Lockvogel-Serie: Tatort-Internet:Caritas-Mitarbeiter verschwindet nach TV-Folge

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Die Caritas Würzburg ist entsetzt: Die Redaktion einer von Stephanie zu Guttenberg unterstützten Sendung informierte den Verband fünf Monate nicht, dass ein Pädagoge Kontakt zu Minderjährigen suchte.

R. Deininger

Der Caritasverband Würzburg hat den Leiter eines Kinderdorfs entlassen, der in der umstrittenen RTL-2-Sendung Tatort Internet beim Treffen mit einem vermeintlich 13-jährigen Mädchen gezeigt worden war. Von dem 61-jährigen fehlt jede Spur, seit ihm am Donnerstagnachmittag seine Entlassung mitgeteilt wurde. Am Freitag wurde er als vermisst gemeldet. "Die Familie ist in großer Sorge", sagte der unterfränkische Caritas-Vorsitzende Clemens Bieber zu sueddeutsche.de.

Vorwürfe gegen Tatort Internet: Die Caritas ist entsetzt, dass die Macher der von Stephanie zu Guttenberg unterstützten Sendung sie fünf Monate nicht informierte, dass einer ihrer Mitarbeiter vermeintlich Kontakt zu Minderjährigen sucht - jetzt ist der Mann verschwunden. (Foto: dpa)

Bei der Caritas herrscht Empörung darüber, dass die Redaktion der Sendung, die unter anderem von der Ministergattin Stephanie zu Guttenberg unterstützt wird, weder die Caritas noch die Behörden über das Fehlverhalten des Mannes informiert hatte - und das fünf Monate lang. Die belastenden Aufnahmen mit versteckter Kamera waren bereits im Mai beim Ökumenischen Kirchentag in München entstanden. "Es stellt sich die Frage, ob es dem Sender wirklich um den Schutz der Kinder geht oder doch nur um die Einschaltquote", sagte Bieber.

Die Sendung war am Montag ausgestrahlt worden. Gegenüber seinem Arbeitgeber hatte der Kinderdorfleiter dann am Donnerstag zugegeben, in einem Internetchatroom mit anzüglichen Bemerkungen Kontakt zu dem Mädchen aufgenommen zu haben. Die Staatsanwaltschaft Würzburg bestätigte, dass sie wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern ermittelt. Nach Einschätzung des Missbrauchsbeauftragten der Diözese Würzburg, Klaus Laubenthal, stellen die am Montag bei RTL2 gezeigten Vorfälle allerdings "noch keine Sexualstraftat" dar, "sondern nur eine Distanzlosigkeit und Grenzüberschreitung".

Caritas-Chef Bieber sagte, man habe das Verhalten des Mannes dennoch "keinesfalls dulden" können und umgehend die Staatsanwaltschaft informiert. Es werde nun "alles getan", um "schnellstmöglich" zu klären, ob es im Umfeld des Kinderdorfs zu Übergriffen gekommen sei. Bisher lägen dafür keine Anhaltspunkte vor. Der 61-Jährige war in der Einrichtung im Würzburger Stadtteil Gartenstadt Keesburg für 37 Jugendliche zwischen sechs und 18 Jahren verantwortlich. Die Eltern der Kinderdorf-Bewohner seien sofort benachrichtigt worden, sagte Bieber.

In dem gut neunminütigen RTL-2-Beitrag verabredet sich der grauhaarige Heimleiter, der sich den Chatnamen "Xerxes" gegeben hat, am Rande des Kirchentags in einem Münchner Restaurant mit der vermeintlich 13-jährigen, blonden "Leila". Nachdem im Chat von möglichem "Kuscheln" und "Küssen" die Rede war, sprechen die beiden in der Gaststätte darüber, dass der Mann in der Wohnung des Mädchens im Gästezimmer übernachten könnte.

Dann unterbricht eine RTL-2-Journalistin das Gespräch, sie gibt sich als Mutter des Mädchens aus. Der Mann, der sich tatsächlich als Kinderdorfleiter vorstellt, räumt ein, dass das Treffen mit der Minderjährigen "zweifelhaft" sei, beteuert aber, dass "nichts passiert ist und nichts passiert wäre". Die Konfrontation endet, ohne dass sich die Journalistin zu erkennen gibt. Im Chat nimmt "Xerxes" laut Dokumentation von RTL später erneut Kontakt mit "Leila" auf.

Eine Sprecherin von RTL 2 sagte dem Main-Echo, man habe die Informationen über die Vorfälle in München nicht weitergegeben, weil "kein Straftatbestand" vorgelegen habe. Caritas-Chef Bieber lässt dieses Argument nicht gelten: "Man muss sich nur vorstellen, was in diesen fünf Monaten alles passieren kann."

Die von Stephanie zu Guttenberg umfangreich beworbene TV-Reihe steht ohnehin massiv in der Kritik, weil die potenziellen Täter durch Lockvögel provoziert werden. Ebenso gilt die unzureichende Unkenntlichmachung der Männer als problematisch. Medienrechtler weisen darauf hin, dass für die Männer die Unschuldsvermutung gelten müsse und sie nicht an den Pranger gestellt werden dürften. Es sei bislang nicht strafbar, Kinder im Netz anzusprechen.

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