Süddeutsche Zeitung

Belästigung durch Geräusche:Lärm ist nicht gleich Lärm

Ein Ehepaar streitet vor Gericht wegen zu lauter Kuhglocken am Land. Absurd? Ein Akustik-Experte findet: Jeder habe das Recht, sich zu beschweren, wenn er sich erheblich gestört fühlt.

Interview von Juliane Funke

Fünf Jahre dauert der Holzkirchener Kuhglocken-Streit jetzt schon an, bei dem sich ein Ehepaar über Glockengeläut beschwerte. Das Oberlandesgericht München hat die Klage nun zurückgewiesen. Viel Lärm um nichts also? Eher nicht: Wie gefährlich Lärm sein kann, weiß Michael Jäcker-Cüppers, Vorsitzender des Arbeitskreises Lärm der Deutschen Gesellschaft für Akustik.

SZ: Herr Jäcker-Cüppers, beim Konzert einer norwegischen Indie-Band habe ich mir kürzlich gedacht: Ist das eigentlich Musik oder Lärm?

Michael Jäcker-Cüppers: Wir bezeichnen alle Geräusche, die uns in irgendeiner Weise belästigen, stören, schädigen als Lärm, also letztlich die negativen Auswirkungen von Geräuschen. Aber genau der Fall Musik ist interessant: Für den Hörer ist die Musik toll, er stellt sie laut, weil sie ihm gefällt - das kann dann aber seine Ohren schädigen. Auch schöne Musik kann also Lärm sein, auch wenn der Hörer sie nie als solchen bezeichnen würde.

In Holzkirchen haben Anwohner das zarte Bimmeln von Kuhglocken als Lärm empfunden.

Der Fall ist tatsächlich komplizierter, als man denkt. Wir haben im deutschen Lärmschutzrecht die Regelung, dass es ein grundsätzliches Individualrecht auf Abwehr gibt. Nehmen wir mal an, es gibt ein Rockkonzert in der Nachbarschaft. 99 Anwohnern ist das egal, eine Person fühlt sich aber gestört. Diese Person hat das Recht, sich zu beschweren und um Prüfung und gegebenenfalls Minderung zu bitten. Auch im Kuhglocken-Streit ist es also völlig legitim, dass sich das Ehepaar beschwert und prozessiert.

Aber mal ehrlich, können denn Geräusche wie Kuhglocken oder das Krähen eines Hahns wirklich schädlich sein?

Ja, wenn es sich um eine erhebliche Belästigung handelt. Wenn das Ehepaar schlafen will, aber nachts immer noch die Kuhglocken klingeln, können sie sich erheblich belästigt fühlen. Wir haben das Recht, mit gekipptem Fenster schlafen zu können, ohne gestört zu werden. Im Einzelfall werden solche Fälle dann eben geprüft, dazu werden allgemeine Richtwerte herangezogen. Aber auch da wird es kompliziert: Es gibt Richtwerte für die Landwirtschaft im sogenannten Dorfgebiet, die höher sind als im allgemeinen Wohngebiet und man müsste einen Mittelwert ausrechnen, wie oft am Tag die Kuhglocken nun tatsächlich erklingen.

Nach einer Befragung des Umweltbundesamtes fühlen sich die meisten Menschen von Verkehrslärm gestört. Wie gefährlich ist dieser Lärm?

Dazu gibt es viele Studien und medizinische Untersuchungen. Straßenlärm kann sich demnach deutlich schädigend auswirken, in belasteten Gebieten gibt es zum Beispiel erhöhte Vorkommen von Herzinfarkten, Schlaganfällen oder Depressionen. Ein bedeutender Teil der Gesellschaft ist tagtäglich gesundheitsschädigendem Lärm ausgesetzt. Da müssten radikale Änderungen der Verkehrspolitik vorgenommen werden, besonders auch im Fluglärmgesetz - auch wenn die Politik das nicht für so dringlich hält.

Hier in München scheint es unter Jugendlichen momentan wieder Trend zu sein, mit aufgedrehten Musikboxen rumzulaufen. Gibt es heutzutage mehr Freizeitlärm?

Von dem Phänomen habe ich auch schon gehört. Ich muss ehrlich sagen, bei mir in Berlin-Wilmersdorf geht es etwas gesitteter zu. Aber ja, der Freizeitlärm ist ein besonderes Problem, vor allem nachts. Die Gesetze wurden zum Teil nämlich gelockert: Gesetzlich beginnt die Nacht normalerweise um 22 Uhr, der Schlaf gilt als besonders schützenswert. Dann gibt es aber zum Beispiel die Bayerische Biergartenverordnung oder in Nordrhein-Westfalen Fälle, bei welchen Außengastronomie bis 24 Uhr erlaubt ist. Da häufen sich natürlich die Beschwerden.

Warum werden die Gesetze dann gelockert?

Man muss vielen Politikern vorwerfen, dass sie beim Freizeitlärm taub sind: Sie wollen mehr Tourismus, mehr Events, und das führt zu einer gravierenden Zunahme der Lärmbelästigung. Nehmen wir Berlin: Sonntagskaraoke im Mauerpark, das wunderbare Stadtmotto "365/24", dazu kommt der verhaltensbezogene Lärm, der sich kaum kontrollieren lässt, also zum Beispiel angetrunkene, johlende Partygänger - das ist alles sehr schwierig.

Gegen schädliche UV-Strahlung helfen Sonncreme und Sonnebrille. Wie kann ich mich vor Lärm schützen?

Grundsätzlich ist es primär Aufgabe des Staates, die BürgerInnen zu schützen. Jeder Einzelne kann natürlich in seiner Kommune aktiv sein, sich an der Lärmaktionsplanung beteiligen, sich beschweren. Aber es gibt auch ein paar simple Schutzmaßnahmen: Kinder- und Schlafzimmer sollten, wenn möglich, nicht zur Straßenseite ausgerichtet sein, mit Polstermöbeln etwa oder Teppichen kann man für Absorption sorgen - also lieber keinen kargen Bauhausstil.

Und sonst?

Ein geräuschbewusstes Leben ist wichtig. Man sollte sich im Alltag bewusst Bereiche der Ruhe gönnen. Lärm ist ein Stressfaktor. Wenn wir grundsätzlich versuchen, Stressfaktoren zu mindern, kommen wir auch mit Lärm besser klar. Man sollte sich nicht verbeißen. Nehmen wir noch einmal den Kuhglocken-Streit: Wenn man sich jahrelang so sehr in das Problem reinsteigert, dann nimmt der Stress natürlich zu.

Welches Geräusch ist für Sie denn eigentlich besonders nervig?

Mich stören unbegründete Geräusche. Ich wohne in einer Tempo-30-Zone, da sollte es eigentlich ruhig sein. Trotzdem hupen die Autofahrer, wenn in zweiter Reihe geparkt wird; nachts legen die Autoalarmanlagen los oder getunte Motorräder rauschen durch die Straßen. Das regt mich auf!

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