Die Frau wehte mehr in den Gerichtssaal, als dass sie ging. Blass und zierlich, wie ein Mädchen, gehüllt in einen langen beigen Trenchcoat. Ist sie mit dem Angeklagten verwandt, verschwägert, verlobt, fragte der Richter. "Nein", sagte sie leise. Sie hätte auch sagen können: Nur fast, aber das über Jahre. Doch sie sah den Mann auf der Anklagebank gar nicht an. Dort saß Johannes Weinrich, Terrorist, verantwortlich für den Tod von mindestens einem Dutzend Menschen. Sie war seine Geliebte. Bevor sein Chef kam und sie ihm wegnahm.
Die Frau machte von ihrem Recht Gebrauch, die Aussage zu verweigern. Nach fünf Minuten durfte sie wieder gehen. Sie ging, ohne sich umzudrehen. Sie wehte hinaus. Wie ein Blatt im Wind. Als hätte der Prozess gegen ihren Gefährten nichts mit ihr zu tun gehabt.
Magdalena Kopp ging aus dem Gerichtssaal in Berlin, so wie sie immer gegangen ist. So wie sie ihre Heimat verließ, die schwäbische Provinz Neu-Ulm. So wie sie ihre kleine Tochter verließ, für den Kampf im Untergrund, an der Seite von Johannes Weinrich. Doch auch den verließ sie, ohne ein Wort. Und das für einen Mann, den sie dann nicht wieder loswurde: Carlos, den Schakal, den meistgefürchteten Terroristen der Siebziger- und Achtzigerjahre. Ihn hat sie geheiratet.
Carlos sind mehr als 80 Menschen zum Opfer gefallen
Der Venezolaner Carlos war der Anführer einer internationalen linksterroristischen Bande, die sich in den Dienst arabischer Gruppierungen gestellt hatte und sich wild durch die Welt bombte. Carlos befehligte den Überfall auf die Ölminister der OPEC in Wien 1975, er war beim Anschlag auf den Sender "Radio Free Europe" in München dabei, organisierte das Attentat auf das "Maison de France" in Berlin, Anschläge auf Schnellzüge in Frankreich und den Bahnhof von Marseille. Insgesamt sind ihm mehr als 80 Menschen zum Opfer gefallen. Einmal erschoss er allein vier Polizisten, die ihn festnehmen wollten. In der DDR, Syrien und Ungarn fand er Hilfe und Unterschlupf.
Magdalena Kopp wurde die Frau des Schakals, sie bekam ein Kind mit ihm. Sie lebte im Zentrum des Terrors. Und wirkte doch bis zuletzt wie eine Zuschauerin des eigenen Lebens. Mit nur 67 Jahren ist sie nun gestorben (SZ vom 22. Juni), die Zeugin einer Epoche, die schon jetzt fremd und unbegreiflich erscheint und im Strom der Geschichte untergegangen ist.
Sie war 24, als sie Ende der Sechzigerjahre nach Frankfurt ging, in den Verlag Roter Stern. "Lilly" hieß sie in jenen Kreisen, die sich dem "antiimperialistischen Kampf" verschrieben hatten. Bald war sie bei den Revolutionären Zellen und folgte Johannes Weinrich in den Untergrund. Sie hatte Fotografin gelernt und fälschte nun Pässe, Führerscheine, kundschaftete Ziele aus. In London richtete sie ein Fotolabor für Tarn-Papiere ein.
Überrumpelt mit zwei Flaschen Wein
Dann kam Carlos. Sie fand ihn abstoßend, ja lächerlich. Ein dicklicher Dandy, ein lateinamerikanischer Macho. Der sie in der Dunkelkammer begrapschte, während sie für ihre Untergrund-Freunde Passbilder herstellte. Der sie mit zwei Flaschen Wein überrumpelte und blieb, als sie sagte, er solle gehen.
"Carlos legte seine Pistole auf den Nachttisch neben meinem Bett und schlief mit mir, ein sexueller Akt ohne jegliche Emotion, beinahe eine Vergewaltigung", schrieb sie später in ihren Erinnerungen. Aber sie wehrte sich nicht. Und fuhr mit ihm ein paar Wochen später nach Ost-Berlin, übernachtete mit ihm. Die Stasi hörte mit.
Der Mörder mit Familie: Magdalena Kopp, Carlos und Tochter 1989.
(Foto: ABD RABBO/SIPA)Sie war bis zum Schluss eine schöne Frau. Mit hellblauen Augen, zarten Zügen, dunklem Haar. Eine Frau, die durch Blicke sprach, nicht durch Worte. Wenn man sie fragte, warum sie Carlos verfiel, waren da nur ihre Augen: irritiert, verständnislos, verloren. Und langes Schweigen. Selbst noch 20 Jahre später, als sie längst wieder zurück war aus der Terrorwelt. Als wenn sich eine Nebelbank zwischen sie und ihre Vergangenheit geschoben hätte. Wenn sie dann sprach, erzählte sie von revolutionärem Kampf, von der Befreiung der Völker und der Befreiung der Frauen. Ausgerechnet sie.