Süddeutsche Zeitung

Luxus-Handtaschen:Mit dem Bagger durchs Fenster in die Chanel-Boutique

Diebesbanden auf der ganzen Welt haben ihre Methoden geändert: Sie fahren jetzt mit Autos und anderem Gerät Schaufenster von Luxusboutiquen ein. "Smash and Grabs" werden die Blitzüberfälle genannt.

Von Silke Wichert

"Fashion Crime", so nennen Modeleute eine fragwürdige bis fahrlässige Kleiderwahl, derer man sich schuldig gemacht hat. Britney Spears hat bekanntlich eine ganze Menge davon auf dem Kerbholz. Auch Madonna, in ihrem Camouflagekleid mit Tarnnetz-Schleppe bei der New Yorker Met-Gala kürzlich, fällt in diese Kategorie. Bestrafen lässt sich so etwas bedauerlicherweise nicht.

Neuerdings wird der Begriff allerdings auch für ein klassisches Verbrechen verwendet: Wenn wieder einmal eine Luxusboutique voller Accessoires ausgeraubt wurde. Ende April fuhr ein geklauter BMW frontal in die Scheibe eines Louis-Vuitton-Geschäfts in Chicago. Die fünf Täter flüchteten mit mehr als zwei Dutzend gestohlenen Handtaschen. In Stockholm rammten Einbrecher Ende März gleich einen Bagger in eine Chanel-Boutique. Im Januar krachte ein silberner Ford im Morgengrauen in den Louis-Vuitton-Laden auf der Londoner Sloane Street. Für die Filiale war es der dritte Einbruch innerhalb von drei Jahren, geschätzte Beute jeweils: 50 000 bis 70 000 Pfund.

Die Liste könnte noch lange so weitergehen. Alle paar Wochen wird mittlerweile in einer großen Metropole ein Luxusgeschäft ausgeraubt, vorzugsweise Läden der Marken Louis Vuitton und Chanel. Deren Geschäft auf der Pariser Avenue Montaigne wurde vor gut einem Jahr gleich zweimal innerhalb eines Monats leer geräumt. Gelegentlich trifft es auch mal eine Valentino- oder Gucci-Boutique.

"Smash and Grabs" heißen die meist nächtlichen Blitzüberfälle im Englischen. Auf Youtube kann man sich ein Überwachungsvideo von einem solchen Einbruch bei Chanel in Dallas anschauen. Kaum hat ein dunkler Van mit seiner Schnauze die Scheibe zerschmettert, sind innerhalb von Sekunden acht maskierte Täter im Laden und stopfen, was sie greifen können, in dunkle Müllsäcke. Die Einbrecher wurden später gestellt, als ein Reifen ihres Fluchtautos platzte. Meist entkommen die Diebe jedoch unerkannt. Auskunft dazu, ob Fälle in Verbindung zueinander stehen oder organisierte Banden darin verwickelt sind, geben die jeweiligen Dienststellen nicht. Polizisten lassen lediglich mal verlauten, dass derart schnelle Raubzüge eine gewisse Routine erfordern, die Täter also keine Anfänger sind.

Bei Hermès passieren erstaunlicherweise kaum "Smash and Grabs"

Traditionell haben es Einbrecher eher auf Juweliere abgesehen; Handtaschen im großen Stil aus Boutiquen zu rauben, ist ein recht neues Phänomen. Aber die Begierde nach einigen Modellen - und deshalb auch deren Preise - sind in den vergangenen Jahren noch einmal gestiegen. Und das haben offensichtlich nicht nur die Kunden mitbekommen.

2016 verursachte eine Studie des Online-Händlers Baghunter Schlagzeilen. Laut der Untersuchung ist die Birkin Bag von Hermès ein besseres Investment als Gold oder Aktien. Die jährliche Rendite lag in den vergangenen 35 Jahren bei 14,2 Prozent. Aktuell kosten die Taschen ab 6100 Euro aufwärts. Laut Europas größtem Vintage-Onlinehändler Vestiaire Collective zählen zu solchen "Investment Pieces" außerdem auch die Kelly Bag von Hermès (Ladenpreis ab 5950 Euro) sowie Chanels 2.55-Modell (ab 4100 Euro). Solche Klassiker erzielen bei Wiederverkäufen locker 100 bis 125 Prozent ihres Originalpreises, während bei Privatverkäufen sonst eher 50 bis 70 Prozent üblich sind.

Gerade bei Hermès passieren erstaunlicherweise kaum "Smash and Grabs". Was daran liegen könnte, dass es in den Läden ganz einfach wenig zu holen gibt. Die Wartezeit auf bestimmte Birkin Bags kann Monate oder Jahre dauern. In den Filialen selbst steht häufig lediglich ein Modell für die Schaufensterdekoration. In Paris wurde deshalb 2015 gleich ein Spediteur überfallen, als er gerade dabei war, einen Lkw mit Hermès-Taschen zu beladen. Die Täter entkamen mit 500 Modellen im Gesamtwert von rund 1,6 Millionen Euro.

In Deutschland sind bisher zwei Fälle bekannt. In Frankfurt wurde im Februar 2015 eine auf Luxushandtaschen spezialisierte Vintage-Boutique nahe der Freßgasse ausgeraubt. Drei Täter entkamen in den frühen Morgenstunden mit 50 Hermès-Taschen. Drei Monate später schlugen Einbrecher in Düsseldorf bei "Couture 2nd" zu. Das Geschäft ist vor allem für seine exklusive Auswahl an Chanel-Handtaschen bekannt. Die Besitzerin Karin Berghoff stand eines Morgens vor eingeschlagener Scheibe und leeren Regalen. "Es fehlten rund 45 Taschen im Wert von über 80 000 Euro", sagt sie. Gehört hatte niemand etwas, aber ein Anwohner glaubte, ein wartendes Fahrzeug mit serbischem Kennzeichen bemerkt zu haben. Nach drei Wochen wurden die Ermittlungen ergebnislos eingestellt. Bis heute ist nicht ein einziges der vermissten Stücke wieder aufgetaucht.

Die Taschen müssen also nicht neu sein, um bei Dieben beliebt zu sein. Der Markt für Vintage-Accessoires ist in den letzten Jahren explodiert; der Bedarf ist riesig. Ihr Vorteil als Diebesgut: Sie lassen sich vergleichsweise schnell und unauffällig wieder loswerden. Während teurer Schmuck und Diamanten meist nur über Zwischenhändler weiterverkauft werden können, gibt es für hochwertige Mode und Taschen aus zweiter Hand mittlerweile überall Händler sowie Internet-Plattformen wie Rebelle oder The Realreal. Nicht zuletzt: Ebay, den Online-Marktplatz für alles und alle.

Geklaute Ware bei der Vielzahl solcher Verkäufe aufzuspüren, ist schwierig. Da es sich meist um klassische Modelle handelt, sind sie - anders als besondere Schmuckstücke - äußerlich schwer als Beute eines bestimmten Diebstahls zu identifizieren. Chanel-Handtaschen verfügen zwar seit 1984 über eine Seriennummer im Inneren, auf den eingestellten Fotos wird diese jedoch selten abgebildet.

Trotzdem sei es längst nicht mehr so einfach, eine größere Menge Diebesgut zu verkaufen, sagt Daphne Rauch von Ebay. "Wir lassen ständig Filter über die Angebote laufen, die sofort registrieren, wenn ein Händler, der bislang eher normalen Hausrat oder günstige Marken in seinem Profil hatte, plötzlich ein paar echte Chanel-Taschen anbietet." Neu registrierte Händler dürften nicht auf einen Schlag eine Vielzahl Designerware einstellen. "Häufig arbeiten wir bereits mit der Polizei zusammen", sagt Rauch. Etwa, wenn die Ermittler auf eine bestimmte Tasche aufmerksam geworden sind, ein seltenes Modell oder eine Sonderanfertigung. "Dann werden wir gelegentlich gebeten, die Auktion laufen zu lassen und die Benutzerdaten auszuhändigen, damit die Ermittler zuschlagen können, bevor die Ware über den Tisch geht." Experten gehen davon aus, dass die Ware häufig direkt nach Asien geschafft wird, wo die Nachfrage auf dem Schwarzmarkt boomt, und von Europa aus nur sehr schwer nachverfolgt werden kann.

Besser, man verhindert die "Smash and Grabs" von vornherein. In Düsseldorf wurden vor einem Juwelierladen kürzlich Poller in den Boden eingelassen, damit kein Auto mehr bis zur Scheibe vorfahren kann. Händler, vor allem in London, fordern schon länger eine stärkere Polizeipräsenz. Meist treffen die Beamten erst am Tatort ein, wenn die Täter bereits geflüchtet sind.

Bei einem Einbruch bei Chanel in South Kensington im Januar 2016 war dagegen eine Hobbyreporterin besonders früh dran: Lindsay Lohan postete um kurz nach fünf Uhr morgens das erste Bild des Stores mit fehlender Scheibe auf Instagram. Die Schauspielerin kennt sich bekanntlich aus mit "Fashion Crime Scenes". 2010 wurden in ihrem Haus in Los Angeles Kleider und Schmuck im Wert von 130 000 Dollar entwendet. Der Fall diente mit als Vorlage für Sofia Coppolas Film "The Bling Ring".

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Quelle:
SZ vom 13.05.2017/vbol
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