Linken-Politiker macht Praktikum in Kita:Du, Gregor, ich muss mal

"Kommst du morgen nicht?", fragt ihn am Ende des Tages ein kleines Mädchen. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi hat anlässlich des Weltfrauentages ein Schnupperpraktikum in einer Berliner Kindertagesstätte absolviert: Wie er sich dabei angestellt hat.

Anja Perkuhn, Berlin

Der Wald rauscht vom Regen, der Verkehr brummt über die Straße, und Gregor Gysi trägt einen Ast. Das ist nicht seine Idee gewesen, der Fraktionsvorsitzende der Linken gehorcht nur. Andere wissen es dieses eine Mal besser als er: Der Ast nämlich konnte nicht dort bleiben, wo er lag, weil dort ein kleiner, kranker Nadelbaum wohnt. Sagt jedenfalls Amelie. Amelie ist fünf Jahre alt und schaut Gysi bei dieser Erklärung so unbeeindruckt an, als wären sie beide gleich groß. Er nickt verständnisvoll, hebt die beslipperten Füße etwas höher und folgt der Spielgruppe der Kita "Waldspielhaus" tiefer ins Unterholz.

Gysi macht zum Internationalen Frauentag Praktikum in Kindertagesstaette

Politiker "tragen Schlipse" und "streiten immer", sagen die Kinder des Waldspielhauses in Berlin-Grünau. Dort machte Gregor Gysi einen Tag lang ein Praktikum.

(Foto: dapd)

Gysi, 64, ist an diesem Tag der Praktikant Gregor. Zum Weltfrauentag hat die Linke nämlich ein mit Anführungszeichen versehenes Projekt geplant: Während nur die Frauen ins Parlament gehen, machen die männlichen Abgeordneten der Partei ein Tagespraktikum in "Frauenberufen": als Küchenhilfe in einer Krankenhauskantine (Herbert Behrens), als Friseur (Stefan Liebich) oder Putzkraft (Steffen Bockhahn), als Hostess im ICC (Roland Claus) oder eben als Kindergärtner.

Sie sollen dort "die harte Arbeit kennenlernen, die sonst zum größten Teil Frauen leisten" und die vor allem schlecht bezahlt ist - so steht es im Pressetext der frauenpolitischen Sprecherin der Linken, Yvonne Ploetz.

"Einmal im Jahr mag ich Chefinnen"

"Der Gregor wird heute eine paar schöne Stunden mit uns verbringen", so hat Erzieherin Jana Besser den Praktikanten vorgestellt. Und der Gregor hat gesagt: "Einmal im Jahr mag ich Chefinnen."

Im Waldspielhaus in Gysis Wahlkreis Treptow-Köpenick geht es zwischen Holz-Igeln und Moosbildern an den Wänden an diesem Tag nicht allzu hart zu: Einige Kinder sind mit ihren Familien im Urlaub, einige kommen erst später. Anstatt der 19 Kinder sind es in der Gruppe also nur zwölf. Und der Tagesablauf ist auch sehr unaufgeregt. "Den wollten wir auf keinen Fall ändern", sagt Kita-Leiterin Ramona Herzberg.

Ganz egal, dass da ein Mann im grauen Cordsamtjackett auf einem Holzstuhl sitzt und von seinen Kindheitserinnerungen erzählt: Ab 8 Uhr gibt es das gleiche Frühstück für alle und ungezuckerten Tee, kurz vor neun Uhr gehen die Kinder im Wald hinterm Haus spielen und kurz vor elf Uhr wieder zurück. "Wer dann mal muss, der geht, und dann gibt es Mittagessen", sagt Herzberg. Hätte sie nicht eine Dose mit Biobutter und einen Karton Biomilch in den Händen, würde sie jetzt wohl die Hände in die Hüften stemmen.

Seine eigene Thermohose fürs Spielen in der Natur hat Gysi unfallfrei angelegt, bei Finn muss er noch ein bisschen nachjustieren. Da beide Betreuerinnen der Waldgruppe anwesend sind, kann der Praktikant Gregor auch mal Fehler machen, ohne den ganzen Betrieb durcheinander zu bringen - und er hat Zeit, um zwischendurch der Politiker Gysi zu sein.

"Mein Tag hier ist ja eher symbolisch", betont er. Innerhalb von fünf Stunden könne man keine Probleme lösen, sondern nur auf sie hinweisen. "Du, Gregor, komm mal!", rufen die zwei- bis sechsjährigen Knirpse zwischen den Bäumen. Was für sie Politiker sind, hat Herzberg sie am Morgen gefragt. "Die mit den Schlipsen", haben sie gesagt. Und: "Die streiten sich immer."

Nicht einmal 1000 Euro für eine 30-Stunden-Woche

Herzberg schaut noch einmal über die Schulter und zählt die neonleuchtenden Warnwesten, in denen die Kinder herumtoben. Jetzt, wo Gysi da sei und mit ihm die Medien, könne man öffentlich auf einiges hinweisen, sagt sie. "Denn dass eine Mitarbeiterin mit einer 30-Stunden-Woche mit nicht einmal 1000 Euro hier rausgeht, das geht so einfach nicht."

Eine der beiden Betreuerinnen sitzt auf einem Baumstumpf und schreibt ein Beobachtungsprotokoll über die Kinder in ihre Kladde. Eigentlich wäre das der Praktikantenjob gewesen, aber Gysi steht mit seinen Schützlingen um den kleinen, kranken Nadelbaum herum. "Er kann gut mit den Kindern umgehen", sagt Herzberg. Und: "Das ist schon etwas anderes mit einem Mann. Wir Frauen sind ja emotionaler und eher die Bruthennen, die Beschützer. Männer sind rationaler."

An Tagen, die keine Frauentage sind, arbeitet ein einziger männlicher Betreuer im "Waldspielhaus". Oliver Strangfeld heißt er, ist 32 Jahre alt und macht nach dem Studium hier eine berufsbegleitende Ausbildung. Sagen will er dazu aber nichts. Dafür sagt Gysi umso mehr: "Ich will ein Zeichen setzen", erzählt er gleich drei Fernsehteams. Und: "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit." Es könne nicht sein, dass eine Erzieherin schlechter verdiene als ein Stahlarbeiter.

"Kommst du morgen nicht?", fragt ihn Amelie noch. Gysi sagt: "Nein, leider nicht, da muss ich im Bundestag über die Sonne reden." So furchtbar betrübt sieht er aber gar nicht aus.

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