Levke-Prozess:"Eine gerechte Strafe wird es nicht geben"

Bewegend schildert die Mutter der ermordeten Levke, wie das Leben der Familie seit ihrem Verschwinden aus den Fugen geraten ist.

Von Hans Holzhaider

Nur selten gibt es in einem Strafprozess Momente, in denen die volle Dimension eines Verbrechens wirklich fühlbar wird. Der Atmosphäre des Gerichtssaals und den strengen Formalitäten des Verhandlungsablaufs sind Emotionen nicht zuträglich, und die Opfer einer Tat werden in der Regel nicht ermutigt, ihre Gefühle zu zeigen.

Aber am zweiten Verhandlungstag im Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder von Levke und Felix, Marc Hoffmann, gab es einen solchen Moment. Levkes Mutter Ulrike S. trat in den Zeugenstand. Zur Aufklärung des Verbrechens hatte sie nichts beizutragen. Aber nach ihrer Aussage gab es keine unbeteiligten Beobachter mehr im Saal. Es gab nur noch mitfühlende Menschen, viele hatten Tränen in den Augen.

Stetes Misstrauen

"Ich will Ihnen mal erklären, was es bedeutet, ein Kind auf diese Art und Weise zu verlieren", begann Levkes Mutter. Sie ist 39 Jahre alt, Krankenschwester von Beruf. Die achtjährige Levke war das jüngste von drei Geschwistern. "Wir haben uns immer drei Kinder gewünscht, wir haben unser Leben so eingerichtet.

Die Kinder kamen bewusst dicht hintereinander. Sie sollten zusammen groß werden." Levkes Schwester Wencke ist 14, ihr Bruder Hauke 11 Jahre alt. "Dieses ganze Gleichgewicht, dieses Mobile der Familie, ist kaputt."

Ulrike S. schildert den Augenblick, in dem sie nach Hause kam, und die ältere Tochter ihr entgegenlief und rief: "Levi ist weg." "Ja, und dann beginnt einfach die Hölle.

Das Leben bestand nur noch aus essen, trinken, schlafen. Vier Monate lang. Und Sie wissen nicht, was Sie gegessen und getrunken haben. Es gibt nur noch den Gedanken: Wo ist mein Kind? Wo ist Levke? Und dann findet man den Ranzen und die Jacke, achtlos weggeworfen, aber Levke ist nicht da. Manchmal denkt man, man schafft es nicht, aber man muss doch durchhalten."

Ulrike S. schildert, wie sich das Verhältnis zu Freunden, Nachbarn, Bekannten veränderte. "Wir lebten in einem Ort, und trotzdem isoliert. Die Menschen hatten Angst, uns zu begegnen, sie wichen uns aus - aus Angst, etwas Falsches zu sagen, in Tränen auszubrechen."

Dazu kam das Misstrauen. "Sie wissen ja nicht, wer es war. So oft ist es ja der liebe Nachbar, der gute Onkel. Bei jedem fragt man sich: Wie guckt der? Wie benimmt der sich?" Dann wurde Levkes Leiche gefunden, und der Täter ermittelt. "Es war keine Freude im Haus, als uns mitgeteilt wurde, dass Hoffmann der Täter ist", sagt Ulrike S., "nur Erleichterung, dass er keine anderen Kinder mehr töten wird. Levi bringt es uns nicht wieder.

Sie hat keine zweite Chance. Wir haben keine zweite Chance." Später sagt sie, dass ihr egal ist, wie hoch die Strafe für Marc Hoffmann ausfällt: "Eine gerechte Strafe wird es nicht geben, denn er lebt weiter und sie nicht".

Dann spricht Levkes Mutter über das Leben in der Familie, seit Levke verschwand. "Sie war ein Stück von uns. Sie hat die Familie mit geprägt. Sie war so ein lebendiges, fröhliches Kind.

Keine Antwort

Sie fehlt uns morgens, mittags, abends." Es gebe ja, sagt Frau S., Familienrituale, "jeder weiß das, der Kinder hat. Die Frage am Frühstückstisch: Was willst du auf dein Brot? Und die Antwort war immer: Mettwurst. Wir konnten lange Zeit keine Mettwurst mehr essen." Die Zuhörer spüren, wie sehr das Mädchen noch gegenwärtig ist für ihre Mutter.

Ulrike S. verfällt in ihrer Erzählung in die Gegenwartsform: "Sie singt gern. Sie flötet gern. Das ist alles weg." Während der langen Zeit der Ungewissheit über Levkes Schicksal hätten sie versucht, die Geschwister in alles mit einzubeziehen, berichtet sie. "Wir haben gemeinsam Suchplakate gestaltet. Wencke hat die Socke gemalt, die Levke anhatte, mit dem Känguru drauf. Und jetzt müssen wir mit einem Grab leben.

Die Kinder stehen davor und fragen, warum. Ich kann ihnen keine Antwort geben, weil's keine Antwort gibt." Wencke, sagt Ulrike S., hätte gern selbst vor Gericht ausgesagt, was der Verlust der Schwester für sie bedeute, "aber das wollten wir ihr nicht zumuten".

Also hat Wencke zwei Collagen angefertigt - wie das Leben vor Levkes Verschwinden war, und wie nachher. Das Gericht nimmt sie in Augenschein. "Oft denke ich, deine Stimme zu hören", hat die 14-Jährige geschrieben. "Ich vermisse dich mehr, als ich mit Worten ausdrücken kann." Da stehen alle vor dem Richtertisch in ihren schwarzen Roben, Staatsanwälte, Verteidiger, und betrachten die Dokumente kindlicher Trauer.

Da ist noch etwas; Frau S. berichtet es auf Fragen ihrer Rechtsanwältin. Die Mordwaffe, oder das "Tatwerkzeug", der Kabelbinder, mit dem Marc Hoffmann Levke erdrosselt hat.

Solche Dinger, sagt Ulrike S., begegnen einem ja öfter, als man glaubt, neulich zum Beispiel bei Aldi, im Sonderangebot. "Mir ist übel geworden, ich musste rausrennen. Diese Bilder sind einfach da, die werden mich mein Leben lang begleiten. Das Gesicht von Herrn Hoffmann werde ich vergessen. Aber die Kabelbinder nie."

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