1982 wurde Magdalena Kopp in Paris festgenommen, mit fünf Kilogramm Sprengstoff im Auto. Drei Jahre ging sie dafür ins Gefängnis. Draußen tobte Carlos und stellte der französischen Regierung ein Ultimatum für die Freilassung der Geliebten. Am Tag von Magdalena Kopps Hauptverhandlung, pünktlich um neun Uhr, explodierte eine Bombe in der Rue Marbeuf und tötete eine junge Frau. Neun Monate später ging eine Bombe im Bahnhof von Marseille hoch und eine im Schnellzug von Marseille nach Paris. In Berlin stürzte 1984 nach einem Anschlag die Decke des Maison de France ein und begrub einen jungen Mann. Elf Menschen waren es am Ende, die Carlos und Weinrich für Magdalena Kopps Freiheit sterben ließen. Doch Paris gab nicht nach.
Als Magdalena Kopp 1985 aus der Haft entlassen wurde, ging sie nach Hause. Nach Neu-Ulm, ins Elternhaus. Dann klingelte das Telefon. Es war Carlos. Sie kam zu ihm, wie immer. Er holte sie nach Damaskus, in ein Familienleben, das endlich so werden sollte, wie sich die Frau das Glück vorgestellt hatte. Sie wünschte sich "eine schöne Wohnung, ein Heim, Kind, Mann, schon so ein bisschen bürgerlich", sagte sie sehr viel später der Süddeutschen Zeitung: "Man hat ja nicht die Idee, als Revolutionär durch die Welt zu ziehen." Aber welche Idee sie hatte, das war ihr nie zu entlocken.
Ideologie jedenfalls war nicht ihre Antriebsfeder. Anders als die Kämpferinnen der RAF, von denen viele bis heute nicht sprechen, sich nicht distanziert haben, hat sie alles ausgepackt über Carlos, über Weinrich, die Kumpane. Über den Mord an einem alten deutschen Freund, dem Carlos in den Hinterkopf schoss, als er gerade am Spülbecken in ihrer Küche stand.
"Ich ließ mich beeindrucken von Carlos' Auftreten, von der Macht, die er ausstrahlte." Magdalena Kopp (1948 - 2015).
(Foto: Tim Wegner/laif)1995 kam sie zurück, unbestraft, unbehelligt
Sie hat alles preisgegeben - und sich damit den Schlüssel für ein bürgerliches Leben in Deutschland erkauft. Als eine Art Kronzeugin gegen die alten Terrorfreunde durfte sie dann in der Heimat leben. 1995 kam sie zurück, nach über 20 Jahren. Unbestraft, unbehelligt.
Schwaben war für sie Strafe genug. Sie kam aus einem Leben, in dem alles First Class war, voller Spannung, voller Aufregung, mit arabischen Diplomatenpässen versehen, zurück in ein Reihenhaus nach Neu-Ulm. Dort wartete ihre alte Mutter im Rollstuhl, sie musste die alte Dame nun pflegen. Und die stellte ihr nicht nur einfache Fragen. Was Magdalena geleistet habe in all den Jahren, wollte die alte Frau wissen. Und sie schämte sich für die Tochter.
Magdalena Kopp lebte fortan von Sozialhilfe, eine Rückkehr in ihren Beruf als Fotografin gelang ihr nicht. Zwischendurch arbeitete sie mit Kindern aus Migrantenfamilien. Ihr täglicher Weg ging von der Haustür zum Einkaufszentrum in der Vorstadt und zurück. Sie kochte für ihre Tochter Rosa und machte sich in deren Pubertät ernste Gedanken darüber, ob das Mädchen zu viel rauche. Ob sie sich mit den falschen Freunden abgebe. Einmal sagte sie: "Das sind ja fast Verbrecher."
Aus ihrem Mund wirkte das grotesk. So befremdlich wie ihr Geständnis, dass sie angeblich erst beim Aufschreiben ihrer Erinnerungen merkte, was sie da eigentlich getan hatte. Und bemüht wie die Ausflucht, sie habe ja schließlich niemanden umgebracht. Für sie aber waren elf Menschen getötet worden.
Die Tochter kehrte bei McDonald's ein
In Neu-Ulm war ihr dann aufgegangen, dass andere die Weltrevolution gewonnen hatten: "Wir haben damals ,Ho Ho Ho Chi Minh' geschrien, jetzt trinken sie in Hanoi Coca-Cola." Ihre Tochter Rosa ließ sich nicht davon abhalten, bei McDonald's einzukehren. Und dann hat auch noch ein Student angerufen. Er schreibe eine Diplomarbeit über internationalen Terrorismus und würde sie gerne befragen. Das war vor ein paar Jahren. Magdalena Kopp lachte kurz und kehlig auf: "Mein Gott, sind wir etwa schon Geschichte?"
Hie und da trat sie noch als Zeugin vor Gericht auf. Wie bei Johannes Weinrich in Berlin. Danach saß sie in einem Café in Charlottenburg. Sie blickte in den Berliner Regen hinaus, der Kajal um ihre Augen war verwischt, den roten Lippenstift hatte sie frisch nachgezogen, das Essen schmeckte ihr nicht. Sie seufzte. "Passado", sagte sie. Vergangen, verweht, vorbei die Zeit, als sie dachten, sie könnten die Welt ändern mit Sprengstoff und Bomben. "Passado", es klang rau und sehr entfernt. "Es ist zu Ende", sagte sie.
Für sie, für ihren alten Freund Weinrich. Auch für Carlos. Obwohl der es nicht wahrhaben will. Die östlichen Geheimdienste und auch die Araber haben Carlos nach der Auflösung des Ostblocks fallengelassen. Er sitzt in Haft in Paris, noch lange. Und tritt gern als Berufsrevolutionär vor Gericht auf. Noch immer großspurig. Mittlerweile verheiratet mit der nächsten Frau, seiner Verteidigerin Isabelle Coutant-Peyre. Auch sie hat er mit seinem Macho-Charme rumgekriegt.
Der Tochter Anna schreibt Carlos hin und wieder Briefe. Zum Geburtstag, zum Schulabschluss. Vermutlich wird sie jetzt wieder einen Brief erhalten. Ein Beileidsschreiben.