Neue britische Premierministerin:Die doppelte Liz Truss

Neue britische Premierministerin: Liz Truss wurde am Dienstag von der Queen zur Premierministerin ernannt. Einen Teil der fälligen Glückwünsche erhielt auf Twitter aber @LizTruss, zum Beispiel von der schwedischen Regierung.

Liz Truss wurde am Dienstag von der Queen zur Premierministerin ernannt. Einen Teil der fälligen Glückwünsche erhielt auf Twitter aber @LizTruss, zum Beispiel von der schwedischen Regierung.

(Foto: Tayfun Salci/imago images/Zuma Wire/Collage: SZ)

Spitzenpolitiker gratulieren einer völlig unbekannten @LizTruss auf Twitter zum neuen Job als britische Premierministerin. Warum Doppelgänger etwas Tröstliches sind.

Von Marcel Laskus

Die Weltgeschichte klopft nur selten an der Tür gewöhnlicher Menschen, und wenn sie es dann tatsächlich einmal tut, ruft sie nicht mal vorher an. Zuletzt stattete sie einer bis dahin recht unbekannten Frau unvermittelt einen Besuch ab. Nur ein paar Leute folgten ihr bei Twitter, und wohl auch deshalb gab sie sich dort völlig zu Recht ausschließlich den Unzulänglichkeiten des Alltags hin. Am 22. Mai 2015 schrieb sie zum Beispiel: "Du weißt, dass es ein guter Montag ist, wenn du mit einer Burger-King-Krone aufwachst." Am 19. August 2016: "Habe gerade mein Haar mit Deo statt mit Trockenshampoo eingesprüht." Beide Beiträge erhielten jeweils einen Like.

Dann brach der 5. September 2022 an. Und die Frau, die den Namen Liz Trussell trägt, war nicht mehr allein.

Sie bekam nun Glückwünsche aus aller Welt. Nicht nur von irgendwem, sondern auch von einem verifizierten Account der schwedischen Regierung, der sie als neue Premierministerin von Großbritannien ansprach. Souverän und mit der in den Jahren zuvor bewiesenen recht britischen Trockenheit (s. o.) reagierte die amerikanische @LizTruss, so ihr Twitter-Name, auf die Nachricht der Köttbullar-Nation: "Freue mich auf einen Besuch! Bereitet die Fleischbällchen vor!" Der Irrtum flog dennoch auf, die Schweden löschten den Glückwunsch. Premierministerin von Großbritannien wurde nicht die US-amerikanische Liz Trussell, sondern die britische Liz Truss. Doch dann ging es erst richtig los.

Was hält @LizTruss wohl vom Brexit?

Denn wenig verzückt die Menschheit so sehr wie die Erkenntnis, dass der Einzelne sich seiner Einzigartigkeit nicht ganz sicher sein kann. Erst recht, wenn eine Person weltberühmt ist und ihr Doppelgänger montags Burger-King-Kronen trägt. In Redaktionsstuben aller Breitengrade waren nun längst Journalistinnen und Journalisten auf das ungleiche Duo aufmerksam geworden und überschütteten die unverhofft prominente @LizTruss mit Interview-Anfragen. Ob sie wie die Premierministerin denkt? Was sie wohl vom Brexit hält? Sie will es wohl für sich behalten. Ein Interview gab es von ihr bisher nicht.

Das Bedürfnis, zu erfahren, wie ein Doppelgänger tickt, bleibt also ungestillt. Und das ist nichts Neues. In der Mythologie verschiedener Kulturen betrachtete man den Schatten als eine Art persönlichen Doppelgänger, als Spiegelbild der Seele. Sigmund Freud beschrieb den Doppelgänger als "verdrängten Anteil im Ich". Und vielleicht auch um aus dessen verdrängten Seiten schlau zu werden, sucht eine Doppelgänger-Agentur seit Monaten verzweifelt nach einem brauchbaren Double für Olaf Scholz. Fast schon masochistisch gieren die Menschen nach Belegen dafür, dass die eigene Großartigkeit ihre Grenzen hat.

Jeder ist mit jedem verwandt - über 6,6 Ecken

Das ist tröstlich und traurig zugleich: Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist es ja so, dass jeder je gedachte Gedanke in den 300 000 Jahren der Existenz des Homo sapiens schon einmal in irgendeinem Zusammenhang und irgendeiner Sprache gedacht wurde. Genauso wurde jedes noch so schöne Gesicht wohl schon einmal aus der Kombination von zwei Gen-Baukästen in nahezu identischer Gestalt erschaffen, jeder Name (Ausnahme: Elon Musks Sohn namens X Æ A-12) irgendwann an irgendwen schon mal vergeben. Und glaubt man den Berechnungen einiger Wissenschaftler, ist sogar jeder Mensch mit jedem anderen Menschen über 6,6 Ecken verwandt.

Stunden nach den ersten Glückwünschen teilte die US-amerikanische @LizTruss ihren mittlerweile fast 20 000 Followern mit: "Puh, was für ein Tag." Ein Satz, der nachvollziehbar und banal klingt. Vor allem ist es nicht unwahrscheinlich, dass dieser Satz exakt so auch der britischen Liz Truss, die von der Queen immerhin zu einer der wichtigsten Personen des Landes ernannt wurde, durch den Kopf gegangen ist.

Zur SZ-Startseite
PM Liz Truss Takes Her Place At Number 10

SZ PlusGroßbritannien
:"Wir können den Sturm überstehen"

Normalerweise haben neue Regierungschefs 100 Tage Zeit, um sich zu beweisen. Davon kann bei Liz Truss keine Rede sein. Der Druck ist groß: Sie übernimmt ein ziemlich angeschlagenes Land. Und will noch diese Woche handeln.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: