Wer hautenge Beinkleider für eine neuzeitliche Laune hält, der irrt. Leggingsartige Hosen waren dem nordamerikanischen Stamm der Menominee ebenso vertraut wie dem der Absarokee. Auch die Fallensteller in den Rocky Mountains liebten solche Indianerhosen, die Cowboys in Missouri ebenso, später Jane Fonda beim Aerobic und Michael Jackson, als ihm beim "Earth Song" das Hemd fast wegflog. Leggings sind also etwas Uramerikanisches, und so verwundert es schon, dass die US-Fluggesellschaft United Airlines zwei Mädchen in Denver den Einstieg in eine Maschine nur deshalb verwehrte, weil diese in Leggings die Gangway hinaufmarschierten. Die beiden, so hieß es, seien als Angehörige von Airline-Mitarbeitern besonders günstig geflogen. Damit seien sie aber zur Erfüllung eines strengeren Dresscodes angehalten.
Leggings:Platzende Pellen
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Der Träger: William Shatner.
Der Anlass: Als Captain James T. Kirk, Ende der 1960er-Jahre in "Raumschiff Enterprise".
Die Bedeutung: "Seht ihr? Ich hab's auch schon gemacht", schrieb Shatner auf Twitter, er war einer der ersten, die sich in Leggingsgate zu Wort meldeten. Natürlich war er das, Captain Kirk hat schon Leggings getragen, da waren Schnapsideen wie Twitter noch unendliche Weiten entfernt. Er ist ein Pionier, und jeder, der sich heute im Urlaubsflieger mit Leggings niederlässt, sollte wissen: Er ist nicht Captain Kirk. Ein Captain James T. Kirk, und nur er!, kann Leggings so tragen, dass sie ein betörendes Zeugnis seines Selbstbewusstseins darstellen; sogar, wenn sie knallrot sind, mit bis zum Bauchnabel hochgezogenem Bund. Für einen wie ihn sind die Leggings als optischer Beweis seiner Stärke womöglich noch wichtiger als seine Abzeichen, denn sie betonen wirklich jede Ausbeulung seines Helden-Körpers (Foto: OH).
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Die Trägerinnen: Reese Witherspoon und Mindy Kaling.
Der Anlass: Einigermaßen banal. Zwei Frauen, die eine Schauspielerin, die andere Schauspielerin und Autorin, sind in Neuseeland unterwegs. Heißt auch: bisschen Yoga, bisschen wandern, bisschen Springfotos machen. Welche Kleidung wäre da ursprünglicher und passender als die penetrante Pelle?
Die Bedeutung: Die Pelle wird anno 2017 nach dem Sport nicht mehr schnell ausgezogen und gewaschen - da im Grunde unschön und traditionell eng - nein, sie wird einfach angelassen; vom Morgenlauf über die Achtsamkeitsübung mit den Kollegen bis zum Instagram-Selbstbildnis am Abend. Ja, die Leggings ist ihrem Sporthosenstatus längst entwachsen. Sie ist heute ein Modeaccessoire wie einst das Schweißband. Ob nun Universumsmuster (siehe München) oder schwarze Leggings an einem vorbeijoggen, ist egal, sieht ja beides so aus, als wäre man unentwegt energisch (Foto: Instagram).
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Der Träger: Superman.
Der Anlass: Wenn sich Clark Kent vom Reporter in einen Superhelden verwandelt, reißt er sich den Spießer-Anzug vom Leib - und steht in blauen Leggings da, über denen er eine rote Unterhose und ein Cape trägt.
Die Bedeutung: In der US-amerikanischen Realität würde ein Journalist, der nebenberuflich in Unterwäsche durch die Stadt marodiert und behauptet, er komme vom Planeten Krypton, sehr schnell weggesperrt. Helden in Strumpfhosen werden oft belächelt. Zu Unrecht! Die Superstrumpfhosen haben eine wichtige Schutzfunktion. Superman wurde als Superbaby von seinen Supereltern in einer Rakete zur Erde geschickt, kurz bevor ihr Heimatplanet explodierte. Das Kind war in Decken gewickelt, aus denen Adoptivmutter Martha Kent einen Superstrampelanzug nähte. Krypton-Stoff hält Feuer, Schüssen und Explosionen stand. Die Leggings sind unzerstörbar und deshalb unverzichtbar (Foto: dpa).
Bild: picture-alliance / dpa/dpaweb -
Die Trägerin: Marietje Schaake, 38, niederländische Europa-Abgeordnete.
Der Anlass: durchaus streitbar. Die Politikerin war 2015 als Teil einer Delegation nach Iran gereist. Dort trat sie in Kopftuch, weitem Oberteil und Leggings vor das Parlament.
Die Bedeutung: erst mal ein kleiner Skandal. Offiziell hatte Marietje Schaake mit ihrer Montur die Etikette zwar gewahrt, doch Irans Erzkonservative waren entsetzt. "Es ist, als ob sie nur Unterwäsche tragen würde", wetterte der Hardliner Mahdi Kouchakzadeh auf Instagram. Leggings, bei jungen Iranerinnen durchaus in Mode, hatten schon vorher als "unislamische Kleidung" für emotionale politische Debatten gesorgt. Unter deutschen Politikern herrscht die Übereinkunft, dass Leggings keine adäquate Arbeitskleidung sind, im Bundestag sieht man sie in der Regel nicht. Schade eigentlich. Denn kaum ein anderes Beinkleid steht so sehr für Authentizität und Transparenz. Leggings lügen nie (Foto: Instagram).
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Der Träger: Rudolf Nurejew, Ballett-Tänzer (1938-1993).
Der Anlass: Berufskleidung.
Die Bedeutung: Für Nurejew, während einer Zugfahrt nach Wladiwostok geboren, bedeutete die Strumpfhose zunächst einmal: Abgrenzung von seinem despotischem Vater, einem Soldaten der Roten Armee. Gegen dessen Willen hatte Rudolf eine Ballettausbildung in Leningrad begonnen und später - nach seiner Flucht aus der Sowjetunion - im Westen das Tanztheater revolutioniert. Leicht soll es nicht mit ihm gewesen sein, sein tatarisches Temperament muss ihm oft durchgegangen sein. Natürlich: Wer seine Freizeit lieber auf den Rängen des Fußballstadions als auf den Emporen der Oper verbringt, für den mag selbst ein temperamentvoller Tatare in Gymnastikhöschen noch eine lächerliche Figur sein. Ist aber Blödsinn. Denn wie Nurejew einst in der "Muppet Show" das fette Stoffschwein in die Kulisse warf, das hatte Wrestling-Qualitäten (Foto: imago).
Bild: imago/Leemage -
Der Träger: Ilka Bessin.
Der Anlass: Die Verkörperung der Langzeitarbeitslosigkeit in ihrer tragisch-komischsten Form, als "Cindy von Marzahn".
Die Bedeutung: Selbst seit vier Jahren ohne Job, wollte Bessin eigentlich Kellnerin im Berliner Quatsch Comedy Club werden, doch sie geriet an den Mann, der die Auftritte organisierte - und somit auf die Bühne. Als "Cindy von Marzahn" eroberte sie fortan sogar TV-Höhen wie "Wetten, dass ...?", und neben glitzernden Jacken gehörten Leggings zum Unterstreichen ihrer Hartz-IV-bedingten Tiefkühlernährung unbedingt zu ihrem Outfit dazu. Denn, soviel ist klar: Die in Grazie durchscheinenden Beinkleider von Ballettstars mutieren zum Unterschichten-Look, wenn sie statt sehniger Waden fette Schenkel umspannen. Wirklich jede Ausbeulung des Körpers will man eben nur bei Helden sehen (Foto: dpa).
Bild: imago/ZweiKameraden
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Was ist denn da los? Eine US-Airline verwehrt zwei Mädchen den Einstieg ins Flugzeug, nur weil sie Leggings tragen. Eine Unverschämtheit, so sieht es nicht nur Captain Kirk. Darum: Ein Loblied auf das hautenge Beinkleid.
Von Martin Zips