Süddeutsche Zeitung

Loveparade-Prozess:"Davon weiß ich einfach nichts"

  • Der ehemalige Oberbürgermeister Adolf Sauerland sagt im Prozess um die Loveparade-Katastrophe im Jahr 2010 in Duisburg als Zeuge aus.
  • Damals kamen 21 Menschen ums Leben, bereits im Vorfeld hatte es Sicherheitsbedenken bezüglich der Großveranstaltung gegeben.
  • Sauerland weist jede Schuld von sich, er sei in dem Genehmigungsprozess nicht aktiv gewesen.

Aus dem Gericht von Christian Wernicke, Düsseldorf

Juristen reden meist sachlich, in ihrer spröden Sprache verkörpert ein Mann wie Adolf Sauerland "ein unergiebiges Beweismittel". Einen nutzlosen Zeugen also.

Mehr als sechs Stunden sitzt Duisburgs ehemaliger Oberbürgermeister am Mittwoch vor Gericht, und Mario Plein, Vorsitzender Richter der 6. Großen Strafkammer, fragt ihn wieder und wieder, wie "das damals so gelaufen ist". Damals, als 2010 das Rathaus, in dem Sauerland regierte, die Loveparade genehmigte. Sauerland kauert vor ihm an einem weißen Resopaltisch, hält die Hände gefaltet, blickt mit großen Augen ins Leere - und sagt nichts.

Er wisse von nichts, sagt Sauerland

Jedenfalls nichts, was an diesem 28. Prozesstag in den Düsseldorfer Messehallen der Wahrheitsfindung dient. Auch nicht, als ihm Richter Plein einen internen Vermerk seiner Verwaltung vorhält, der fünf Monate vor der Katastrophe vom 24. Juli 2010 alle Beamten darauf einschwört, sich anzustrengen, "damit die Großveranstaltung ein voller Erfolg wird". Sauerland hebt und senkt seine mächtigen Schultern, neigt den bärtigen Kopf zur Seite und erwidert: "Davon weiß ich einfach nichts."

21 Menschen starben an jenem Tag im Gedränge auf dem früheren Duisburger Güterbahnhof, mehr als 650 erlitten zum Teil schwere Verletzungen. Für viele von ihnen hätte Sauerland, der erste Mann der Stadt, nicht in den Zeugenstand gehört, sondern auf die Anklagebank. Dort sitzen nun sechs städtische Mitarbeiter, einst Sauerlands Untergebene, sowie vier Angestellte des Veranstalters "Lopavent".

Paco Zapater zum Beispiel hat vor beinahe acht Jahren seine Tochter Clara verloren, die 22 Jahre alte Studentin wurde ohnmächtig und von der Menge totgetrampelt. Zusammen mit seiner Frau Núria Caminal ist Zapater aus Spanien angereist, am Revers seines Anzugs trägt er einen Button mit Claras Bild. "Ich will dabei sein, ich will ihn sehen", sagt der Vater, als Adolf Sauerland am Mittwochmorgen den Saal betritt, "meine Anwesenheit soll für ihn die Anklage sein, die die deutsche Justiz nie geleistet hat."

Sauerland fühlt sich unschuldig, im Sinne des Strafrechts jedenfalls. Die fragwürdige Erlaubnis für die Loveparade, die zur Parade des Leidens wurde, habe er ja nicht erteilt: "Aktiv in dem Genehmigungsprozess war ich nicht", stellt er sehr generell gleich zu Beginn klar, "ich musste keine Genehmigung erteilen oder vorbereiten." Nachfragen zu Details begegnet der Ex-OB mit erstaunlicher Ahnungslosigkeit. Wofür ein Mitarbeiter im Bauamt, heute einer der zehn Angeklagten, exakt zuständig war - "das weiß ich nicht". Als 2009 baurechtliche Zweifel und Sicherheitsbedenken gegen das Massenevent auftauchten, mischte Sauerland sich nach eigener Aussage nicht ein: "Das war dann Sache der Fachlichkeit." Im Zweifelsfall verweist der frühere Rathauschef auf seinen damaligen Ordnungsdezernenten Wolfgang R.: "Soweit ich mich erinnere, ist alles über Herrn R. gelaufen." Auch R. wird demnächst vor Gericht erscheinen. Als Zeuge, für eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung reichte die Beweiskette nicht.

Sauerland agiert vor Gericht, wie er sich schon nach der Katastrophe verhielt

Stoisch sitzt Sauerland da, die Fragen perlen an ihm ab. Einmal verliert Richter Plein kurz die Geduld mit dem Zeugen, der als Ex-OB so wenig mitbekam: "Wir reden hier ja nicht über den Flohmarkt in Duisburg-Marxloh. Wir reden über die Loveparade." Sauerland bleibt ungerührt, selbst als Plein genervt nachlegt: "Klein Erna würde sagen, das ist alles komisch." Dass sein Ordnungsamtschef im Rathaus gegen die Loveparade war, wusste Sauerland zwar. Aber er fragte nicht nach. Auch nicht, als schon 2009 der damalige Duisburger Polizeipräsident Rolf Cebin scharf vor den Gefahren des Techno-Massenauflaufs warnte. Dessen Brief habe er "weitergegeben zur Überprüfung" in den Bauch der Verwaltung, sagt Sauerland, "so ein Schreiben wird abgearbeitet." Ohne Wiedervorlage.

Sauerland agiert vor Gericht, wie er sich schon in den Wochen und Monaten nach der Katastrophe verhielt: Er igelt sich ein, bestreitet jede juristische Verantwortung - und ist unfähig zu Reue oder Scham. Weil er damals ein Jahr lang brauchte, um öffentlich Mitgefühl zu zeigen mit den Opfern, jagten die Duisburger ihn 2012 per Bürgerbegehren aus dem Amt. Er habe "reagiert wie ein armes Schwein", sagte Sauerland damals von sich selbst. Déjà-vu am Mittwoch: kein Wort der Trauer.

"Herr Sauerland war die Symbolfigur der Stadt, da hatten wir schon eine Erklärung erwartet", sagt Julius Reiter, ein Anwalt der Nebenklage. Dessen Herumdrucksen sei "peinlich". Sein Mandant Paco Zapater wird sogar noch deutlicher. "Sauerland tut so, als sei er nie Bürgermeister gewesen, sondern nur ein kleiner Verwalter." Verantwortung trugen andere. Der nutzlose Zeuge, für Paco Zapater ist er seit Mittwoch ein "tonto útil" - ein nützlicher Idiot.

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SZ vom 03.05.2018/eca
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