Artenvielfalt:Leben mit dem Leoparden

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Im indischen Millionenmoloch Mumbai bevölkern Leoparden einen Nationalpark am Stadtrand. Nachts schleichen sie sich in die Straßen und erbeuten streunende Hunde. Dieses Tier wurde in der Aarey Milk Colony bei Mumbai fotografiert. (Foto: Nayan Khanolkar/nature picture library/mauritius)

Lange glaubte man, dass es den scheuen Raubkatzen in Indien vielleicht gelingen könnte, neben den Menschen Nischen zu finden, um zu überleben. Aber einige tödliche Attacken legen in jüngster Zeit nahe, dass dies immer schwieriger werden könnte.

Von Arne Perras

Wolf und Bär können den Bauern von Bijnor keine Angst einjagen. Das ist nicht weiter verwunderlich, wohnen sie ja auch nicht in Bayern oder dem Trentino, sondern in Indien, wo noch ganz andere Raubtiere durch die Nacht schleichen. Angesichts der Fülle räuberischer Nachbarn würden indische Leserinnen und Leser ohnehin kaum nachvollziehen, warum ein Markus Söder bereits zur Jagd auf Tiere blasen lässt, bevor diese überhaupt in nennenswerter Zahl eingewandert sind. Ein Streit über Phantom-Bären? Da ist man in Asien anderes gewohnt.

In Indien leben Menschen seit Jahrhunderten mit Leoparden und Tigern zusammen. Und ja: Das kann schon mal lebensgefährlich werden, für beide Seiten.

Offenkundig ist, dass der Katzenmythos, wie ihn der Literat Rudyard Kipling im "Dschungelbuch" entworfen hat - Baghira, der Gute, Shir Khan, der Böse -, ins Reich kolonialer Märchen gehört. Mit dem Alltag in Bijnor hat er jedenfalls nichts zu tun: Denn dort herrscht - dem fiktiven Menschenfreund Baghira zum Trotz - Leoparden-Alarm.

Innerhalb von drei Monaten haben die gefleckten Großkatzen in der Gegend nordöstlich der Hauptstadt Delhi sieben Menschen getötet. (Schwarze Leoparden, die Kipling einst als Vorlage für seinen Panther dienten, sind selten.) Das Ausmaß der Attacken lässt selbst im Wildtier-erprobten Indien aufhorchen, denn es passt nicht zu den üblichen Erfahrungen. Lange dachte man, dass gerade der Leopard es schaffen könnte, Nischen an der Seite der Menschen zu besetzen. Kein anderes großes Raubtier gilt als derart anpassungsfähig; keines lebt - und überlebt - so häufig in unmittelbarer Nähe großer Siedlungen.

Sogar im Millionenmoloch Mumbai: Dort bevölkern Leoparden einen Nationalpark am Stadtrand, nachts schleichen sie sich in die Straßen, um streunende Hunde zu erbeuten. Ahnungslos dösen die Köter auf dem Asphalt. Sie sind Fast Food für die Katze, leichter zu fangen als Reh oder Wildschwein.

Gewöhnlich sind Leoparden Meister darin, Menschen aus dem Weg zu gehen. Das ist ihre Lebensversicherung. Anders liegen die Verhältnisse jetzt in Bijnor. Dort ist die Lage eskaliert, und man kann noch nicht abschätzen, was das für die Zukunft indischer Leoparden bedeutet. Landesweit gibt es nur noch etwa 13 000 Tiere, nicht viel in einem Staat, der 1,5 Milliarden Menschen Raum gibt. Aber doch hat Indien eine Katzenpopulation, die womöglich überleben wird - wenn es Experten gelingt, Konflikte wie in Bijnor zu entschärfen. Zwar sind Leoparden streng geschützt, doch wenn die Stimmung großflächig kippt, haben die Tiere wenig Chancen.

In Bijnor wird auf wachsender Fläche Zuckerrohr angebaut. Einerseits gibt das Leoparden gute Deckung. Andererseits sind ihre Reviere nun teils von Bauern bevölkert, die dort arbeiten. Möglich, dass Leoparden, die Menschen früher gar nicht als Beute betrachteten, nun doch mal zugreifen. Die Forstbehörden haben bereits zehn Tiere im Distrikt eingefangen und in ein Schutzgebiet verlegt. Doch die Angst in Bijnor ist geblieben.

Bisher wissen Forscher zu wenig, um die Attacken verlässlich interpretieren zu können. Nur eines ist sicher: Für Indiens Leoparden wird es eng.

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