Süddeutsche Zeitung

Belgien:Die Kürbis-Kernkompetenz von Kasterlee

Lesezeit: 3 min

Halloween? Spielt in der Gemeinde Kasterlee keine Rolle. Die prämierten Riesenkürbisse, die dort gezüchtet werden, sind zu Höherem bestimmt. Zum Beispiel als Kajaks für eine Kürbisregatta.

Von Karoline Meta Beisel, Kasterlee

Kurz vor Allerheiligen, Halloween, wie man heute sagt, und nicht nur in Baltimore, sondern auch in Bielefeld und Brüssel ziehen Kinder möglichst gruselig verkleidet um die Häuser. Dazu wird jeder Kürbis, der größer ist als ein Babykopf, zur Fratze geschnitzt.

Auch die Gemeinde Kasterlee im belgischen Flandern ist saisongemäß voll mit Kürbissen. Aber so wie Flandern oft nicht richtig Teil von Belgien sein will, will Kasterlee offenbar nicht Teil des um sich greifenden Halloween-Spektakels sein: Hier sind die Kürbisse als Schweinchen oder Marienkäfer angemalt; und gruselig ist höchstens eine Kürbisfrau mit üppigen Kürbisbrüsten, die am Rande einer schlammigen Wiese steht. Fast könnte man meinen, in Kasterlee dürfe der Kürbis noch Kürbis sein, aber so ist es nicht: Denn für die Leute aus Kasterlee ist der Kürbis auch Kajak.

"In die Kürbisse, fertig los!", ruft eine Stimme per Lautsprecher, und mit dem Startsignal paddeln die ersten vier von mehr als 350 Menschen los, die an diesem Tag in etwa 90 Viererteams an einem Staffelrennen teilnehmen - kniend in ausgehöhlten Riesenkürbissen. Die Kürbisregatta, die seit zwölf Jahren immer am letzten Sonntag im Oktober ausgetragen wird, ist der absolute Höhepunkt der an Höhepunkten auch sonst nicht armen Kürbissaison in Kasterlee, aber dazu später.

Wie schwierig es ist, einen Kürbis zu steuern, sieht man schon in diesem ersten Rennen. Die Kürbisse schwimmen zwar tadellos, wackeln aber bedrohlich; und manche Kürbiskapitäne drehen sich eher um sich selbst, als den Schwimmstegen näherzukommen, die sie eigentlich umrunden sollen. Schon im ersten Rennen geht ein Kürbis im nicht allzu tiefen Wasser außerdem einfach unter, unter großem Gelächter von Teilnehmern und Zuschauern, die sich die Hände an Bechern mit Kürbissuppe wärmen und dazu Kürbisbier trinken (Letzteres ist in Belgien einigermaßen normal). Helfer eilen sogleich mit einem Ersatzkürbis herbei, und mit Eimern, um den gesunkenen Kürbis leerzuschaufeln.

"Am besten ist es, das Gewicht im Kürbis etwas nach vorne zu verlagern, dann sieht man wenigstens, wenn Wasser hineinläuft", sagt Loes Vanderfeesten aus dem mit Tarnjacken verkleideten Team "Lekker met de meiden", was ungefähr so viel heißt wie "eine gute Zeit mit den Mädels haben". Der Tipp scheint gut zu sein: Am Ende belegen Lekker met de meiden den ersten Platz ihres Rennens. "Wir hatten aber auch einen echt großen Kürbis", sagt Vanderfeesten.

Die Wettkampfkürbisse müssen die Teilnehmer nicht selbst mitbringen - das wäre auch schwierig bei einem Gewicht zwischen 300 und 500 Kilogramm. Sie werden von den Mitgliedern der "Kürbisgenossenschaft Kasterlee" gestellt, den Veranstaltern dieses orangefarbenen Wahnsinns, der in seiner Konsequenz selbst etwas Gruseliges hätte, wären nicht alle Beteiligten so gut gelaunt. Riesenkürbisse zu züchten ist die Kernkompetenz der 55 Mitglieder der Genossenschaft, da gelten 500-Kilo-Exemplare eher als Anfängerübung: Der größte Kasterleer Kürbis wog in diesem Jahr 1013 Kilogramm. Das reichte Mitte Oktober bei der Wiegemeisterschaft in Ludwigsburg zur Verteidigung des Europameistertitels. Platz zwei und drei gingen ebenfalls an Züchter aus Kasterlee; der beste Deutsche brachte seinen Kürbis auf gerade mal 681,5 Kilogramm.

Das Geheimnis der Kasterleer: Obacht bei der Samenwahl und viel, viel Aufmerksamkeit. Europameister Mario van Geel sagt, er habe seinen Kürbis im Sommer an besonders heißen Tagen mit einem Schirm beschattet und nach Regengüssen mit dem Föhn seiner Frau getrocknet, immer in Sorge, der Kürbis könne schimmeln oder sonst wie vergammeln. Die Regatta hat van Geel in diesem Jahr übrigens verpasst: Seine Kürbisexpertise wurde in den USA in einer Fernsehshow gebraucht.

Die "Pompoenengenootschap" gibt es seit beinahe 20 Jahren, inklusive Klub-T-Shirts und Klubsong ("Ich liebe Kürbisse, Kürbisse find ich schön: große, runde, dicke"). Die Kürbisbegeisterung in Kasterlee reicht aber noch weiter zurück, die Gemeinde verweist auf den Bericht eines Priesters aus dem 16. Jahrhundert, wonach die Männer aus Kasterlee daran zu erkennen seien, dass sie Kürbisbrei äßen - während die anderen Bohnen fräßen.

Die Genossenschaft ist aus einem sportlichen Wettkampf entstanden: Wer auf dem Markt den dicksten Kürbis präsentierte, konnte eine Schubkarre gewinnen. Außer der Kürbisregatta und der Klub-Wiegemeisterschaft veranstaltet die Genossenschaft auch noch weitere Kürbiskämpfe, zum Beispiel Kürbisweitwurf, am Rande der Regatta auch Kürbisstockschießen oder, für die Kleinsten, Entchen angeln aus ausgehöhlten Kürbissen. Bis heute geht es den Kasterleern dabei nicht so sehr darum, die Weltherrschaft in Sachen Riesenkürbisse an sich zu reißen, sondern vor allem darum, die anderen Genossen zu übertrumpfen; ein Kampf um die Ehre also, ausgetragen mit Riesenkürbissen.

Bei all der Liebe für die Kürbisse, hat es auch etwas Gutes, wenn die Kürbiszeit endlich vorüber ist? Ja, sagt Mario van Geel: "Meine Frau freut sich, dass sie endlich ihren Föhn zurückbekommt."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4661982
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 31.10.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.