Mafia in Deutschland:Damals in Duisburg, 2.22 Uhr

Mafiamorde von Duisburg

Zurück am Tatort der "Mafiamorde": Ermittler Heinz Sprenger.

(Foto: Oliver Klasen)

Heinz Sprenger klärte die "Mafiamorde von Duisburg" auf, bei denen sechs Menschen starben. Zehn Jahre später kehrt er noch einmal an den Tatort zurück.

Von Oliver Klasen, Duisburg

Dort, wo vor genau zehn Jahren in einer warmen Augustnacht sechs Menschen erschossen wurden, stehen jetzt Büromenschen, suchen unter dem Vordach Schutz vor dem Nieselregen und rauchen. Ein verschachteltes Gebäude nahe des Duisburger Hauptbahnhofs, im Volksmund Klöckner-Hochhaus genannt. Obwohl die Fassadenplatten eher blassgrau sind, will die Hausverwaltung den Namen Silberpalais etablieren. Klingt edel und lässt vielleicht vergessen, dass hier an der Mülheimer Straße einst ein spektakuläres Verbrechen geschah: die "Mafiamorde von Duisburg".

Etwa 60 Patronenhülsen fand die Polizei am Tatort. Alle Opfer, das jüngste gerade 16 Jahre alt, wurden aus geringer Entfernung erschossen. Viele Menschen in Deutschland hörten damals zum ersten Mal von der `Ndrangheta, einer weit verzweigten Verbrecherorganisation aus der italienischen Region Kalabrien, die auch in Deutschland Stützpunkte aufgebaut hatte.

"Allein in Duisburg gab es zehn verdächtige Pizzerien und 80 Verbindungsleute - alle aus einem einzigen Dorf namens San Luca", sagt Heinz Sprenger, der damals die Ermittlungen leitete. Es war sein größter Fall als Chef des Duisburger KK11, jenes Kommissariats, das sich um Tötungsdelikte und Leichensachen kümmert. Fast zwei Jahre Berufsleben gingen drauf. Sprenger, Jeans, Kurzarmhemd, Steppjacke und eine fast schon rosarote Uhr, ist noch einmal an den Tatort gekommen und erklärt, wie sich am 15. August 2007 alles abgespielt hat.

"Es war 2.22 Uhr, als die Männer die Pizzeria Da Bruno abschlossen. Ihre Autos standen da hinter der Buchenhecke, Schnauze an Schnauze". Dass Sprenger die Uhrzeit noch so genau weiß, liegt nicht nur an seinem guten Gedächtnis, sondern auch an der Roten Armee Fraktion. Die Klöckner-Vorstände im gleichnamigen Hochhaus galten einst als mögliches Ziel der Terroristen, deshalb waren überall am Gebäude Überwachungskameras angebracht.

"Leider alte Technik, siebziger, achtziger Jahre", sagt Sprenger. Trotzdem konnte die Polizei Tathergang und Fluchtwege detailliert rekonstruieren. Bildauswertungsspezialisten berechneten aus den Schatten auf den Aufnahmen, wie groß die Täter waren. Sprenger ließ Sachverständige von Fraunhofer-Institut, Dekra und von einem Scheinwerferhersteller befragen und fand heraus, dass die Täter mit einem Renault Clio gekommen sein mussten. Mehrmals sperrten seine Leute die Straße vor dem Hochhaus, um die Tat nachzustellen.

Weit mehr als 100 Beamte koordinierte Sprenger damals, er zog Fachleute von LKA und BKA hinzu, darunter eine Mafia-Expertin, die ihm die Clanstrukturen und Verwandtschaftsbeziehungen erklärte. Er reiste mehrmals nach San Luca und fand heraus, dass die Morde in Duisburg die finale Eskalation einer jahrelangen Fehde zwischen den beiden Familien Strangio-Nirta und Pelle-Romeo waren. Alles nahm seinen Anfang mit einem Karnevalsscherz 1991, bei dem ein paar Jugendliche mit Eiern auf ein Auto eines Clanchefs warfen. Dutzende Gegenschläge, Racheschwüre und Morde folgten, schließlich ein Stillhaltepakt. Doch dann erschossen an Weihnachten 2006 mehrere Männer Maria Strangio, die Ehefrau eines hochrangigen 'Ndrangheta-Bosses. Die Rache für diese Tat waren die Morde in Duisburg.

Was Sprengers Ermittlungen erheblich erschwerte: Viele Mafiosi trugen die gleichen Nachnamen, standen aber für verschiedene Seiten. So gab es zum Beispiel 71 Personen mit dem Namen Francesco Giorgi, von denen auch noch drei am gleichen Tag geboren waren.

Der wahre Schimanski

"Die gesamte Mordkommission bekam damals eine Schnellbeschulung. Alle Wände in meinem Büro waren mit Familiencharts gepflastert". Sprenger sagt "Schaaz" statt Charts, so wie er auch "Schangse" sagt, wenn er Chance meint. Ruhrgebietssprache. Fast 45 Jahre war er bei der Polizei, davon 23 Jahre bei der Mordkommission, bis er sich 2010 überraschend in seine Heimatstadt Mülheim an der Ruhr versetzen ließ, angeblich gab es intern Differenzen in der Duisburger Behörde.

Jetzt ist Sprenger in Pension, vor einigen Monaten hat er seine spannendsten Fälle in einem Buch veröffentlicht. Titel: "Der wahre Schimanski". Sprenger sagt bei weitem nicht so oft "Scheiße" wie Götz George, aber er hat einen Schnauzbart und soll sich in seiner Karriere auch nicht gescheut haben, "die Schnauze aufzumachen und da hin zu gehen, wo es wehtut", wie Schimanski vielleicht sagen würde. Einmal verkleidete der Kommissar sich als Obdachloser, um einen Lösegelderpresser zu fassen und gab seine Tarnung auch dann nicht auf, als er von pöbelnden Jugendlichen mit leeren Bierdosen beworfen wurde.

Sprenger unterrichtet an zwei Tagen in der Woche Kriminalistik an einer Fachhochschule, engagiert sich ehrenamtlich in einem Kinderschutzbund und kann sich furchtbar aufregen. Über übertriebenen Datenschutz, darüber, dass nach dem NSU-Morden "einige Verfassungsschützer noch immer frei herumlaufen" und über "NRW, wo es die zweitniedrigste Polizeidichte aller Bundesländer gibt". Nicht ohne Stolz erwähnt er, dass seine Aufklärungsquote bei nahe 100 Prozent gelegen habe.

500 000 Euro vom Pizzabacken

Auch den Mafiafall hat er gelöst. Die beiden Haupttäter wurden 2009 und 2010 gefasst und in Prozessen in Italien zu lebenslanger Haft verurteilt. Sprenger erinnert sich noch gut, was Giovanni Strangio, einer der Schützen, antwortete, als er in einer Amsterdamer Wohnung gefasst und gefragt wurde, woher er die 500 000 Euro habe, die auf dem Tisch lagen: "vom Pizzabacken", sagte Strangio.

Noch immer habe die Mafia großen Einfluss im Ruhrgebiet, sagt Sprenger. Aber sie agiere im Verborgenen. "Künftig wird die `Ndrangheta die Finger davon lassen, auf deutschem Boden kriegerische Auseinandersetzungen auszutragen. Was hier in Duisburg passiert ist, war absolut geschäftsschädigend, weil sowohl in Italien als auch in Deutschland ein riesiger Fahndungsdruck entstand", so der ehemalige Mordermittler.

Dort, wo früher das "Da Bruno" war, ist später ein anderes Restaurant eingezogen. Seit ein paar Wochen ist es verwaist. Stühle aus hellem Kunstleder stehen kreuz und quer im Raum herum, Decken und weiße Läufer liegen noch auf den Tischen, an der Tür eine Notiz: Geschlossen aus "betriebsbedingten Gründen". Der Wirt hat aufgegeben, weil ihm mehrfach die Scheiben eingeworfen wurden. Er hatte der AfD erlaubt, ihren Stammtisch bei ihm abzuhalten. Sieht so aus, als bringt die Adresse "Am Silberpalais 1" kein Glück.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: