Geschichte des Lippenstifts:Politik der roten Lippen

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Maske oder roter Mund? Diese Frau zeigt in Jerusalem, dass beides geht. (Foto: Nir Alon /imago images/ZUMA Wire)

Modemagazine beschwören weiter Trendfarben, dabei steht es um den Lippenstift in Maskenzeiten schlecht. Aussterben werden rote Lippen aber wohl nicht. Immerhin waren sie immer auch ein Zeichen des Widerstandes.

Von Felicia Klinger

Während Katy Perry die künstliche Kirsche vom Mund ihrer Partybekanntschaft schleckt, heiratet Cliff Richards in seinem Schlager eine Frau, die hauptsächlich aus einem roten Mund besteht. Von "Rote Lippen soll man küssen" bis "I kissed a girl" - geschminkte Lippen werden gerne als Symbol der Verführungskraft besungen. Eine Studie der Universität Manchester zeigte: Wer roten Lippenstift aufträgt, fesselt sein Gegenüber ganze 7,3 Sekunden länger als Ungeschminkte. Derzeit allerdings steht es nicht gut um das Makeup, das auch immer ein Zeichen des Widerstandes war.

Zwar beschwört die Kosmetikindustrie in der Pandemie gerne den Lippenstift-Effekt (je schlechter es um die Wirtschaft steht, desto stärker steigt der Verkauf von Kleinkram wie Lippenstiften), die Zahlen erzählen aber eine andere Wahrheit: Der Umsatz des Kosmetikmarktes ist 2020 massiv eingebrochen, es sind harte Zeiten, auch für die Beauty-Branche. Die Menschen verbringen einfach zu viel Zeit zu Hause und wenn sie mal rausgehen, dann ist der Mund oft unter der Maske verborgen. Aussterben werden roten Lippen aber wohl trotzdem nicht so schnell. Modemagazine erklären derzeit wieder, wie zum Trotz, warum diese nie aus der Mode kommen, Trendfarben für den Sommer werden vorgestellt (klassisch rot bis orangerot), und auch auf den Laufstegen sind die Münder (wieder oder immer noch) farbig.

Lippenstifteffekt? Fehlanzeige! Wenn die Menschen mal rausgehen, dann ist der Mund oft unter der Maske verborgen. (Foto: Sascha Steinach /imago images/Steinach)

Immerhin schminken sich die Menschen seit mehr als 5000 Jahren ihre Lippen. Darauf deuten zumindest Ausgrabungen in der sumerischen Stadt Ur hin, dort hatte man in Königsgräbern aus dem Jahr 3500 vor Christus eine Art Lippenpaste aus Bleiweiß und zerstoßenen roten Steinen gefunden. Der Trend schwappte über die Assyrer nach Ägypten, wo sich Männer und Frauen die Münder anmalten, wer sich dort die Lippen schminkte, konnte es sich leisten. Neben rot wurden auch pinke, orangene oder blau-schwarze Farben beliebt. Etwa zur Zeit Kleopatras entdeckte man, dass sich aus etwa 100 000 zerquetschten Schildläusen 50 Gramm karminroter Farbstoff herstellen lässt.

Eine Warn- und Signalfarbe

In Griechenland, um 500 vor Christus, schminkten sich nur die Hetären ihre Lippen, wurde eine ohne Makeup erwischt, konnte sie wegen Täuschung bestraft werden - mit blassen Lippen habe sie sich als vornehme Frau ausgegeben. Die rote Farbe wurde so zum Zeichen der sozial Geächteten, schreibt Sarah E. Schaffer in ihrem Aufsatz über die Regulierung des Lippenstiftes. Bis etwa 200 Jahre später sich die gesellschaftliche Meinung änderte: Rote Münder wurden schick. Poppaea Sabina etwa, die zweite Frau Neros, soll im alten Rom 100 Sklaven als Stylisten beschäftigt haben.

Eine Frau mit geschminkten Lippen im Archäologische Nationalmuseum in Athen. (Foto: imago stock&people/imago/Danita Delimont)

Eine geschminkte Frau sei die Verkörperung des Teufels, weil sie ihr gottgegebenes Gesicht verändere, hieß es dann im Mittelalter in England. Erst Königin Elizabeth I. benutzte als eine der ersten eine Art Stift, um ihre Lippen im Kontrast zum weiß gepuderten Gesicht rot zu schminken. Sogar lebensrettende Kräfte sprach sie diesem zu. 1770 verabschiedete das englische Parlament dann wieder ein Gesetz, demzufolge Ehen annulliert werden konnten, wenn der Mann durch rote Lippen verführt wurde. Das sei Hexerei.

Im frühen 20. Jahrhundert wurde der Lippenstift dann zum Zeichen weiblicher Rebellion. Die New Yorker Suffragetten schminkten sich 1912 bei ihrem Protestmarsch öffentlich die Lippen, erläutert Rachel Felder in ihrem Buch "Red Lipstick". Dank der Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht und Modeschöpferinnen wie Coco Chanel zeigte sich die moderne Frau von nun an mit Lippenstift.

"Patriot Red": Eine Frau schminkt sich 1943 die Lippen in Washington, D.C. (Foto: Circa Images/imago images/glasshouseimages)

Auch im Kampf gegen den deutschen Faschismus spielten rote Lippen eine Rolle. Die deutsche Frau sollte in der nationalsozialistischen Ideologie möglichst "natürlich" sein, also trugen Engländerinnen und Amerikanerinnen Lippenstifte, die "Victory Red" oder "Patriot Red" hießen. Diese Symbolik begrüßte sogar die damalige US-Regierung und beauftragte 1941 Elizabeth Arden einen Lippenstift zu entwerfen, der mit den Uniformen der Soldatinnen harmonierte.

Nach dem Sieg der alliierten Lippenstift-Front verpassten Schauspielerinnen wie Elizabeth Taylor oder Marylin Monroe dem selbstbewussten Look dann den Hollywood-Glamour.

Schauspielerinnen wie Marylin Monroe verpassten roten Lippen den Hollywood-Glamour. (Foto: imago stock&people/imago/EntertainmentPictures)

Doch auch Jahre später können rote Lippen noch provozieren: Dragqueens spielen mit Geschlechteridentitäten, und sogenannte Lipstick Lesbians inszenieren ganz bewusst ihre Weiblichkeit, die nicht im männlichen Begehren gründet. Und so sind rote Lippen, Maske und Absatzzahlen hin oder her, bis heute viel mehr als nur eine Einladung zum Küssen.

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