Loveparade: Kritik an Veranstaltern und Behörden:Ein tödlicher Fehler

Wie konnte es zu diesem Drama kommen? Nach der Tragödie bei der Loveparade gibt es viele Fragen - und kaum Antworten. Nur eines steht fest: Alle Teilnehmer über einen einzigen Zugang auf das Gelände zu führen, war ein fataler Fehler. Mit Grafik.

Cathrin Kahlweit

Der Knackpunkt ist der Tunnel, natürlich ist es der Tunnel. Wenn Hunderttausende Menschen innerhalb weniger Stunden durch eine lange, beidseitig begrenzte Schleuse und dann über eine aufsteigende Rampe auf ein 120.000 Quadratmeter großes Gelände gelotst werden, dann laufen sie zwangsläufig durch eine Engstelle.

grafik loveparade

Die Grafik zeigt das Festivalgelände, auf dem sich die Tragödie ereignet hat (zum Vergößern auf das Bild klicken).

(Foto: SZ-Grafik)

Und wenn sich viele Menschen in einem solchen Engpass befinden, wenn von hinten Passanten nachdrängen und vorn zu wenige hinauskönnen, dann entsteht leicht Panik. Selbst wenn der Tunnel 16 Meter breit ist.

Auf der Pressekonferenz der Stadt Duisburg am Sonntag dauert es eine geschlagene Stunde, bis Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe, der sich nach der Katastrophe vom Vortag nun vor allem als Mitglied des Krisenstabes präsentieren möchte, auf eine klare Frage eine klare Antwort gibt: "Gab es nur einen einzigen Zugang?", fragt ein verzweifelter Journalist, nachdem Oberbürgermeister Adolf Sauerland, Polizeichef Detlef von Schmeling und Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller 60 Minuten lang auf alle Fragen nach dem Auslöser für die Massenpanik und nach dem konkreten Hergang der Katastrophe ausgewichen waren. "Ja", sagt Rabe.

"Rein und raus durch einen einzigen Tunnel - das ist ein no go, das geht überhaupt nicht", stöhnt Jackie Jedlicki. Er ist seit 30 Jahren bei der Konzertagentur Marek Lieberberg für Großveranstaltungen zuständig, er hat Rock am Ring mit 100.000Leuten organisiert und André Hellers Feuerwerksshow mit 500.000, und er hyperventiliert fast bei dem Gedanken, dass es irgendein Veranstalter, irgendeine Kommune auch nur für möglich halten kann, nur einen einzigen Zugang für eine Veranstaltung von der Größe der Loveparade vorzusehen.

"Die Unterführung kann so lang wie der Gotthard-Tunnel sein, das ist nicht das Problem. Aber es darf nicht sein, dass man nur auf einem Weg hinein und hinaus kann." Das mindeste, sagt Jedlicki, wäre gewesen, dass die Polizei den Tunnel mit Zäunen in der Mitte geteilt hätte, damit jene, die hineingehen und jene, die hinausgehen, nicht kollidieren.

Das war, wie vieles andere, offenbar im Gespräch, bevor die große Party begann, wie auf der Pressekonferenz danach zu hören ist. Warum hat das aber zum Schluss niemand veranlasst? Warum wurde eine zweite "Zugangsrampe", wie Dezernent Rabe in schönstem Behördendeutsch sagt, erst kurz vor den "Todesereignissen" geöffnet?

Warum hat die Polizei, wie Besucher der Loveparade berichten, den Zugang zum Gelände gesperrt, was die Stadt am Tag danach mit dem Hinweis dementiert, das Gelände sei ja gar nicht überfüllt gewesen, man hätte also gar nicht sperren müssen? Warum waren die Zäune rund um den Veranstaltungsort nicht durch weitere Tore unterbrochen?

Die Versammlungsverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen legt genau fest, wie viele Notausgänge es für wie viele Gäste geben muss, wie viele Urinale für Herren und wie viele Toiletten für Damen vorgesehen sein müssen, und dass Besucher vor den Eingängen, durch Geländer gesteuert, nur einzeln Einlass finden sollen.

Das große Schweigen

Aber am Tag eins nach der Loveparade von Duisburg weiß noch nicht einmal jemand genau, wie viele Menschen am alten Güterbahnhof tanzten und warum ein paar wenige, die über Absperrungen und auf Lichtmasten zu klettern versuchten, eine Massenpanik auslösen konnten. Keiner kann das sagen, so wie die Verantwortlichen überhaupt sehr vage bleiben bei Fragen nach ihrem Sicherheitskonzept. Sie verweisen auf die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft - und schweigen.

Wolf Engelbach ist Leiter der Abteilung Informationsmanagement und zivile Sicherheit am Fraunhofer-Institut in Stuttgart; er forscht über Sicherheitskonzepte bei Großevents, und er weiß, wie komplex allein die Planung und die Koordination aller Beteiligten ist.

Stadt, öffentlicher Nahverkehr, Feuerwehr, Polizei, Veranstalter, Sponsoren, Taxi-Unternehmer, Busbetriebe, Bahn, Krankenhäuser, Rettungsdienste, private Ordnungsdienste müssen vernetzt werden, einheitliche Kommunikationsmittel müssen organisiert werden. Alle Beteiligten müssen bis zur letzten Minute auf dem neuesten Stand sein, Ortskenntnis haben, jedwede Katastrophe von der Bombendrohung bis zum Tornado muss durchgespielt sein. Eine der banalsten Vorkehrungen sei aber, dass "der entspannte Zu- und Abfluss von Menschen immer gewährleistet sein muss", sagt Engelbach.

Am 28. Juni hatte sich der Haupt- und Finanzausschuss der Stadt Duisburg mit der Parade befasst. Entscheiden durfte der Rat wenig, schließlich steht die Stadt wegen ihrer Finanznot unter Kuratel des Landes, und die Abgeordneten hatten schon im Februar einstimmig beschlossen, kein städtisches Geld für die Loveparade einzusetzen. Auf eine kleine Anfrage der Linkspartei nach dem "Stand der organisatorischen Planungen für die An- und Abreise der Gäste" wurden immerhin ein paar Kleinigkeiten veröffentlicht: Eine Info über die "Laufstrecken vom Bahnhof zum Gelände", ein Bus-Notfallkonzept, ein Verkehrskonzept. Mehr nicht.

Der Rat, sagt im Rückblick Jürgen Brand, SPD-Fraktionsvorsitzender, sei immer außen vor gehalten worden; der Oberbürgermeister habe kritische Fragen abgewehrt. Brand war 16 Jahre lang Ordnungsdezernent der Stadt, er kennt sich aus.

Von einem Gegenkonzept der Polizei, über das die Presse schon vor der Loveparade berichtete, weiß er konkret nichts. Allerdings hat Brand immer wieder von allgemeinen Bedenken gegen das Sicherheitskonzept gehört. "Die Planer haben sich vor allem darauf konzentriert, wie man so viele Leute sicher zum Gelände leitet." Was passiere, wenn zu viele Menschen auf das Gelände drängen, das sei wohl zweitrangig gewesen.

Brand sagt heute im Rückblick, alles wäre besser gewesen als der Weg in den Tunnel - eine Route etwa vom Bahnhof über die teilweise tiefer gelegte, gesperrte A 59 bis hin zum alten Güterbahnhof.

So hätten Hunderttausende von der Autobahn auf das Gelände wandern können. Und den Tunnel meiden können. Zu spät.

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