Süddeutsche Zeitung

Landgericht Duisburg:Loveparade-Prozess wird eingestellt

21 Menschen sind vor zehn Jahren bei der Loveparade in Duisburg ums Leben gekommen. Wer trägt dafür die Verantwortung? Eines der aufwendigsten Gerichtsverfahren der Nachkriegsgeschichte geht ohne Urteil zu Ende.

Das Landgericht Duisburg hat am Montag den Prozess um das Unglück bei der Loveparade 2010 mit 21 Toten eingestellt. Bei den drei zuletzt verbliebenen Angeklagten hatte das Gericht zuvor nur eine geringe Schuld vermutet. Damit endet einer der aufwendigsten Strafprozesse der Nachkriegszeit nach 184 Sitzungstagen ohne Urteil.

Die Staatsanwaltschaft sowie die verbliebenen drei Angeklagten hatten der Einstellung schon im Vorfeld der Sitzung zugestimmt. Viele der 42 Nebenkläger hatten sich dagegen ausgesprochen - ihre Zustimmung war allerdings rechtlich nicht erforderlich.

In dem Prozess ging es um den Tod von 21 jungen Menschen bei der Loveparade in Duisburg am 24. Juli 2010. Sie starben in einem Gedränge auf dem einzigen Zu- und Abgang des Veranstaltungsgeländes. Mehr als 650 Menschen wurden verletzt.

Das Gericht nennt die Überlastung "vorhersehbar"

Dem Gericht zufolge habe es eine Reihe von Fehlern gegeben, die zur Katastrophe führten. "Die Vereinzelungsanlagen und Schleusen waren nicht auf die erwartenden Personenmengen ausgerichtet. Zäune führten zu zusätzlichen Engstellen", sagte Richter Mario Plein am letzten Verhandlungstag. "Der Stau vor den Vereinzelungsanlagen war absehbar." Zudem habe es keine ausreichenden Flächen für die Abwicklung der Menschenmassen gegeben, sagte er. "Stauungen waren vorhersehbar."

Bereits um kurz nach 14 Uhr sei es am Tag der Loveparade zu ersten Problemen gekommen. Kommunikationsdefizite hätten die Situation verschärft: Krisengespräche von Polizei und Feuerwehr seien ohne die Veranstalterin geführt worden. Die Steuerung der Personenströme sei unkoordiniert gewesen. "Unpassende Anordnungen" der Polizei hätten die Probleme verschärft. Der Funkverkehr der Polizei sei nach Ansicht des Gerichts gestört gewesen, die Polizei habe ihre zugesagte Unterstützung bei der Schließung der überlasteten Zugänge nicht erbracht, weil Kräfte anderweitig gebunden gewesen seien. Gegen 16.30 Uhr seien die Besucherströme zum Stillstand gekommen, eine lebensbedrohliche Lage mit Wellenbewegungen sei entstanden.

Zu Beginn des Verfahrens im Dezember 2017 waren zunächst zehn Personen angeklagt. Die Staatsanwaltschaft hatte vier leitenden Mitarbeitern des Veranstalters Lopavent und sechs Mitarbeitern der Stadt Duisburg fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen. Von schweren Planungsfehlern war die Rede. Die Verfahren gegen die städtischen Mitarbeiter und einen Lopavent-Beschäftigten wurden im Februar 2019 wegen vermutlich geringer Schuld ohne Auflagen eingestellt. Bei den drei verbliebenen Beschuldigten stand damals eine Einstellung gegen Geldauflage im Raum. Sie lehnten ab. Er wolle nicht auf sein Recht verzichten, freigesprochen zu werden, hatte ein Angeklagter damals als Motivation angegeben.

Verhandlung wegen des Coronavirus unterbrochen

Für die übrigen drei Angeklagten ging der Prozess weiter - bis vor einigen Wochen das Coronavirus den Zeitplan sprengte. Nachdem zuletzt am 4. März verhandelt worden war, wurde der Prozess Mitte März unterbrochen, als eine Richterin vorsorglich unter Quarantäne gestellt wurde. Im April später schlug das Gericht vor, den Prozess ganz einzustellen. Wegen der Pandemie sei nicht absehbar, wann und wie die Verhandlung fortgesetzt werden könne. Die Staatsanwaltschaft hatte dem Vorschlag zugestimmt. Die Ursachen für das Unglück seien geklärt. Zudem verjährt der Vorwurf der fahrlässigen Tötung am 27. Juli, ein Abschluss des Prozesses bis dahin sei unwahrscheinlich.

Anwälte von Nebenklägern und Angeklagten haben die Einstellung des Loveparade-Strafprozesses kritisiert. "Dies ist ein schlechter Tag für die Justiz", sagte Nebenklage-Anwalt Julius Reiter am Montag. "Die Art und Weise der Beendigung unter Abwesenheit des Sachverständigen, den wir nicht befragen konnten, ist ein unwürdiges Ende des Prozess."

Von einem "Desaster" sprach Nebenklage-Anwalt Rainer Dietz. Er bemängelte, dass das 3800-Seiten-Gutachten des Sachverständigen nicht mehr in das Verfahren eingeführt worden sei. Damit bleibe es vorläufig und in Zivilverfahren "juristisch stets angreifbar".

Verteidiger Volker Römermann kritisierte dagegen, dass seinem Mandanten durch die Einstellung ein fairer "Abschluss des Verfahrens durch einen Freispruch verwehrt" worden sei. Das millionenteure Verfahren hätte keinen anderen Abschluss als einen "verjährungsbedingten Freispruch" ergeben.

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