Süddeutsche Zeitung

Unglück in Beirut:Mindestens 135 Todesopfer

In der Hauptstadt Libanons sollen noch Menschen unter den Trümmern begraben liegen. Premier Diab gibt eine mögliche Ursache bekannt: Im Hafenviertel lagerten demnach Tonnen des hochexplosiven Stoffs Ammoniumnitrat - völlig ungesichert.

Von Moritz Baumstieger und Paul-Anton Krüger

Im Zentrum der libanesischen Hauptstadt Beirut ist es am Dienstagabend zu einer schweren Explosion gekommen. In sozialen Medien veröffentlichte Bilder zeigten, wie über dem Hafengelände oder in seiner Nähe zunächst eine Rauchsäule aufsteigt, anschließend breitet sich eine Druckwelle pilzförmig aus. Diese richtete in den Straßen der Innenstadt große Zerstörung an, wie etwa Bilder aus dem Einkaufszentrum Beirut Souks auf dem ehemaligen Basargelände zeigen. Selbst in mehr als einem Kilometer Entfernung brachen Fenster und Balkontüren, rissen schwere Äste von Bäumen ab und stürzten Mauern ein.

Die libanesische Armee half dabei, die Verletzten in Krankenhäuser zu bringen und rief zu Blutspenden auf. Das Libanesische Rote Kreuz hat die Zahl der Toten mit mindestens 135 beziffert. Mehr als 5000 Menschen seien verletzt worden, teilte die Hilfsorganisation am Mittwoch mit. Möglicherweise habe es noch weitere Tote gegeben. Zuvor war von mindestens 70 Toten die Rede gewesen. Beamten in der Hauptstadt des Libanons zufolge sind Menschen unter den Trümmern begraben. Weite Teile des Hafens sind dem Erdboden gleichgemacht worden, viele Gebäude in Beirut wurden beschädigt.

Wohnungen von Zehntausenden Menschen wurden zerstört. Beiruts Gouverneur Marwan Abbud sagte am Mittwoch dem libanesischen Sender MTV, zwischen 200 000 und 250 000 Einwohner hätten ihre Unterkünfte verloren. Der Schaden liegen zwischen drei und fünf Milliarden Dollar, erklärte Abbud weiter, wie die staatliche Nachrichtenagentur NNA berichtete.

Im Netz zirkulierende Videos, die nahe dem Zentrum der Explosion aufgenommen worden sein sollen, zeigten leblose, von Trümmerstaub überzogene Köper. Der Gouverneur der Hauptstadt sprach von einer "nationalen Katastrophe, vergleichbar mit Hiroshima". Die genauen Hintergründe der Explosion sind noch unklar, geben aber Raum für verschiedenste Interpretationen.

Ministerpräsident Hassan Diab sagte am späten Abend im Präsidialamt, eine sehr große Menge Ammoniumnitrat könnte die Detonation verursacht haben. Eine Ladung von schätzungsweise 2750 Tonnen der Substanz habe sich in einer Halle am Hafen befunden. Der Stoff sei dort sechs Jahre lang ohne Sicherheitsvorkehrungen gelagert worden - das sei "unvertretbar", so Diab.

Gefährliche Ladung eines aufgegebenen Schiffs

Zuvor hatte es bereits entsprechende Spekulationen gegeben. Berichten zufolge hatten libanesische Behörden im Jahr 2013 einem Frachtschiff die Weiterfahrt wegen verschiedener Mängel untersagt, das von Georgien ins südafrikanische Mosambik unterwegs war. Der Besatzung gingen Treibstoff und Proviant aus, der Inhaber gab das Schiff dann offenbar auf. Der Crew wurde nach einem juristischen Streit schließlich die Ausreise genehmigt. Das Schiff blieb zurück mit der gefährlichen Ladung, die in einem Lagerhaus untergebracht wurde.

Ammoniumnitrat, das auch zur Herstellung von Sprengsätzen dienen kann, kann bei höheren Temperaturen detonieren. Die Substanz dient zum Raketenantrieb und vor allem zur Herstellung von Düngemittel. Die farblosen Kristalle befanden sich auch in dem Gefahrgutlager der chinesischen Stadt Tianjin, wo 2015 nach einer Serie von Explosionen 173 Menschen getötet wurden. In Deutschland fällt die Handhabung von Ammoniumnitrat unter das Sprengstoffgesetz.

Gerüchte machen die Runde

Einige politische Beobachter glaubten wegen der Größe der Explosion in Beirut zunächst nicht an einen Unfall, tippten eher auf einen Luftangriff oder die Detonation einer Bombe. Auch US-Präsident Trump sprach am Dienstagabend (US-Zeit) unter Berufung auf seine Generäle von einem Anschlag in Beirut. In den vergangenen Tagen war es im Grenzgebiet mit Israel zu bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen. Israels Luftwaffe hatte noch in der Nacht iranische Ziele in Syrien bombardiert. Israelische Medien zitierten namentlich nicht genannte hochrangige Regierungsmitarbeiter mit der Aussage, das Land habe nichts mit dem Vorfall zu tun.

Auch wird für Freitag ein brisantes Gerichtsurteil erwartet: Ein Sondertribunal der UN will dann sein Verdikt über vier Hisbollah-Mitglieder verkünden, die verdächtigt werden, vor 15 Jahren bei dem Bombenattentat auf den damaligen Premier Rafiq al-Hariri beteiligt gewesen zu sein. Diese These befeuerten noch unbestätigte Berichte von einer zweiten Explosion in Beirut in der Nähe des Hauptquartieres der Zukunftsbewegung, Tayyar al-Mustaqbal, der Hariris Sohn vorsteht. Saad Hariri, der das Land nach dem Tod seines Vaters lange als Premier führte, bis er im Herbst 2019 seinen Rücktritt bekannt gab, sei jedoch unverletzt.

Libanon durchleidet derzeit ohnehin eine Phase großer Instabilität: Eine Wirtschafts- und Finanzkrise hat den Staat an den Rande des Bankrotts geführt. Inflation und Arbeitslosigkeit stiegen zuletzt rapide, selbst die einst breite Mittelklasse droht zu verarmen. Die Regierung konnte sich trotz dringend benötigter Kredite nicht auf Reformen einigen, von denen etwa der Internationale Währungsfonds Hilfen abhängig macht. Wegen der bescheidenen Bilanz des Kabinetts trat am Montag Außenminister Nassif Hitti nach nur sechs Monaten im Amt zurück.

Mit Material der Agenturen

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