Landgericht Hagen:Mildere Strafe für Polizistinnen, die vor einer Schießerei flüchteten

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Die beiden Polizistinnen mussten sich vor Gericht verantworten, weil sie bei einem eskalierenden Einsatz flüchteten, anstatt ihren Kollegen beizustehen. (Foto: Alex Talash/dpa)

Zwei Beamtinnen, die ihre Kollegen bei einem Einsatz im Stich ließen, dürfen nach dem Urteil im Berufungsprozess wieder hoffen: Sie werden nun nicht zwangsläufig aus dem Polizeidienst entlassen.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Zwei Polizistinnen, die im Mai 2020 im Ennepe-Ruhr-Kreis während einer dramatischen Schießerei zwei Kollegen im Stich gelassen hatten, dürfen wieder hoffen: Das Landgericht Hagen reduzierte die Strafe für die beiden Beamtinnen am Mittwoch auf jeweils vier Monate Haft auf Bewährung. Im November vorigen Jahres hatte das Amtsgericht Schwelm die beiden Polizistinnen noch zu einem Jahr Freitheitsentzug auf Bewährung verurteilt - und ihre Flucht aus der Pflicht als "versuchte gefährliche Körperverletzung im Amt durch Unterlassen" gedeutet. Das damalige Strafmaß hätte zwangsläufig ihre Entlassung aus dem Polizeidienst bedeutet. Nach dem milderen Urteil im Berufunsverfahren wird nun ein polizeiinternes Disziplinarverfahren prüfen, ob die beiden Frauen doch Polizistinnen bleiben können.

Die beiden Beamtinnen hatten gleich zu Beginn des neuen Prozesses vorige Woche ihr Fehlverhalten eingeräumt. Gleichzeitig warben sie jedoch um Veständnis für ihre Flucht. "Ich bin Polizistin, aber ich bin auch ein Mensch", sagte die mit 38 Jahren ältere der beiden Beamtinnen, "und Menschen dürfen Todesangst haben. Wer selbst noch nicht in einer solchen Situation war, wird das nie verstehen." Ihre 33-jährige Kollegin erinnerte sich mit Schrecken an den Schusswechsel vor zweieinhalb Jahren: "Es klang, als würde von allen Seiten auf uns geschossen."

Die beiden Polzistinnen waren im Mai 2020 eher zufällig in die Schießerei geraten. Bei einer nächtlichen Verkehrskontrolle in einem Gewerbegebiet der Stadt Gevelsberg hatten zwei Kollegen einen Verdächtigen gestoppt. Der Polizei-Bulli mit den beiden Frauen traf just am Einsatzort ein, als ihre Kollegen gerade die Papiere des Autofahrers prüfen wollten. Einer der beiden Polizisten signalisierte den Kolleginnen, man brauche Unterstützung.

Der Verdächtige zückte eine Pistole

Exakt in diesem Moment eskalierte die Situation. Der Verdächtige - ein später wegen Totschlags und Heroinhandels verurteilter Gewalttäter - war in sein Auto gesprungen, zog eine Pistole hervor - und schoss einen der beiden Polizisten nieder. Der Beamte überlebte nur, weil die Kugel knapp unterhalb seines Herzens in der schusssicheren Weste stecken blieb.

Binnen Sekunden fielen 21 Schüsse: Siebenmal drückte der unter Kokaineinfluss stehende Täter ab, 14-mal schossen die beiden männlichen Polizisten. Derweil versteckten sich die beiden Frauen hinter ihrem Fahrzeug. Verstärkung konnten sie nicht rufen, da sie das Funkgerät im Wagen gelassen hatten. Die jüngere Polizistin wähnte sich in einem Hinterhalt - und rechnete damit, jeden Moment unter Feuer genommen zu werden. "Ich habe nur gehofft: Bitte nicht in den Hinterkopf", hatte sie ihre Lage im ersten Verfahren geschildert. Dann stoppten die beiden Frauen einen vorbeikommenden Kleinwagen und fuhren davon. Erst später, als sie von der Flucht des Angreifers erfahren hatten, kehrten sie an den Einsatzort zurück.

Nun wird der Fall - per beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren - ein drittes Mal aufgerollt. Dabei können die beiden Polizistinnen auf den Beistand ihrer Kollegen bauen: Die beiden Polizisten hatten als Zeugen vor Gericht keine Vorwürfe gegen die Frauen erhoben.

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