Schadensersatz für Kuh-Angriff:"Zukunftsgefährdendes Urteil für die Almwirtschaft"

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Plüschig aber nicht zu unterschätzen: Mutterkühe können aggressiv reagieren, wenn sie ihre Kälber bedroht sehen. (Foto: dpa)

Ein Bauer aus Tirol soll Schadensersatz im mittleren sechsstelligen Bereich zahlen, weil seine Kühe eine Wanderin niedergetrampelt haben. Landwirtschaftsvertreter und Alpenverein sehen das kritisch.

Von Titus Arnu

Das Pinnistal wird in Wanderführern als "wildromantisch" beschrieben. Die Wanderung durch das Seitental in den Stubaier Alpen endete im Sommer 2014 für eine deutsche Touristin tragisch. Wild gewordene Kühe griffen die 45 Jahre alte Frau an, sie starb an ihren Verletzungen. Der Weg verlief quer über eine Alm, die Herde war nicht eingezäunt. Nach dem Unfall verklagte der Ehemann des Opfers den Besitzer der Tiere auf Schmerzensgeld - und bekam nun nach jahrelangen Gerichtsverhandlungen recht.

Das Landgericht Innsbruck sprach dem Ehemann und dem Sohn des Opfers insgesamt rund 180 000 Euro zu. Zusätzlich müsse der Bauer dem Mann eine monatliche Rente von 1200 Euro und dem Sohn von 350 Euro zahlen, teilte das Gericht am Freitag mit.

Nach Auffassung des Gerichts hatte der Bauer nur unzureichend vor den Gefahren einer Herde, in der Kälber aufwachsen, gewarnt. Die aufgestellten Warnschilder ("Achtung Mutterkuhhaltung") hätten nicht ausgereicht. "An einem neuralgischen Punkt wie dem Unfallort sind Abzäunungen zum Schutz des höchsten Gutes, des menschlichen Lebens, notwendig und aufgrund des geringen Aufwandes auch zumutbar", hieß es in der Begründung dazu.

Die Aufregung über das wegweisende Urteil ist groß in Österreich. Schließlich führen die meisten Wanderwege über Almwiesen. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, sei eine "Lawine von Folgen insbesondere für Viehhalter im alpinen Bereich" zu erwarten, sagte der Anwalt des Landwirts, Ewald Jenewein.

Josef Hechenberger, Präsident der Tiroler Landwirtschaftskammer, bezeichnet die juristische Entscheidung als "zukunftsgefährdendes Urteil für die Almwirtschaft". Bei aller Tragik der Umstände sei das Urteil "überraschend und nicht nachvollziehbar", findet Hechenberger, denn die Entscheidung sei praxisfremd. Der Druck auf die Bauern wachse dadurch weiter, denn "schließlich ist auf unseren Almen immer mehr los" aber an Rücksichtnahme fehle es oft. Der Schuldspruch bringe möglicherweise einige Bauern dazu, ihr Vieh nicht mehr auf die Weiden zu treiben.

Die Herde war laut Gericht nicht "ordentlich verwahrt"

Kuh-Angriffe auf Wanderer passieren immer wieder, meistens sind Hunde im Spiel, und meistens handelt es sich bei den aggressiven Kühen um Muttertiere, die ihre Kälber beschützen wollen.

Auch im Fall der 2014 getöteten Touristin: Die Frau hatte die Hundeleine ihres Terriers mit einem Karabiner um die Hüfte fixiert und konnte sie wohl nicht rechtzeitig lösen. Sie hätte aber laut Gericht wissen müssen, dass Mutterkühe aggressiv auf Hunde reagieren können. Es sei sorglos gewesen, den Hund so anzubinden, dass er im Notfall nicht sofort frei gelassen werden konnte. "Die Wahrscheinlichkeit eines unmittelbaren Angriffes war aufgrund des sonstigen Verhaltens der Verunfallten aber sehr gering", so das Gericht. Nach Ansicht des Landesgerichts trägt deshalb der Landwirt die Schuld, denn die Herde sei nicht "ordentlich verwahrt" gewesen.

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Aber was sollen die Bauern tun? Die Almen komplett einzäunen? Ihre Tiere gar nicht erst auf die Sommerweiden in die Berge treiben? Vor allem aufgrund des stark frequentierten Weges nahe der Pinnisalm wäre laut Gericht eine "Sicherung der Tiere" nötig gewesen, das gänzliche Fehlen eines Zauns sei fahrlässig.

Das Nichteinzäunen von Kühen ist allerdings juristisches Neuland in Tirol - und bringt die Bauern in Rage. Tatsächlich stellen sich viele Fragen. Ab wann ist ein Weg "stark frequentiert"? Und wie soll man ein riesiges Berggebiet sicher einzäunen? Werden Touristen in Zukunft von Almen ausgesperrt - oder Kühe aus Sicherheitsgründen weggeschlossen? Der Besitzer der Kühe im Pinnistal hatte vor Gericht argumentiert, dass er 18 Kilometer Zaun aufstellen müsste, was ihn finanziell ruinieren würde.

Eine Trennung von Bergwanderern und Weidevieh wäre wohl auch anderswo schlecht machbar und wahrscheinlich kaum sinnvoll. "Almen gehören seit Jahrtausenden unverzichtbar zu den Alpen, sie wurden ja nicht mutwillig als Fallen für Touristen aufgebaut", sagt Thomas Bucher, Sprecher des Deutschen Alpenvereins.

Bergtouristen suchen gerade idyllische Almlandschaften mit grünen Wiesen, friedlich grasenden Rindviechern und schneebedeckten Bergen im Hintergrund, dazu möglichst noch einen urigen Bergbewohner, der einen Kaiserschmarrn serviert. Viele Wanderwege entstanden erst durch Almwege. "Der Wanderer kam später, deshalb muss er sich anpassen und sich dementsprechend verhalten", sagt Bucher.

Die wichtigsten Tipps dazu sind auf der Seite des österreichischen Alpenvereins nachzulesen: Abstand halten zu Herden mit Mutter- und Jungtieren, Kühe nicht streicheln, nicht gestikulieren und schreien, Hunde anleinen, im Falle eines Angriffes aber laufen lassen, damit sie flüchten können.

Besorgte Bauern

Der Prozess in Innsbruck wurde von Touristikern und Bauernvertretern mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Nach dem Schuldspruch fürchten nun einige von ihnen um die Zukunft von Alm- und Wandertourismus. "Die Bauern wollen mit ihrer Almwirtschaft nicht die Kulisse für die Gäste schaffen, um dann das Risiko zu tragen, bei Unfällen mit Schadenersatzforderungen konfrontiert zu sein", sagt Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Hechenberger.

Zumal viele Bauern in den letzten Jahren die Viehhaltung umgestellt haben und die Kälber mit den Muttertieren auf den Weiden belassen. Da sie in den Sommermonaten nicht gemolken werden, verlernen sie den vertrauten Umgang mit Menschen. Auf Eindringlinge können sie aggressiv reagieren. Wenn eine Kuh den Kopf senkt, mit den Hufen scharrt, einen anstiert und laut schnaubt, ist das keine Aufforderung zum Spielen - sondern eine ernstzunehmende Drohgebärde.

© SZ vom 23.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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