Süddeutsche Zeitung

Loveparade-Unglück jährt sich zum ersten Mal:"Ihr Lächeln ist für immer erloschen"

Sie kamen zum Feiern und fanden den Tod: 21 Besucher der Loveparade in Duisburg starben vergangenes Jahr in einem unvorstellbaren Gedränge. An diesem Sonntag jährt sich das Unglück zum ersten Mal - Überlebende und Angehörige haben die Geschehnisse noch längst nicht verarbeitet.

21 Sonnenblumen, Gedichte, Kränze, Kerzen: Am Wochenende wurde ein Tunnelabschnitt in Duisburg noch einmal zur Pilgerstätte - mehr als 3500 Menschen besuchten den Ort, der an jenem schicksalhaften 24. Juli 2010 der einzige Zugang zum Loveparade-Gelände war.

Viele in der Ruhrgebietsstadt hielten inne an diesem Sonntag, an dem sich eines der schwersten Unglücke der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland zum ersten Mal jährte.

Zumindest während der zentralen Trauerfeier in der Duisburger MSV-Arena stand für einige Stunden nicht mehr nur der quälende Dauerstreit um die Verantwortung für die Tragödie im Vordergrund, sondern die Trauer um die Opfer und das Mitgefühl für die mehr als 500 Verletzten des Unglücks, von denen viele noch heute unter den Folgen der traumatischen Ereignisse leiden.

Die meisten der 21 Toten waren zwischen 18 und 25 Jahre alt. Viele kamen aus dem Ruhrgebiet, andere aus Spanien, China und Australien.

Zur Gedenkfeier war auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gekommen: "Wir bitten für uns alle, die wir die Bilder des Unglücks noch immer in uns tragen - im Kopf und im Herzen", sagte die SPD-Politikerin bei der Verlesung einer Fürbitte während der Stadion-Gedenkfeier. "Wir bitten für alle, die Fehler gemacht haben, dass sie die Kraft finden, diese einzugestehen und um Vergebung zu bitten." Später standen ihr Tränen in den Augen.

Derweil gab erstmals ein hochrangiger Beamter nach Informationen des Spiegel gravierende Probleme der Polizeiführung bei der Loveparade zu. In einer fünf Tage dauernden Zeugenvernehmung sagte der damalige Leiter des polizeilichen Einsatzstabs demnach, niemand im Stab habe je mit einem so verheerenden Unglück gerechnet. Alle seien "erschlagen" gewesen. Zudem habe die Einsatzleitung nicht zeitgerecht über alle Informationen verfügt.

Der Polizist gab an, er selbst habe sich zum Zeitpunkt, als das Gedränge auf der Zugangsrampe zum Partygelände immer bedrohlicher wurde, "kein konkretes Bild" über das "Ausmaß" machen können. Von im Zugangsbereich postierten Polizeiketten, die womöglich zur Katastrophe beigetragen haben könnten, habe er als Stabsleiter erst im Nachhinein erfahren.

Fehler sind laut Spiegel nach den Worten des leitenden Beamten auch bei einem umstrittenen Schichtwechsel gemacht worden, als Polizeiwagen in Kolonne durch die Menschenmenge auf der Rampe und im Tunnel fuhren. "Fahrzeugwechsel" hätten dort "nicht erfolgen" dürfen, dies sei sogar ausdrücklich abgestimmt gewesen, sagte der Beamte dem Bericht zufolge aus.

Duisburgs Oberbürgermeister kommt nicht zur Gedenkfeier

Auch Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) werden seit einem Jahr massive Fehler im Umgang mit der Tragödie vorgeworfen. Er hatte im andauernden Streit um seine Rücktrittsweigerung angekündigt, an der zentralen Gedenkfeier nicht teilzunehmen. Die Sauerland-Gegner, die seit Wochen täglich in Duisburg Unterschriften für eine Abwahl des Stadtoberhaupts zusammentragen, unterbrachen ihre Sammelaktion für einen Tag.

Stattdessen gedachten 7000 Trauernde, unter ihnen 460 Hinterbliebene und direkt Betroffene der Loveparade-Katastrophe sowie viele Rettungskräfte, bei der bewegenden Trauerfeier in Duisburgs Arena der Opfer. "Sie kamen zum Feiern - sie fanden den Tod", erinnerte Notfallseelsorger Uwe Rieske bei der Feierstunde an die unfassbare Tragödie.

Auf Bitten der Angehörigen gab es im Stadion keinen Beifall für die Musikstücke, darunter Songs wie "From a distance" und "With a little help from my friends". Zu den emotionalen Höhepunkten der zweistündigen Feier zählten die Worte, die Nadia Zanacchi an die Trauergäste richtete. Die Italienerin verlor bei dem Unglück ihre Tochter Giulia. "Ihr wolltet Spass haben, Musik hören, teilnehmen", sagte die Hinterbliebene in ihrer Botschaft an die Opfer. "Aber ihr habt euch an einem dunklen, grauenerregenden Ort wiedergefunden."

Der Schmerz der Hinterbliebenen

Deutliche Kritik übte Zanacchi an der Organisation der Technoparade: An einem derartigen Ort hätte "niemals ein Konzert stattfinden dürfen". Letztlich hätten die jungen Leute "mit ihrem Leben bezahlt", darunter ihre 21-jährige Tochter. "Ihr Lächeln, das Lächeln aller Jugendlichen ist für immer erloschen." Mit tränenerstickter Stimme schilderten eine Verletzte und ein Rettungssanitäter ihre schrecklichen Erlebnisse.

Für die 21 Toten legten Rettungskräfte 21 Sonnenblumen auf dem blumengeschmückten Stadionrasen nieder - ein Augenblick, in dem sich viele Hinterbliebene auf der Tribüne an den Händen fassten. Andere brachen in Tränen aus, als nach dem Verlesen der Namen der Getöteten "der Graf", Sänger der Band "Unheilig", auf Wunsch der Angehörigen sein Lied "Geboren um zu leben" sang.

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