Süddeutsche Zeitung

Winnenden-Prozess:"Sie verschwenden keinen Gedanken an uns"

Harsche Kritik am Vater des Amokläufers von Winnenden: Vergebung sei unmöglich, sagte die Schwester einer getöteten Schülerin vor Gericht in Stuttgart. Der Angeklagte schwelge in Selbstmitleid.

Der angeklagte Vater des Amokläufers von Winnenden und Wendlingen ist vor dem Landgericht Stuttgart von den Opfern seines Sohnes harsch kritisiert worden. Die Schwester einer getöteten Schülerin warf dem 51-Jährigen am zweiten Verhandlungstag vor, dass er sich am ersten Prozesstag nicht persönlich an die Angehörigen der Opfer gewandt hatte, sondern lediglich eine Erklärung durch seine Anwälte hatte verlesen lassen. Sie hätte ihm verzeihen können, wenn er nur "ein einziges Mal eine ehrliche und persönliche Entschuldigung" hervorgebracht hätte, sagte Tatjana Hahn, Schwester einer beim Amoklauf getöteten Schülerin, in einer emotionalen Erklärung als Nebenklägerin.

Der Prozess gegen den Vater des 17-jährigen Tim K., der am 11. März 2009 in der Albertville-Realschule in Winnenden und anschließend bei seiner Flucht in Wendlingen insgesamt 15 Menschen tötete und 13 verletzte, hatte am vergangenen Donnerstag begonnen. Dem Sportschützen wird vorgeworfen, die Tatwaffe unverschlossen im Schlafzimmer aufbewahrt und nicht wie vorgeschrieben weggeschlossen zu haben.

Die Angehörigen der Opfer hoffen auf eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung. Es sind derzeit 41 Nebenkläger zugelassen.

Die Erklärung des Angeklagten kommentierte die Schwester eines Opfers so: "Ich fühlte mich überhaupt nicht ernst genommen. Darin werden Sie als Opfer nicht als Täter dargestellt." Hätte er seine Waffe ordnungsgemäß weggeschlossen, wäre "dieser Massenmord" nicht möglich gewesen, fügte sie hinzu.

Zudem warf sie dem Vater vor, nur auf Mitleid aus zu sein. "Sie verschwenden doch keinen einzigen Gedanken an uns", sagte die Abiturientin. "Sie schwelgen doch lieber in Selbstmitleid." Zum Vater des Amokläufers sagte Hahn weiter: "Diese Menschen, die aufgrund Ihrer Fahrlässigkeit getötet wurden, hatten Träume. Sie hatten das ganze Leben vor sich. Der Amoklauf hat nicht nur die Opfer selbst getötet, sondern in einer gewissen Form die ganzen Familien."

In der Erklärung hatten die Verteidiger ausgeführt, dass der Vater sich seit der Tat mit Selbstmordgedanken getragen habe und schwer erkrankt sei. Die Familie habe mehrmals den Wohnsitz und den Namen gewechselt. An ihrem derzeitigen Wohnort würden sie keine Kontakte nach außen pflegen.

Nach der Erklärung der Nebenklägerin wurde als erster Zeuge der Hauptsachbearbeiter der Polizeidirektion Waiblingen für den Amoklauf sowie für das Verfahren gegen den Vater gehört. Er schilderte minutiös den Tatablauf.

Zudem beschrieb er, wie am Tag der Tat Beamte zu dem Haus der Eltern gefahren und vom Vater durch das Haus geführt worden seien. Bei der Suche nach der Waffe im Schlafzimmer sei diese nicht auffindbar gewesen. Der Zeuge sollte noch für den Rest des Verhandlungstages vernommen werden.

Am Rande des Prozesses forderten die Hinterbliebenen mit Blick auf den Amoklauf von Lörrach erneut eine weitere Verschärfung des Waffenrechts. "Man muss die Waffen aus den Privathaushalten verbannen", sagte Hardy Schober, Mitbegründer des Aktionsbündnisses Amoklauf Winnenden.

Schober hatte damals seine Tochter verloren. "Die Amokläuferin in Lörrach war eine Sportschützin und war aus dem Schützenverein ausgetreten. Warum musste sie die Waffen nicht abgeben? Zumal sie psychisch labil war." Nichts spreche dagegen, "Waffen zentral und gut gesichert aufzubewahren."

Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor erklärt, dass die Täterin in den 90er Jahren Mitglied in einem Schützenverein im nordbadischen Mosbach war. Dort sei sie aber nicht mehr Mitglied. Sie hatte zum Tatzeitpunkt Besitzkarten für vier Waffen.

Die 41-jährige Rechtsanwältin hatte am Wochenende in Lörrach ihren Ex-Mann, den gemeinsamen fünfjährigen Sohn und einen Krankenhauspfleger getötet, bevor sie selbst von der Polizei erschossen wurde.

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dpa/dapd/kat/beu
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