Mafiajagd am Averner See:Das Tor zur Hölle

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Neapels Mafiajäger haben den kreisrunden Averner See komplett beschlagnahmt. Am Ufer des mythischen Gewässers tummelte sich zuletzt die berüchtigte Camorra.

Andrea Bachstein

Die Männer, die am frühen Samstagmorgen mit Jetskis über den malerischen, kleinen See in Kampanien brausten, waren nicht in Ferienstimmung. Sie hatten Schilder einzurammen entlang der Ufer. "Das Wassergebiet Averner See ist beschlagnahmt", steht auf von Plastikfolie geschützten Dokumenten. Gezeichnet sind sie mit "Antimafia-Direktion Neapel" und "Staatsanwaltschaft Neapel".

Der kreisrunde Averner See (Lago d'Averno) in Kampanien gilt in der griechisch-römischen Mythologie als einer der Eingänge zum Totenreich. Zuletzt soll hier die wegen ihrer Brutalität berüchtigte Camorra ihr Unwesen getrieben haben - im Schatten eines als "Country Club" getarnten Anwesens. (Foto: dpa)

Mafia-Besitztümer einzuziehen, gehört seit den neunziger Jahren zur Strategie der Staatsanwaltschaften in Italien. Sie wollen die Wirtschaftsbasis der Clans schwächen. Auf mehr als 8,6 Milliarden Euro beläuft sich der Wert der konfiszierten Mafia-Besitztümer bisher. Und nun also ein ganzer See. Und nicht irgendeiner.

Der kreisrunde Averner See in einem Vulkankegel liegt nahe der Schwefel spuckenden Phlegräischen Felder am Nordrand des Golfs von Neapel, und er gilt als einer der mythischen Eingänge zum Totenreich. Bei Homer steigt Odysseus hier in den Hades, um den Seher Teiresias zu befragen. In direkter Nähe soll die Prophetin Sybille von Cumae geweissagt haben. Hier erfuhr dem antiken Dichter Vergil zufolge der trojanische Held Aeneas, dass er Stammvater der Römer werden sollte. Und am Kratersee ließ die Sybille angeblich Aeneas auch einen Blick auf seine Lieben in der Unterwelt werfen.

Grob geschätzte 3000 Jahre später warf dann die Unterwelt ein Auge auf den See. Und zwar der als besonders blutrünstig berüchtigte Camorra-Clan der Casalesi. Jedenfalls gehen davon die Anti-Mafia-Ermittler aus, die ihre Operation vom Wochenende sinnigerweise "Sibilla" genannt haben. Sie wussten ja schließlich im Voraus, was passieren würde: Dass außer dem Kratersee ein Agriturismo-Hotel beschlagnahmt würde, ein Restaurant und eine Diskothek samt dem Unternehmen, dem das Ganze gehört. Auf 15 Millionen Euro soll sich der Wert der Güter belaufen, auf denen nun Amtssiegel kleben.

Alles lief auf eine Gesellschaft, die sich harmlos Country Club nennt, und Anfang der neunziger Jahre mehr als 55 Hektar Grund mit dem See erwarb. Der 43-jährige Touristik-Unternehmer Gennaro C. besitzt den Informationen zufolge seit 2008 alle Anteile von Country Club. Ihn halten die Ermittler für einen Strohmann und Getreuen des Anfang 2009 verhafteten Casalesi-Bosses Giovanni Setola.

Unterschlupf für Mafia-Boss

Die Anti-Mafia-Behörde geht davon aus, dass Strohmann Gennaro C. den Camorristi behilflich war mit Logistik für ihre kriminellen Aktionen, dass er Setola und anderen aber auch Unterschlupf bot. So hat sich das mythenbeladene Idyll des Averner Sees in eine Oase für organisierte Verbrecher gewandelt.

Es war übrigens nicht das erste Mal, dass der Averner See etwas verbergen sollte. Einst hatte er eine Verbindung zum gut zwei Kilometer entfernten Mittelmeer. Im letzten vorchristlichen Jahrhundert dann nutzte die römische Flotte das Kratergewässer eine Weile, um dort Schiffe den Augen der Feinde zu entziehen.

© SZ vom 12.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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