Süddeutsche Zeitung

Kriminelle Zwillinge:Die zwei Fragezeichen

Lesezeit: 3 min

Ein Täter hinterlässt am Tatort seine DNA: eine eindeutige Sache, oder nicht? Im Grunde schon - es sei denn, er hat einen eineiigen Zwilling. Über einen kuriosen Fall, der die Justiz in Schwierigkeiten bringt.

Von Martin Schneider

Jeder gute Krimi braucht einen Twist, also eine überraschende Wendung. Irgendwann im Buch oder im Film muss wenigstens ein Punkt kommen, an dem sich plötzlich herausstellt, dass der Mörder doch nicht der Gärtner ist. Agatha Christie etwa ist bekannt für dieses Stilmittel, ihre Wendungen sind gute Twists, sie sind logisch und trotzdem nicht vorhersehbar. Schlechte Twists gibt es natürlich auch, sie heißen in der Fachsprache "Deus ex Machina", also "Gott aus der Maschine". Heißt: Irgendwer oder irgendwas erscheint aus dem Nichts und dreht die Situation. Ein plötzlich auftauchender böser Zwillingsbruder wäre zum Beispiel nah dran an so einem schlechten Twist.

Doch die Realität schreibt manchmal ungewöhnliche Drehbücher. In Düsseldorf ist so ein Fall eines bösen Zwillingsbruders jetzt tatsächlich passiert. Das Amtsgericht hatte den Serben Boris C. wegen Wohnungs-Einbrüchen in vier Fällen zu 13 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Der Beweis für seine Schuld: Seine DNA fand sich an den Tatorten. Doch Boris C.s Verteidiger Nicolai Mameghani sagte, sein Mandant habe einen eineiigen Zwillingsbruder namens Alexander, vom dem die DNA ebenfalls stammen könnte. Das Gericht sagte, das sei eine "Schutzbehauptung", was übersetzt heißt: Das ist so abenteuerlich, das hast du dir ausgedacht. Mameghani blieb dabei. Und legte Berufung ein.

Das Landgericht Düsseldorf kommt mit der "Schutzbehauptung" nun nicht mehr durch. Denn dort liegt jetzt ein Schreiben des serbischen Generalkonsulats vor, das bestätigt, dass es eine Person in Serbien mit gleichem Geburtsdatum, gleichem Geburtsort und gleichem Nachnamen gibt, mit Vornamen Alexander. Und nun? Das deutsche Recht geht prinzipiell davon aus, dass die Staatsanwaltschaft einem Verdächtigen die Tat zweifelsfrei nachweisen muss. Anwalt Mameghani sagt: Die Spuren müssen nicht zwangsläufig von seinem Mandanten sein, er will einen Beweis, dass sie nicht von dessen Bruder stammen.

Das Zwillings-Problem ist nicht neu. Vor sechs Jahren stahlen Unbekannte Schmuck im Wert von zwei Millionen Euro aus dem Kaufhaus des Westens (KaDeWe) in Berlin, Gerichtsmediziner stellten am Tatort in einem verlorenen Handschuh DNA-Spuren der eineiigen Zwillinge Hassan und Abbas O. fest. Von wem genau? Das war nicht rauszukriegen. Beide einzusperren ist unmöglich, es gilt das Prinzip: Im Zweifel für den Angeklagten. Sie kamen frei, obwohl feststeht, dass mindestens einer von ihnen am Tatort war. Von der Beute fehlt bis heute jede Spur.

Kann man also als Zwilling das perfekte Verbrechen begehen? Der Molekularbiologe Frank Tschentscher arbeitet als DNA-Sachverständiger beim Landeskriminalamt in Düsseldorf, er sagt: "Bei einer normalen Probe untersucht man 16 Bereiche mit rund 300 Bausteinen des menschlichen Erbgutes." Das reiche, um eine Probe einer Person zweifelsfrei zuordnen zu können. Eineiige Zwillinge sind ein spezielles Problem, weil sie genetisch nahezu identisch sind. Der Standardtest reicht also nicht. Trotzdem, weiß man seit einigen Jahren, dass es auch zwischen Zwillingen kleine Unterschiede gibt. Wo diese Unterschiede im Erbgut liegen, ist aber zufällig. Um sie zu finden, muss man bei den Proben vom Tatort und vom Verdächtigen nicht einzelne Bereiche, sondern jeden einzelnen Baustein untersuchen und abgleichen. Das sind insgesamt sechs Milliarden. Das dauert und ist teuer.

"Die gute Nachricht ist: Es wird immer einfacher", sagt Tschentscher. Ende 2013 veröffentlichte die Münchner Firma Eurofins Medigenomix eine Methode, mit der man diese Analyse in drei Tagen vornehmen kann. Die Kosten liegen aber im hohen fünfstelligen Bereich. Beim Millionen-Raub im KaDeWe hätte sich das gelohnt. Im Fall von Alexander und Boris C. müsste das Gericht allerdings entscheiden, ob man diese Summe an Steuergeld ausgibt, um vier Einbrüche aufzuklären.

Das Landgericht Düsseldorf kann sich praktischerweise vor dieser Entscheidung drücken. Denn Boris C. ist in einem weiteren Fall wegen Betrugs angeklagt. Und nach der Strafprozessordnung darf die Staatsanwaltschaft ein Verfahren einstellen, wenn der Angeklagte wegen einer anderen Tat eine höhere Strafe zu erwarten hat. Da das hier der Fall ist, wird es wahrscheinlich nicht zum Showdown im Labor kommen.

Das Problem mit der Zwillings-DNA aber bleibt, wenngleich es wohl in Zukunft kleiner werden wird. Die Entwicklung in den vergangenen Jahren verlief so schnell, dass die komplette Gen-Sequenz immer günstiger analysiert werden kann. Ohnehin müssen Kriminalisten auf diese Technik nur dann zurückgreifen, wenn es von einem verdächtigen Zwilling ausschließlich DNA am Tatort gibt. Ein älteres kriminologisches Mittel kommt nämlich ohne Spezial-Labor aus und ist viel zuverlässiger: Selbst eineiige Zwillinge haben unterschiedliche Fingerabdrücke.

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Quelle:
SZ vom 30.10.2015
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