Lausitz:Wolfs Revier

Die einen feiern ihre Ankunft. Die anderen möchten sie am liebsten abschießen. Raubtiere siedeln sich wieder in Deutschland an - und haben es verdammt schwer.

Claudia Fromme

Bis man in der Oberlausitz auf Menschen trifft, kann es dauern. Das liegt daran, dass im östlichsten Zipfel Deutschlands mancherorts nur 20 Bewohner auf einem Quadratkilometer leben; statistisch gesehen ist dieser Teil Sachsens eine der am dünnsten besiedelten Regionen der Republik.

Mit Wölfen verhält es sich genau andersherum. Nirgendwo in Deutschland leben mehr, ein Tier kommt auf 25 Quadratkilometer. Allerdings sind sie noch seltener zu sehen als die Lausitzer.

Gesa Kluth etwa hat ihren ersten Wolf erst ein halbes Jahr nach ihrem Umzug in die Gegend getroffen, er kreuzte ihren Weg nachts bei einer Autofahrt. Das ist insofern beachtlich, als die Biologin nur deswegen hierher gezogen ist, um Wölfe zu erforschen.

Manfreds Diode blinkt

Manfred zum Beispiel. Der Rüde ist ein Jahr alt und lebt mit seinem Rudel auf dem Truppenübungsplatz in der Muskauer Heide. Panzer ballern auf dem 16000 Hektar großen Areal auf Hausattrappen. Die Wölfe stört das nicht, sie haben sich an den Lärm gewöhnt, kennen die Schießbahnen.

Gesa Kluth steht auf der Trittleiste ihres Jeeps und reckt eine Richtantenne in die Luft. Plötzlich blinken rote Dioden auf. Manfred, der einen Sender um den Hals trägt, muss im Umkreis von 150 Metern sein. Kurs auf Manfred, erst mit dem Jeep, dann zu Fuß. Stunde um Stunde vergeht, es dämmert. Manfred ist mal näher, mal ferner. Zu sehen ist er nie. Gesa Kluth bricht die Suche ab - und ist zufrieden.

Sie freue sich über jeden Wolf, den sie nicht sehe, sagt sie. Die Tiere hinterließen auch so genug Spuren, Fährten und Losungen etwa. Zudem wüsste sie nun, dass Manfred für die Tageszeit sehr umtriebig sei - und sich artgerecht verhalte.

"Wölfe sind extrem scheu, ein gesundes Tier würde nie Kontakt zu Menschen suchen", sagt die 37-Jährige. Zusammen mit Ilka Reinhardt betreibt sie das Wildbiologische Büro Lupus, das für das sächsische Umweltministerium die Wölfe erforscht. Den Sender konnte sie nur anbringen, weil Manfred - den Gesa Kluth so nennt, weil sein Sender als "M" im Empfänger erscheint - in eine Lebendfalle geraten war.

Schießen, Schaufeln, Schweigen

Manfreds Eltern sind Einwanderer aus dem nur wenige Kilometer entfernten Polen. Seit zehn Jahren darf der Wolf in Polen nicht mehr geschossen werden, seither leben 600 Tiere dort, und öfters kommen manche über die Grenze.

Manfreds Eltern waren 2001 die ersten Wölfe seit 150 Jahren, die in Deutschland Nachwuchs bekommen haben, zuvor galt der seltene Räuber hier als ausgerottet. In der Lausitz leben zwei Rudel, 47 Tiere wurden bislang geboren, 22 sind geblieben, der Rest ist verschwunden.

Vielleicht sind einige Tiere nach Brandenburg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern gezogen. Dort häufen sich jedenfalls Wolfssichtungen; wie einen verloren geglaubten Sohn feiern Umweltschützer und Politiker jedes Tier, das in ihrem Beritt gesichtet wird.

Vielleicht trifft aber auch das zu, was im Jägerjargon "Schießen, Schaufeln, Schweigen" heißt. Informationen aus Jagdkreisen deuteten darauf hin, dass Wölfe abgeschossen wurden, sagt Gesa Kluth. Nicht allen passe es, dass sie in ihrer alten Heimat wieder Fuß fassen.

Joachim Bachmann wohnt in der Hohen Tatra von Bärwalde. Der Jäger hat sich in dem Ort unweit des Truppenübungsplatzes ein Gut aus dem Holz der Karpatenregion bauen lassen. Im Wohnhaus des pensionierten Unternehmers zeigen Gemälde Jagdszenen, eine Hirschstatue steht neben dem Esstisch.

Er wolle sich von den Frauen nichts erzählen lassen, sagt der 73-Jährige, der Träger der Verdienstmedaille des Deutschen Jagdverbandes ist. Dass Gesa Kluth zum Beispiel Wölfe bereits in Estland studiert hat, lässt er nicht gelten. Wölfe seien nicht harmlos, wie die Frauen immer behaupteten, wettert Bachmann, sondern eine Gefahr für Menschen. Da helfe nur eins: abschießen.

Gerichtlich wollte Bachmann eine Abschussgenehmigung für das streng geschützte Tier erwirken, vergebens. Ein Richter des Dresdner Verwaltungsgerichts fragte ihn: "Haben Sie Angst vor Wölfen?"

Nein, sagte Bachmann. Aber er sorge sich um die Kinder - und das Wild, fügt er an diesem Frühlingsmittag hinzu. Der Wolf habe ihm die halbe Pacht leer gefressen, schimpft er. Es ist nicht mehr sein Revier, es ist Wolfs Revier. Mit anderen Jägern gründete er den "Verein für Sicherheit und Artenschutz".

Im Frühjahr flog der Anti-Wolfspakt Forscher aus Finnland, Russland und Frankreich ein, die in Sachsen zwar keinen Wolf sahen, seinen Gegnern aber das gewünschte Gutachten lieferten. Fazit: Ein Wolfsangriff stehe kurz bevor. Er erwarte, dass Kinder getötet werden, sagt etwa Eirik Granqvist, früherer Direktor des Evolutionsmuseums im französischen Rousson, ein Tierpräparator. Die Jäger schickten das Gutachten zum Umweltministerium nach Dresden.

Dort sitzt Bernd Dankert und schüttelt den Kopf. Nein, das Gutachten habe keine wissenschaftliche Aussagekraft, sagt der neue sächsische Wolfsbeauftragte. Dankert ist ein sachlicher Mensch, will nicht von Wolfsgegnern und Wolfsfreunden reden. Solche Gräben nützten keinem, sagt er. Er halte sich an Fakten, und danach gehöre der Mensch nicht zur Beute des Wolfes.

Professionelle Wolfsverteidigung

Auch sei er keine Konkurrenz im Revier, 90 Prozent der Rehe in der Region würden weiter geschossen. Jäger hätten keinen Rechtsanspruch auf Wild, sagt Dankert, selbst Forstwirt und Jäger. Vor allem, seit die Jäger ihre Experten aufgefahren haben und Lokalpolitiker in ihr Horn stoßen, herrsche viel Hysterie vor.

Das sächsische Staatsministerium hat eine eigene Strategie entwickelt, um der Lage Herr zu werden: ein massives Aufgebot an Wolfspersonal. Darum gibt es seit kurzem Forstwirt Andre Klingenberger, den Wolfsmanager.

Der hält Kontakt zu ehrenamtlichen Wolfsbetreuern und Jägern und berichtet dem Wolfsbeauftragten Dankert. Man habe den Frauen einige Männer zur Seite gestellt, um "Vorbehalte" abzubauen, sagt jemand vorsichtig im Ministerium. Die Jäger seien eher konservativ.

Die Wolfsforscherinnen Kluth und Reinhardt forschen weiter im Feld, und dann gibt es noch Jana Schellenberg vom Kontaktbüro Wolfsregion Lausitz, die die Presse betreut. Man kann Sachsen nicht vorwerfen, den Wolf zu vernachlässigen.

Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) lobt das Engagement Sachsens, mahnt aber auch, dass nur ein bundesweiter Einsatzplan helfe, den Wolf dauerhaft in Deutschland wieder heimisch werden zu lassen. Wölfe hielten sich eben nicht an Grenzen und legten auf der Suche nach Wild und Partner Hunderte Kilometer zurück. Wichtig seien einheitliche Entschädigungsregeln.

Reißt ein Wolf in Sachsen ein Schaf, gibt es Entschädigung, in Brandenburg nicht. Dass Wölfe mit einem Bedarf von vier Kilo Fleisch am Tag auch Weidetiere reißen, steht außer Frage. Wölfe könnten nunmal nicht zwischen erlaubter (Reh) und verbotener (Schaf) Beute unterscheiden, sagt Gesa Kluth. Darum berät sie Schäfer, wie sie sich etwa mit Elektrozäunen vor Rissen schützen können.

Ein großer Teil der Arbeit der Wildbiologinnen ist Aufklärung. Dennoch bleibt bei einigen Menschen eine tief verwurzelte Angst. Der Wolf ist es, der Bauern einst ihre Lebensgrundlage weggefressen hat und dem Rotkäppchen die Großmutter.

Er ist es, dem der Naturforscher Adolf C. Siemssen im 18. Jahrhundert andichtete, dass er mit "hämisch drohenden Augen" bei Tage Lichtmaterie einsauge, die er "im Finstern mit strahlenden Funken" zurückwerfe. Und er ist es, der ob all der Mystik von Nazis verehrt wird.

Bei einer Diskussion in Niemtsch verteidigte ein Zuhörer die Forscherinnen. Persönlich wolle er sich für sie einsetzen, sagte er. Erst war Gesa Kluth begeistert, dann entsetzt, als sie ihn erkannte: Es war Klaus-Jürgen Menzel, bekennender Bewunderer Hitlers und rechter Landtagsabgeordneter, der einmal zur NPD gehörte, inzwischen aber parteilos ist.

Gesa Kluth und Ilka Reinhardt forschen schon seit fünf Jahren in der Lausitz, und immer noch trifft sie der Zorn der Wolfshasser. "Erst sind die Wölfe dran, dann die Wolfsfrauen", habe kürzlich noch jemand anonym an sie geschrieben, sagt Gesa Kluth.

Dabei sei Kritik an ihrer Arbeit absurd: "Wenn wir gehen, sind die Wölfe immer noch da. Sie sind ohne uns gekommen und werden ohne uns bleiben." Kaum einer rege sich über Wildschweine auf, die sogar Radfahrer gerammt hätten. Die Wölfe aber, die man nicht mal sehe, wünschten sich einige Lausitzer weg, während Naturfreunde aus aller Welt anreisten, um Wölfe zu suchen.

Rudolf Haas, Chef der Grünen in Sachsen, findet einen sehr schönen Vergleich: "Der Wolf hat für die Lausitz den gleichen Stellenwert wie die Frauenkirche für Dresden." Leider gehe das nicht in die Köpfe einiger Menschen in der Region.

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