Landgericht Paderborn:Mordprozess um "Horrorhaus von Höxter" beginnt

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Das "Horror-Haus von Höxter" am Saatweg 6 in Höxter-Bosseborn (Foto: dpa)

Wilfried W. und Angelika B. sollen jahrelang Frauen auf ihr Gehöft gelockt und gequält haben. Mindestens zwei Opfer starben, eine der Leichen fehlt bis heute. Das Gericht muss klären: Wer war der Kopf hinter dem perfiden Treiben?

Von Jana Stegemann 

Etwas außerhalb der Stadt Höxter in Nordrhein-Westfalen liegt der verfallene Hof von Wilfried W. und Angelika B. Was sich hier, in dem 600-Einwohner-Höhendorf Bosseborn im Weserbergland abgespielt hat, sorgte Anfang Mai über die Grenzen des Bundeslandes hinaus für Bestürzung. Das "Horror-Haus von Höxter" am Saatweg 6 steht seit dem für einen der grausigsten Kriminalfälle der vergangenen Jahre. Am Mittwoch hat am Landgericht Paderborn der Prozess mit der Verlesung der Anklageschrift begonnen.

Wilfried W. und Angelika B., so heißt es dort, sollen mit Kontaktanzeigen und dem Versprechen auf die große Liebe Frauen nach Höxter gelockt haben, um diese als Leibeigene für alle Lebenslagen gefügig zu machen. Das geschiedene Ehepaar habe seine Opfer dann auf abscheuliche Art gequält - in mindestens zwei Fällen endete das Martyrium mit dem Tod.

Dem Gericht steht ein langer Aufklärungsprozess bevor, denn eindeutig ist in diesem Fall kaum etwas. Ein Urteil wird frühestens im März 2017 fallen. "Wir haben es immerhin mit zwei Toten zu tun, eine der Leichen fehlt. Und wir wissen nicht, wer sonst noch zu Schaden kam", sagt der Gerichtsprecher des Landgerichts Paderborn.

Die Anklage lautet auf gemeinschaftlichen Mord durch Unterlassen in zwei Fällen. Außerdem wird Angelika B. versuchter Mord in einem Fall und gefährliche Körperverletzung in fünf Fällen vorgeworfen. Wilfried W. zusätzlich gefährliche Körperverletzung in 30 Fällen. Die Anklageschrift gegen das Paar füllt weit mehr als 3000 Seiten, Beweismittel der akribischen Suche vor Ort sind dort beschrieben. Die Polizei hatte damals die 40-köpfige Mordkommission "Höxter-Bosseborn" gegründet und monatelang im und um das Gehöft Spuren gesichert.

Insgesamt gehen die Ermittler von mindestens acht Frauen aus, die in dem Haus misshandelt wurden, in weiteren Fällen laufen noch Ermittlungen. Untersucht werde derzeit auch der Vorwurf der Vergewaltigung, sagt der ermittelnde Staatsanwalt, Ralf Meyer. Die Frau, um die es dabei geht, soll 2011 drei Wochen lang festgehalten worden sein. Sie überlebte.

Anders Susanne F. - durch ihren Tod wurden die grausamen Verbrechen des Paares überhaupt erst publik: Am 21. April, kurz vor Mitternacht, haben Wilfried W. und Angelika B. eine Autopanne, als sie die körperlich schwer angeschlagene Susanne F. aus Höxter-Bosseborn zurück in ihre Wohnung in Niedersachsen bringen wollen. Das Paar ruft zunächst ein Taxi. Während des Wartens verschlechtert sich der Zustand der Frau dramatisch. Das Paar ruft einen Rettungswagen. Susanne F. ist kahlgeschoren, sie hat viele unbehandelte Verletzungen am Körper: Blutergüsse, Schnitte, Fesselspuren, Liegefäulnis. Einige Verletzungen sind bereits nekrotisch. Die Ärzte versuchen noch zu reanimieren - ohne Erfolg. Sechs Tage nach dem Tod von Susanne F. werden Wilfried W. und Angelika B. festgenommen.

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Bei der Polizei sind Dutzende Hinweise von Frauen eingegangen, die schriftlich oder per Telefon mit Wilfried W. kommuniziert haben. Er soll für den Tod von mindestens zwei Frauen verantwortlich sein.

Die Ermittler setzen in den folgenden Tagen Stück für Stück das Bild ihres perfiden Vorgehens zusammen. Susanne F. hatte demnach im Februar auf eine Kontaktanzeige von Wilfried W. geantwortet: "Fischmann, 45 J., 1,86, humorvoll, häuslich, sucht umzugswillige SIE für gemeinsame Zukunft". Die beiden kommunizierten via SMS. Schnell nannte Susanne F. den Mann ihren Schatz - ohne Wilfried W. jemals getroffen zu haben - und zog im März auf seinen Hof. Kurze Zeit später begann das Martyrium der Frau. Sie wurde misshandelt, geschlagen, getreten und musste in einem ungeheizten Raum auf dem Fußboden schlafen. Ihr seien büschelweise Haare ausgerissen worden, heißt es im Polizeibericht.

Ähnlich erging es Annika W. Sie war 33 Jahre alt, als der Angeklagte sie im Sommer 2013 ebenfalls über eine Kontaktanzeige kennenlernte und wenige Monate später, im Oktober, heiratete. Annika W. habe nackt angekettet in der Badewanne übernachten müssen, sagt die nun angeklagte Angelika B. später der Polizei. Eines Tages sei sie im Badezimmer gestolpert und habe sich den Kopf angeschlagen. An der Verletzung sei sie gestorben.

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Die 33-Jährige aus Niedersachsen starb 2014. Ihre Leiche wurde in einem Kamin verbrannt. Weitere Frauen sollen in dem Haus in Ostwestfalen misshandelt worden sein.

Eine weitere Frau, die von dem Paar misshandelt worden war, meldete sich nach Bekanntwerden des Falls bei der Polizei. Die Frau war von ihren Peinigern nach Braunschweig zum Bahnhof gebracht und dort schwer verletzt in einen Zug gesetzt worden.

Eine Schwierigkeit des Prozesses in Paderborn wird nun sein, zu klären, wem wie viel Schuld zukommt: Vieles, was die Ermittler zu wissen glauben, stammt aus der Aussage der Angeklagten Angelika B. Doch kann man ihr glauben? Detailliert schilderte sie, was sich 17 Jahre lang in ihrem Haus abgespielt haben soll. Den Frauen will sie auf Befehl von Wilfried W. Schmerzen schlimmsten Ausmaßes zugefügt haben. Eigenen Angaben zufolge sei sie Wilfried W. völlig hörig gewesen, sagt der damalige Chefermittler Ralf Östermann. Sie selbst legte ihrem Anwalt eine Folterliste vor, auf der sie penibel alle Grausamkeiten notierte, die Wilfried W. ihr während der vergangenen 17 Jahre angetan haben soll.

Der Stern zitiert aus der Liste: "Angeschrien, beleidigt: täglich. An den Haaren gerissen: ca. 500 Mal. Treppe heruntergeschmissen: etwa 15 Mal. Arm umgedreht: etwa 300 Mal. Gabel in den Oberschenkel gerammt: 1 Mal. Zahn ausgeschlagen: 3 Mal. Eine Decke über ihren Kopf gezogen, sich auf sie gelegt bis sie bewusstlos wurde: ca. 250 Mal." Die Liste soll 70 Punkte umfassen. Und doch blieb Angelika B. fast 20 Jahre bei Wilfried W. Er ist ihr erster Mann, ihre erste Beziehung. 29 Jahre lang lebte sie mit ihrer Mutter zusammen - dann kam Wilfried W. Auf seinen Wunsch hin habe sie nach der Hochzeit den Kontakt zu ihrer Mutter abgebrochen, sagt Angelika B. 2013 ließ sich das Paar scheiden, Angelika B. gab sich danach als Schwester ihres Ex-Mannes aus.

Die Frau gibt zu, die Leiche von Annika W. zerstückelt zu haben. Dazu habe sie, so Angelika B., nachts eine Plastikfolie ausgebreitet und die gefrorene Leiche mit einer Eisensäge und einem Beil zerteilt. Wilfried W. habe sich nicht beteiligt, er könne kein rohes Fleisch anfassen, so Angelika B. Die Leichenteile will Angelika B. im Kamin verbrannt und die Asche später mit Granulat vermischt haben. Auf nächtlichen Autofahrten habe man die Substanz am Rande einer Landstraße verteilt. Nach den am Straßenrand verstreuten Überresten suchten Polizeihunde vergeblich.

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Ihr Anwalt sagt, Angelika B. habe die Frauen gequält, um ihren Mann zufriedenzustellen. Sie habe ihm gesagt: "Immer, wenn eine neue Frau im Haus war, hat er mir nichts mehr getan." Es ist der Versuch des Anwalts, seine Mandantin von der Mittäterin oder sogar Haupttäterin zum neunten Opfer des gewalttätigen Wilfried W. zu machen.

Die Bild-Zeitung berichtet hingegen, B. habe einen IQ von 120. Sie könne ihre Intelligenz genutzt haben, um ihren Ehemann zu manipulieren und zu Grausamkeiten anzustacheln. Dass dieser gewaltbereit und offenbar sadistisch veranlagt ist, steht jedoch außer Frage.

Wilfried W. ist bereits einschlägig vorbestraft, weil er in den Neunzigerjahren seine damalige Ehefrau zusammen mit einer Komplizin misshandelt hatte. Er hatte der Frau damals die Haut mit einem Bügeleisen verbrannt, sie an die Heizung gefesselt und brutal vergewaltigt. Am Amtsgericht Paderborn wurde er dafür 1995 wegen gefährlicher Köperverletzung und Freiheitsberaubung schuldig gesprochen. In der Urteilsbegründung heißt es unter anderem: "Er hat sie geradezu sklavenartig gehalten und missbraucht. Gefühlsäußerungen wie Mitleid scheinen diesem Angeklagten fremd."

Wilfried W. schweigt bislang gegenüber der Polizei. Sein Anwalt hatte jedoch in verschiedenen Medienberichten angekündigt, dass er sich vor Gericht einlassen werde. Sein Mandant bestreite, an der Folter der Frauen beteiligt gewesen zu sein. Treibende Kraft sei Angelika B. gewesen.

Das Gericht muss nun herausfinden, wer die Wahrheit sagt und wer der Kopf hinter den perfiden Straftaten war.

(Mit Material der dpa)

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