Mafia-Fehde:Ein Kampf um Blut und Ehre und Macht

Seit 18 Jahren tobt die Fehde zweier Clans aus dem kalabrischen Bergstädtchen San Luca - beide streben nach der Vorherrschaft in der 'Ndrangheta.

Stefan Ulrich

Es kommt aus dem Untergrund von San Luca und explodiert in Duisburg, ein explosives Gemisch aus uralter Rache und Millionengeschäften, aus Stammesfehden und brutaler Mafia-Modernität", das schreibt die Antimafia-Kommission des italienischen Parlaments.

Mafia-Fehde: Trügerische Idylle: Bewohner des Bergstädtchens San Luca genießen die Ruhe des Ortes, der einige der wichtigsten kalabrischen Mafia-Familien beheimatet

Trügerische Idylle: Bewohner des Bergstädtchens San Luca genießen die Ruhe des Ortes, der einige der wichtigsten kalabrischen Mafia-Familien beheimatet

(Foto: Foto: AFP)

In nüchternen Worten: Das Massaker vom 15. August 2007 in Duisburg war Teil der Fehde von San Luca. In dem Bergstädtchen im Süden Kalabriens liefern sich zwei Clans der 'Ndrangheta seit langem einen Kampf. Dabei geht es um Blut und Ehre und um die Macht über das "Herz der 'Ndrangheta", wie italienische Ermittler San Luca nennen.

In dem halbverlassen wirkenden Ort haben einige der wichtigsten Familien der weltweit operierenden kalabrischen Mafia ihren Sitz. Zudem liegt im Gemeindegebiet das Marienheiligtum von Polsi. Dort kommen die verschiedenen Gruppen der 'Ndrangheta seit mehr als hundert Jahren zu Gipfeltreffen zusammen.

"Die Clans von San Luca werden schon immer als die Hüter der Tradition betrachtet", schreiben die 'Ndrangheta-Experten Nicola Gratteri und Antonio Nicaso in ihrem neuen Buch "Fratelli di sangue" ("Blutsbrüder"). Die Bosse aus San Luca müssten die Aufnahme neuer Mafiosi im gesamten Kalabrien bestätigen und wirkten als eine Art "Handelskammer" der ganzen 'Ndrangheta.

Ursprünglich nährten sich die Mafia-Familien aus San Luca von Raubüberfällen, Erpressungen und Entführungen. Hierzu teilten sie sich das umliegende Bergland auf. Gegen Ende der siebziger Jahre stiegen die Mafiosi dann immer mehr in den Rauschgift- und Waffenhandel ein. Eine junge, waghalsigere Generation sowie Millionen Drogengelder zerstörten die Machtbalance. "Der Wille, die Führung in San Luca zu erringen, löste eine Fehde aus, die über die Jahre zu zahlreichen Morden führte", heißt es im Haftantrag der Staatsanwaltschaft von Reggio Calabria für Giovanni Strangio.

Als Auftakt der Fehde gilt das sogenannte Karnevals-Massaker: Im Februar 1991 warfen Jugendliche, die mit der Strangio-Familie verbunden waren, Eier in die Bar eines anderen Clans. Die Rache folgte unverzüglich. Killer erschossen zwei der Jugendlichen. Daraufhin folgte eine Serie von Attentaten, bis sich die verfeindeten Clans - sie nennen sich Nirta-Strangio und Pelle-Vottari - Mitte der neunziger Jahre auf einen Burgfrieden einigten. Die 'Ndrangheta-Familien nutzten ihn, um in Italien und im Ausland, besonders auch in Deutschland, Stützpunkte aufzubauen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Mafia-Bosse einen Waffenstillstand vereinbarten - und warum der Friede trügerisch ist.

Im Untergrund brodelt es weiter

Der Friede währte bis zum Jahr 2005. Dann ging das Morden wieder los. Bei einem Attentat an Weihnachten 2006 erschossen Killer der Pelle-Vottari erstmals eine Frau, Maria Strangio, eine Cousine des nun festgenommenen Giovanni Strangio. Das heizte die Auseinandersetzung massiv an. Wie aus Abhörprotokollen der italienischen Polizei hervorgeht, bunkerten sich die Clans in San Luca ein. Die Männer verließen ihre Häuser nicht mehr oder flohen aus dem Ort.

Zugleich versuchten die Bosse, sich Präzisionswaffen für neue Angriffe zu verschaffen, unter anderem in Deutschland. Die Pelle-Vottari planten, ihren Rivalen einen entscheidenden Schlag zu versetzen und schickten ihre Männer nach Duisburg, um Waffen zu beschaffen. Doch die Nirta-Strangio waren schneller und massakrierten am Maria-Himmelfahrtstag dort sechs mutmaßliche Mitglieder des feindlichen Clans. Das nehmen jedenfalls die Ermittler an.

Mit dem spektakulären Verbrechen war die Fehde natürlich nicht beendet. "Der Hass in San Luca war mit Händen zu greifen", sagte Renato Cortese, der Chef des Mobilen Einsatzkommandos von Reggio Calabria, vor kurzem der SZ. Alles rechnete mit einer neuen Blutwelle. Doch dann setzten einige Bosse einen Waffenstillstand durch. Die Polizei nahm nach dem Duisburg-Massaker 60 Mitglieder beider Clans fest. Gegen sie laufen Prozesse. Das alles veranlasst die Mafia-Familien, sich ruhig zu verhalten. Doch im Untergrund von San Luca brodelt es weiter.

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