Sie lebt nun in Höxter, ausgerechnet. In jener Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen, die gerade durch beispiellose Verbrechen an Frauen weltweit bekannt wurde. Dabei ist Annegret Raunigks Leben selbst schon reich an Schlagzeilen. Raunigk ist die Berlinerin, die im Alter von 65 Jahren Vierlinge zur Welt brachte.
Als die Kinder vor einem Jahr geboren wurden, war nicht klar, ob alle überleben würden, so klein und zerbrechlich waren sie. Doch an diesem Donnerstag kann Annegret Raunigk den ersten Geburtstag der Vierlinge feiern. In ihrem Haus in Höxter, das die pensionierte Lehrerin seit einigen Monaten mit ihrer Familie bewohnt.
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Künstliche Befruchtungen führen häufig zu risikoreichen Mehrlingsschwangerschaften. Ärzte raten dann bisweilen, aus Drillingen ein oder zwei Kinder zu machen. Eine schwere Entscheidung, die Eltern an ihre Grenzen bringt.
Manche der Babys haben gesundheitliche Probleme
Raunigk hat bereits zwölf erwachsene Kinder, ihr 13. Kind, eine Tochter, ist zehn. Und jetzt, im Oma-Alter, fängt Raunigk mit ihren Vierlingen wieder ganz von vorne an. Fläschchen und Brei geben, schlaflose Nächte durchstehen, Windeln wechseln. Und das mal vier. Trotz allem war eine äußerst fitte Mittsechzigerin zu sehen, als der Sender RTL kürzlich für eine Homestory in Höxter vorbeikam. Raunigk hatte schon vor der Geburt der Kinder die Exklusivrechte an der Berichterstattung an RTL verkauft.
Immer wieder sagt Raunigk, dass "alles eine Frage der Organisation" sei und sie gut zurechtkomme. "Und wenn die Kinder bald anfangen zu laufen?", fragt die Moderatorin. "Das stelle ich mir nicht so dramatisch vor", sagt Raunigk. Die Moderatorin bohrt weiter, sie will der Mutter ein Eingeständnis der Schwäche entlocken. Doch Raunigk sagt nur: "Eine vernünftige Kondition muss man schon haben, sonst hält man das nicht durch."
Immerhin: An drei Tagen in der Woche kommt eine Haushaltshilfe der Caritas nach Höxter. Und die Nächte scheinen ruhig zu sein, wenn man der zehnjährigen Tochter glauben darf, die im Fernsehbeitrag den Vierlingskinderwagen schiebt: "Abends um sieben, halb acht gehen sie ins Bett, und dann schlafen sie durch."
An der Berliner Charité heißt es, man habe Mutter und Kinder nicht mehr gesehen, seit die Vierlinge im August aus dem Krankenhaus entlassen wurden. Die Geburt der Kinder hatte auch deshalb für Aufsehen gesorgt, weil die drei Jungen und das Mädchen bereits in der 26. Schwangerschaftswoche per Kaiserschnitt geholt werden mussten - mehr als drei Monate vor dem errechneten Geburtstermin. Die Vierlinge wogen zwischen 655 und 900 Gramm und waren Hochrisiko-Patienten, die über Monate von zwei Ärzten und zehn Schwestern betreut werden mussten.
Die behandelnden Ärzte sagten damals, es sei zwar unerheblich für die Kinder, ob eine Mutter 30 oder Mitte 60 sei. Aber man hoffe, dass der Fall "die Reproduktionsmedizin aufrütteln" werde, um solche riskanten Mehrlingsschwangerschaften in Zukunft zu vermeiden. Denn gesundheitliche Risiken gibt es fast immer, schon allein, weil die Kinder oft sehr früh zur Welt kommen.
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Auf den ersten Blick sind die Vierlinge süße, propere Babys. Mindestens zwei Kinder haben allerdings mit körperlichen Einschränkungen zu kämpfen. Das Mädchen hat bereits eine Darmoperation hinter sich, wegen ihres Schielens folgt demnächst eine Augen-OP. Ein Junge erlitt nach der Geburt eine Gehirnblutung, die das Einsetzen eines Shunts, einer Art Ventil, nötig machte. Es soll Druck vom Gehirn nehmen, in das Blut gelaufen ist, damit Nerven nicht weiter zerstört werden. Manche Beeinträchtigung zeigt der Junge bereits: Er kann mit fast zwölf Monaten noch nicht richtig krabbeln, nicht einmal robben; selbständiges Laufen scheint in weiter Ferne zu sein, weil er einen Arm und ein Bein nur eingeschränkt kontrollieren kann.
Es ist wahrscheinlich, dass diese Probleme mit der frühen Geburt zu tun haben. "Kinder, die vor der 28. Schwangerschaftswoche auf die Welt kommen, haben ein erhöhtes Risiko für Hirnblutungen", sagt Andrea Zimmermann, langjährige Leiterin der neonatologischen Intensivstation am Münchner Klinikum rechts der Isar. Das Gehirn entwickle sich in dieser Zeit besonders intensiv, zahlreiche Blutgefäße würden ausgebildet. Sobald Temperatur- oder Druckschwankungen auftreten, kann ein Äderchen platzen. "Wenn sich ein Kind nicht im schützenden Mutterleib befindet, sondern im Inkubator, ist das Risiko besonders groß", sagt Zimmermann. "Solche Kinder brauchen Förderungsmaßnahmen, und es kann sein, dass ihre Entwicklung nicht nur verzögert ist, sondern manche Stufen gar nicht erreicht werden."
Auch die Augenprobleme des Mädchens sind typisch für sehr früh geborene Kinder, wobei Schielen nur eine leichte Einschränkung ist. Schwierigkeiten mit dem Verdauungstrakt sind bei Frühchen ebenfalls verbreitet. Der Darm kämpft häufig mit dem Essen, für das er eigentlich noch nicht gerüstet ist. "Im Mutterleib müssen Kinder diesen Alters ja noch nichts verdauen", sagt Zimmermann, "der Darm ruht."
Für Reproduktionsmediziner Markus S. Kupka stellen sich nicht nur Fragen zur Gesundheit. Kupka arbeitet am Kinderwunschzentrum Altonaer Straße in Hamburg, wo man etwa Reagenzglasbefruchtungen vornimmt. Er sagt, irgendwann würden die Kinder wissen wollen, wie sie gezeugt wurden und von wem sie abstammen: "Das hat nichts mit den sozialen Eltern zu tun, das ist ein Urbedürfnis."
Was, wenn die Mutter stirbt, bevor die Kinder volljährig sind? Dann haben sie keine soziale Mutter mehr, und über ihre biologischen Eltern werden sie nie Genaueres erfahren, da Raunigk sich in der Ukraine mit fremden Ei- und Samenzellen behandeln ließ. "Wir müssen verantwortlich mit den technischen Möglichkeiten umgehen", sagt Kupka. Der Mediziner würde Alleinstehende oder Frauen in diesem Alter erst gar nicht behandeln. "Es geht immer darum, wie ist das Kind, das gezeugt wird, am besten abgesichert."
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Annegret Raunigk zeigt sich entsetzt über die oft bösartigen Kommentare, die vor allem in den sozialen Netzwerken über sie zu lesen sind. "Ich finde das gemein, ich mache so etwas auch nicht über die Entscheidung anderer."
Sie ist überzeugt, dass sie mindestens 80 wird, und dann seien die Vierlinge aus dem Gröbsten raus. Und sie macht deutlich: Sie liebt ihre Kinder Nummer 14 bis 17. Ob sie ein Kind hergeben würde, fragt die Moderatorin im Scherz. Nein, sagt Raunigk ganz ernst, keines.