Fall Madeleine McCann:"Nicht eine Minute aus den Augen lassen"

Maddie McCann Hannover Kleingarten

Madeleine McCann verschwand 2007 aus einer Ferienanlage an der Südküste Portugals.

(Foto: epa efe Real Madrid Tv / Ho/picture alliance / dpa)

Ein Informant warnte die Polizei schon vor Jahren vor dem nun Verdächtigen im Fall der vermissten Maddie. Gegen Christian B. wird auch in anderen Zusammenhängen ermittelt.

Von Peter Burghardt, Hamburg

"Brandgefährlich" sei dieser Mann, das ahnte der Braunschweiger Polizist bereits vor Jahren. Und jetzt ist plötzlich weltweit die Rede von dem Deutschen, der Madeleine McCann entführt haben könnte. Am 3. Mai 2007, aus dem Ferienappartement der Familie in Praia da Luz im Süden Portugals.

Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Mordverdachts an der damals Dreijährigen gegen Christian B., der wegen eines anderen Falles in der JVA Kiel sitzt. Vor einer Woche hatte das Bundeskriminalamt die Neuheit verkündet und einen Zeugenaufruf gestartet, es gab seither Hunderte Hinweise. Auch dieser ehemalige führende Kriminalbeamte aus Braunschweig war überrascht von der Meldung, aber den Namen des Verdächtigen kannte er längst.

Nach einer Sendung über das Rätsel Maddie war vor fast sieben Jahren ein Tipp in seiner Polizeiinspektion eingegangen. Ein Informant gab an, B. zu kennen und gehört zu haben, dass er mit Maddies Verschwinden zu tun habe. Der Tipp landete beim BKA und den Ermittlern in England und Portugal. Eine Spur von vielen. Dann, es war unterdessen Sommer 2018 geworden, tauchte der vielfach Vorbestrafte wieder auf dem Schirm der Braunschweiger Kripo auf.

Der Verdächtige wird auch mit anderen Fällen in Verbindung gebracht

B. war in Braunschweig gemeldet und hatte in Wolfenbüttel soeben eine Haftstrafe wegen sexuellen Missbrauchs eines anderen Kindes abgesessen. Er musste nun entlassen werden, obwohl eine weitere Haftstrafe wegen Drogenhandels anstand, denn nach Deutschland ausgeliefert worden war er 2017 wegen Kindesmissbrauchs. Es brauchte die Genehmigung eines portugiesischen Gerichts, um ihn wegen der Drogensache festsetzen zu können, doch die zuständige Staatsanwaltschaft Flensburg stellte den Antrag zu spät, was am Mittwoch nun sogar im Kieler Landtag besprochen wurde. B. kam frei, der Braunschweiger Kripo-Mann ordnete seinen Leuten an, "ihn nicht eine Minute aus den Augen zu lassen". Er sagt: "Vielleicht haben wir damals das richtige Gefühl gehabt."

Mangels Haftbefehl observierten sie B. verdeckt und dann offen. Er reiste in die Niederlande, deren Polizei die Überwachung übernahm. Verhaftet wurde B. in Italien, als er sich im Konsulat einen Pass abholen wollte. Seit Oktober 2018 sitzt er im Kieler Gefängnis - und wurde dort in einen anderen Trakt verlegt, um ihn vor möglichen Angriffen von Mitgefangenen zu schützen. Richter müssen nun über eine Entlassung des 43-jährigen nach Verbüßung von zwei Dritteln der dortigen Strafe entscheiden - wohl auch daher die neue Eile bei den Ermittlungen.

Ende 2019 wurde B. zwar in Braunschweig wegen einer weiteren Vergewaltigung verurteilt, aber das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. B. wohnte zwischen 1995 und 2007 meistens an der Algarve. Die Behörden haben Fotos zweier von ihm dort genutzter Häuser und Fahrzeuge öffentlich gemacht sowie die Nummern von zwei Mobiltelefonen. Auf dem einen Handy soll B. nahe des Ferienresorts, aus dem Maddie verschwand, kurz zuvor von der anderen Nummer angerufen worden sein.

BKA und Scotland Yard erhalten jetzt wieder massenweise Anrufe und Mails. Medien berichten. Menschen, die B. begegnet sein wollen, erzählen schreckliche Dinge über ihn. Auch werden neben der Causa Maddie weitere Fälle mit ihm in Verbindung gebracht. Darunter sind die der seinerzeit fünfjährigen Inga, die seit 2015 in Sachsen-Anhalt vermisst wird, und der 1996 im Alter von 16 Jahren an der belgischen Küste ermordeten Carola. Der Guardian berichtet außerdem von einer Irin, die 2004 im portugiesischen Süden vergewaltigt wurde. Keinen Zusammenhang gibt es offenbar zum Mysterium eines 1996 ebenfalls in Portugal verschwundenen deutschen Jungen.

Nicht jeder hält es für geschickt, dass über B. in den Medien derart viel berichtet wird. "Der Schuss ist jetzt raus", sagt ein Experte. Die britische Polizei führt Madeleine McCann wie gehabt als vermisst, die Staatsanwaltschaft Braunschweig geht von ihrem Tod aus.

Wenn die Polizei keine Beweise finde, so ein Ermittler, sei B. möglicherweise spätestens in sieben Jahren frei

Seine "private Meinung" sei, "dass er das Mädchen relativ schnell getötet hat", so wird der Braunschweiger Oberstaatsanwalt Hans Christian Wolters in der englischen Zeitung The Times zitiert. Vorher habe er das Mädchen wohl missbraucht.

"Wir glauben, unser Verdächtiger hat weitere Verbrechen begangen, vor allem Sexualverbrechen, in Portugal, aber auch anderswo wie in Deutschland", sagt Wolters. Je schneller man Beweise habe, umso eher könne man das Risiko vermeiden, dass B. freigelassen werde. Wenn man nichts Neues gegen ihn finde, dann werde er möglicherweise in spätestens sieben Jahren freigelassen und könnte Deutschland in Richtung eines Landes verlassen, das nicht ausliefere. Wenn man den Fall McCann nicht lösen könne, so Wolters, dann könne man "vielleicht beweisen, dass er ein oder zwei andere Verbrechen begangen hat."

Was hat die Braunschweiger Staatsanwaltschaft noch gegen B. in der Hand? Bisher scheint es im Fall McCann keinen Beweis zu geben. Nichts stichhaltig Belastendes ist bekannt, und gefunden wurde das Mädchen weder lebend noch tot.

Der frühere Braunschweiger Polizist erinnert sich zwar an eine vermisste Frau aus der Stadt, die nach Jahrzehnten wieder auftauchte. Er könne es nicht ausschließen, sagt er, "aber die Wahrscheinlichkeit, im Lotto zu gewinnen ist größer, als Maddie lebend zu finden."

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