Süddeutsche Zeitung

Loveparade-Prozess:"Das ist wie ein zweiter Tod meiner Tochter"

13 Monate läuft das Verfahren und es hat sich gezeigt, dass Pannen und Planungsfehler zu der Massenpanik beigetragen haben. Dass die Verhandlung nun ohne Urteil zu Ende gehen könnte, können die Familien der Toten nicht verstehen.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Der Vater ist den Tränen nahe. Vor ein paar Minuten hat Paco Zapater erfahren, worauf nun alles hinausläuft in diesem Prozess. Kein Urteil, keine Schuldigen? Zapater fasst sich an die Stirn. Seine Tochter Clara, damals 22 Jahre alt, war am 24 Juli 2010 im Gedränge der Loveparade erstickt, den Button mit ihrem Bild hat sich Zapater ans Rever gesteckt. "Clara hatte Vertrauen in Deutschland", sagt der Vater, "ich bin gerade dabei, es zu verlieren."

Paco Zapater ist selbst Anwalt, der Spanier kennt den Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit. Die Ankündigung des Landgerichts Duisburg vom Mittwoch jedoch, den Strafprozess um die Loveparade wegen meist nur geringer Schuld der zehn Angeklagten demnächst einstellen zu wollen, kann Zapater nicht begreifen. "Das ist wie ein zweiter Tod meiner Tochter." Der Jurist fügt dann noch hinzu, wenn Deutschland so richte, dann brauche es wohl "eine grundsätzliche Reform seiner Justiz."

Nach Darstellung mehrerer Anwälte erwägt Richter Mario Plein, den Loveparade-Prozess gegen sieben der zehn Angeklagte wegen geringer Schuld einzustellen. Das sei beim "Rechtsgespräch" mit den drei Staatsanwälten, 24 Verteidigern und 26 Vertretern von Opfern und Hinterbliebenen "mehr als deutlich geworden", sagte ein Anwalt. Das beträfe alle sechs Mitarbeiter der Stadtverwaltung Duisburg sowie den sogenannten Kreativdirektor der Veranstalterfirma Lopavent. Diese sieben Beschuldigten waren vor allem an der Planung und Organisation der Massenveranstaltung beteiligt und hatten nach Ansicht des Gerichts am Event-Tag selbst das Unglück nicht mehr abwenden können.

Die drei übrigen Angeklagten hingegen, allesamt Angestellte der Firma Lopavent, waren am 24. Juli 2010 für den Ablauf der Veranstaltung mitverantwortlich, unter anderem auch für den Einsatz der Ordner. Bei ihnen, so formulierte der Anwalt der Nebenklage Julius Reiter, läge "eine Art mittlerer Schuld" vor. Für sie will die Staatsanwaltschaft deshalb einer Verfahrenseinstellung nur zustimmen, wenn diese zumindest eine Geldzahlung leisten müssten.

Im Laufe der 13-monatigen Verhandlung hatte sich gezeigt, das Planungsfehler wie auch zahllose Pannen am Veranstaltungstag selbst zu der Katastrophe mit 21 Toten und mindestens 652 Verletzten beigetragen hatten. So wird der Polizei vorgeworfen, falsch oder zu spät eingegriffen zu haben. Ein vorläufiges Gutachten kam zu dem Schluss, das tödliche Massengedränge hätte noch bis 16.31 Uhr abgewendet werden können. Gegen 17 Uhr wurden die ersten Toten gemeldet.

Nach 2020 droht Verjährung

Beigetragen zu der Empfehlung, den Prozess einzustellen, hat auch der Zeitdruck: Das Gericht müsste bis Ende Juli 2020 ein Urteil fällen, sonst droht die Verjährung. Angeblich hat das Gericht eine Liste mit den Namen von 575 Zeugen, die noch gehört werden müssten.

Der Verteidiger Gerd Ulrich Kapteina erklärte nach dem Rechtsgespräch am Mittwoch, die bisherige Beweisaufnahme im Prozess habe "die Anklage nicht bestätigt". Kapteina will der Einstellung des Verfahrens wegen geringer Schuld zustimmen, stellt zugleich aber klar: "Das bedeutet nicht, dass unseren Mandanten irgendeine Schuld trifft."

Opfer-Anwalt Reiter forderte, das Gericht müsse in seinem Beschluss zur Einstellung dennoch klare Verantwortlichkeiten für das Unglück benennen. Dies sei nötig, um den Geschädigten anschließend zivilrechtliche Klagen auf Schadenersatz oder Schmerzensgeld zu erleichtern.

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SZ vom 17.01.2019/nas
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