Süddeutsche Zeitung

Lebensphilosophie:"Man muss Putzen als Tanz verstehen"

Eine Schweizer Völkerkundlerin fordert: "Frauen zurück an den Mopp!" Und mit einem Wisch sind 30 Jahre Emanzipation weg.

Interview: Claudia Fromme

Die Ethnologin Katharina Zaugg, 54, aus Basel erforscht seit 18 Jahren die Putzkultur. Für sie bedeutet Raumpflege aber mehr als streifenfreier Glanz: Der richtige Umgang mit dem Lappen ist für sie eine Lebensphilosophie.

Ihre These: Wenn man freudlos putzt und die Raumpflege verachtet, wirkt ein Haus nicht einladend. Zaugg plädiert für "beseeltes Putzen", das gute Schwingungen in Räume bringen soll.

In Seminaren in der Schweiz, Österreich und Deutschland lehrt sie ihre Theorie der "achtsamen Raumpflege". An zwei Tagen in der Woche schwingt Zaugg, die eine ökologische Reinigungsfirma führt, selbst den Mopp. Ihr bevorzugter Studienort: die Toilette.

SZ: Sie machen alles kaputt, Frau Zaugg. Nach Dekaden der Verweigerung beteiligen sich immerhin zwei Drittel der Männer am Hausputz. Nun fordern Sie: Frauen zurück an den Mopp. Mit einem Wisch sind 30 Jahre Emanzipation weg!

Zaugg: Das sehe ich anders. Frauen haben im Zuge der Emanzipation den Haushalt zurückgelassen und in das Mantra der Verachtung der Putzarbeit eingestimmt. Dadurch ist aber nichts besser geworden. Das Haus ist verwaist, ihm wird keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt - weder von Männern noch von Frauen. Da sage ich: Frauen, erobert euch die Haushalte zurück! Und lasst euch das nicht vermiesen, wenn ihr Spaß an der Raumpflege habt. Diese Rückeroberung ist eine bewusste Entscheidung: Die Frauen haben sich freigewischt. In der postmodernen Gesellschaft ist Raumpflege Bestandteil der Alltagskultur.

SZ: Die in Ihrem Modell ja doch wieder nur von Frauen gepflegt wird.

Zaugg: Es ist ein perspektivisches Modell. Die Bereitschaft der Männer zu putzen ist in der jungen Generation da, und ich plädiere immer für den Rollenwechsel. Wer Männer aber zum Putzen zwingen will, verkrampft und beraubt sich wertvoller Energie. Ich kenne viele Frauen, die gern putzen, es aber nicht laut sagen, weil sie sich dann als Heimchen fühlen. Dabei kann Putzen Wellness sein. Aber ich gebe zu: Die Frauenbewegung kritisiert mich für meine Thesen.

SZ: Der Putzeimer als eine Art Seelenreiniger? Feudeln als kathartischer Akt eines überkommenen Feminismus?

Zaugg: Vielleicht. Das merken zunehmend auch die Männer, die noch - wie viele Frauen auch - in der alten Betrachtung der Raumpflege gefangen sind und daran ermüden: Ich sollte wirklich putzen, aber ich bin zu müde dazu, sagen sie.

SZ: Der Soziologe Ulrich Beck hat derlei Verhalten mal "verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre" genannt. Aber: Wie kriegt man den Mann ganz praktisch an den Lappen?

Zaugg: Versuchen Sie es mit einer Übung im Bad. Verbinden Sie dem Putzmuffel die Augen und lassen Sie ihn mit einem Tuch den Badewannenrand und den Wasserhahn umfahren. Das ist wie Autowaschen. Die Wanne gleicht dem Dach eines Wagens, der Wasserhahn den Armaturen. Putzen wird zum sinnlichen Erlebnis, weil es Männer an etwas erinnert, was sie gerne tun: Autos polieren.

SZ: Ich glaube nicht, dass Männer auf diesen plumpen Trick hereinfallen.

Zaugg: Funktioniert aber!

SZ: Kann aber ins Auge gehen. Putzen ist die Achillesferse der Beziehung. Um Streit zu vermeiden, nimmt man vielleicht besser eine Putzkraft.

Zaugg: Dann streitet man über anderes. Kritisiert man das Putzverhalten des Partners, heißt das eigentlich: Mir gefällt was an dir nicht. Streit übers Putzen ist der Weg, es dem Partner zu sagen, weil einem die Worte für große Dinge fehlen.

SZ: Was ist Ihnen am Putzen neben der Beziehungsdimension noch aufgefallen?

Zaugg: Wenn ich putze, kehre ich den Raum hervor und betrachte ihn ganz anders. Ich sehe die Kehrseite, die ich durch den Prozess des Unreinen zum Reinen wieder umkehre. Während ich das tue, bin ich unsichtbar. Ich habe beobachtet: Die Leute sehen durch mich durch, wenn ich putze. Das hat mit der Verachtung des Berufes zu tun: Wer öffentlich Dreck wegmacht, wird in den Augen der Gesellschaft zu Dreck. Bei der privaten Raumpflegerin ist das oft anders. Aber hier blüht die Schwarzarbeit. Wieder wird ein Mensch unsichtbar gemacht. Diese Verachtung belastet Raumpfleger.

SZ: Wie kann man den Paradigmenwechsel denn nun einläuten?

Zaugg: Ein natürliches Verhältnis zum Putzen entwickeln und eine negativ besetzte Arbeit endlich positiv umbewerten. Wenn man beim Staubsaugen versucht, seinen Ton zu finden und mitsummt, stört das Sauggeräusch nicht mehr. Auch hilft es, neue Putzgeräte einzuweihen. Balancieren Sie einen neuen Besen auf dem Kopf, schon haben Sie eine andere Beziehung zu ihm. Er wird Ihr Besen fürs Leben und nicht nur ein "LAB", ein Lebensabschnittsbesen. Ich sage ja nicht: Putzen ist toll. Ich sage nur: Putzen ist nötig, darum sollten wir es uns so angenehm wie möglich machen.

SZ: Mit dem Besen auf dem Kopf sind Sie zur weltweit ersten Fachtagung zur Putzkultur in Dornach erschienen. Dort wurde nicht nur über Keime und die Soziologie der Hygiene gesprochen, sondern auch gesungen und getanzt.

Zaugg: Man muss Putzen als Tanz verstehen. Elemente aus dem Bauchtanz etwa kann man in die Putzarbeit einbauen. Manche haben Schulterprobleme, weil sie sich beim Saugen verkrampfen. Man muss die Putzarbeit aber in den natürlichen Bewegungsablauf einbauen. Wer frei den Lappen aus der Schulter heraus schwingt, erst in die rechte, dann die linke Hand nimmt, in die Hocke geht und tief ein- und ausatmet, verkrampft nicht mehr. Man muss den Putzgegenstand zu seinem Gegenüber werden lassen.

SZ: Da hätte ich beim Putzen fremder Toiletten aber meine Probleme.

Zaugg: Als Raumpflegerin habe ich schon alles gesehen. Die Toilette ist mein bevorzugtes Terrain, sie ist die Visitenkarte des Hauses. Öffentliche Räume spiegeln den Zustand der Gesellschaft wider, der Zustand der Toiletten zeigt das potenziert. Ich muss sagen: Die Lage ist derzeit nicht gut. Dabei ist das Bad nach dem Feng-Shui der wichtigste Raum im Haus. Nur wenn die Toilette rein ist, gilt das Haus als rein. Wenn ich mich beim Putzen ekele, verkrampfe ich und mache die Ausstrahlung des Raums zunichte.

SZ: Darum haben Sie auch ein Buch namens "Wellness beim Putzen" geschrieben und bieten Kurse wie "Putzen Sie Deutsch?" an. Was lernt man da?

Zaugg: Das ist ein Selbstwerttraining für ausländische Raumpfleger. Dort lernen sie, sichtbar zu werden. Zudem biete ich Expresshilfe für frisch geschiedene Männer an oder den "Kurs gegen soziale Fallangst" für Manager. Viele begegnen Raumpflegern schlecht, weil sie Angst haben, selbst so zu "enden". Gerade in der wirtschaftlichen Flaute berichten mir Raumpfleger, dass Feindseligkeiten zunehmen. Ich versuche beiden etwas mitzugeben: Immigranten den aufrechten Gang, Managern Respekt für die Arbeit der Putzleute. Jeder sollte mindestens drei Jahre lang ein paar Stunden die Woche als Putzkraft arbeiten. Das schult die Daseinskompetenz und schärft die Wahrnehmung für die Menschen, die das tun.

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Quelle:
SZ vom 17.11.2004
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