasser durch Satelliten geortet werden?

Satelliten können Objekte, die auf dem Wasser schwimmen, erkennen, nicht aber Objekte am Meeresgrund. Dafür müssten Schiffe direkt vor Ort suchen.

Wie lange kann der Flugschreiber unter Wasser geortet werden?

Der Flugschreiber sendet noch sehr lange ein Funksignal, das von Empfängern geortet werden kann. Im Falle des verunglückten Air-France-Fluges 447 lag der Flugschreiber in einer Tiefe von mehr als 4000 Metern und wurde zwei Jahre nach dem Absturz relativ intakt gefunden. Das Problem ist derzeit, dass die Behörden nicht wissen, wo sie nach dem Gerät suchen sollen. Streng genommen wissen sie offenbar noch nicht einmal mit absoluter Sicherheit, ob MH370 ins Meer gestürzt ist.

Es gibt tausend Spekulationen: technisches Versagen, Entführung, Attentat, Selbstmord. Manche vermuten sogar Aliens am Werk. Was ist die wahrscheinlichste Theorie unter Fachleuten?

Normalerweise wäre die Fachwelt knapp eine Woche nach einem Absturz schon mitten in der Diskussion über die Ursachen. Dieses Mal ist dies aber nicht so, denn der Fall MH370 ist zu rätselhaft. Die Theorien reichen von einer versuchten Entführung bis zu einer Explosion, durch die die Maschine vom Radar verschwunden wäre.

Gibt es Unglücksfälle, die mit dem Flug MH 370 vergleichbar sind? Gab es schon Passagierflugzeuge, die überhaupt nicht mehr gefunden wurden?

Es hat immer wieder Fälle gegeben, bei denen Wracks erst nach langer Zeit gefunden worden sind, doch bislang ist noch kein großes Passagierflugzeug auf Dauer verschollen geblieben. Zumindest hat es in den vergangenen 20 Jahren keinen Fall gegeben, der so lange so rätselhaft war. Auch beim Absturz des Air-France-Airbus im Jahr 2009 war relativ früh durch automatisch gesendete Fehlermeldungen klar, dass die Crew mit massiven Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Selbst das ist beim Flug MH370 nicht sicher.

© SZ vom 14.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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