Kriminalität:Vermisst in Berlin

Kultur jenseits der Berliner Latte-Macchiato-Grenze

Eingang zum Gelände des Dong-Xuan-Center in Berlin-Lichtenberg.

(Foto: picture alliance / dpa)

Seit 2012 sind 470 vietnamesische Minderjährige verschwunden. Ins Land geschleust von der Mafia - oft, um in Bordellen oder Nagelstudios zu arbeiten.

Von Verena Mayer, Berlin

Das Dong Xuan Center ist einer der lebhaftesten Märkte in Berlin. In mehreren Hallen bekommt man alles, was aus Südostasien stammt, Gewürze, Nudeln, Stoffe, Kaffee und Tee, dazwischen gibt es Blumenläden, Garküchen, Nagelstudios und Friseure. Ein kleines Hanoi in der Hauptstadt soll der Markt sein, auf dem sich nicht nur die vietnamesische Community trifft - das Dong Xuan Center ist inzwischen auch eine Touristenattraktion.

Wenn es nach den Berliner Ermittlern geht, spielen sich im Dong Xuan Center aber nicht nur schöne Szenen ab. Die Hallen sollen auch der vietnamesischen Mafia als Drehscheibe für ihre Geschäfte dienen. Die da unter anderem wären: Schleusung und Menschenhandel. Das Phänomen gibt es schon länger: Menschen aus Vietnam werden über Russland, die baltischen Staaten und Polen nach Deutschland geschleust oder von dort weiter nach Westeuropa oder Großbritannien. Das Geld für die Reise, meistens um die 15 000 Euro, müssen die Menschen dann abarbeiten. Neu ist für Behörden jedoch, dass offenbar immer mehr Minderjährige Opfer der Schleuserringe werden.

Wie der Berliner Rundfunk RBB berichtet, wurden in Berlin seit 2012 mehr als 470 Kinder und Jugendliche aus Vietnam als vermisst gemeldet. In Brandenburg bestätigte die Polizei, dass 33 Kinder und Jugendliche seit 2013 betroffen waren, die meisten von ihnen seien männlich.

In Indoorplantagen müssen sie Cannabis anbauen

Die Vermisstenmeldungen kommen zustande, wenn die Behörden bei Razzien oder Kontrollen Vietnamesen aufgreifen, etwa, wenn sie beim illegalen Zigarettenverkauf erwischt werden, was als eine der Hauptbetätigungen gilt, um das Geld für die Schleuser abzuarbeiten. Immer wieder werden die Leute aber auch in Wohnungen gesteckt, in denen sie in Indoorplantagen Cannabis anbauen müssen. Viele der Aufgegriffenen sind jugendlich - oder geben an, jugendlich zu sein, um weiterer Strafverfolgung zu entgehen. Die Polizei bringt sie dann zu den Notdiensten der Jugendämter, die Unterkünfte für sie suchen. Aus denen verschwinden sie jedoch nach kurzer Zeit wieder, worauf sie als vermisst gemeldet werden.

Was es mit diesen vietnamesischen Jugendlichen auf sich hat, woher sie kommen und ob sie allein unterwegs sind, darüber sammelt die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie gerade Informationen. Bislang ist nur klar, dass seit 2012 insgesamt 550 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Vietnam in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht wurden, wie eine Sprecherin sagt. Davon sei ein erheblicher Teil nicht mehr da, was aber auch daran liegt, dass sie anderswo unterkamen oder sie nach der Altersfeststellung nicht minderjährig waren. Fest steht bislang nur, dass es für die Ämter äußerst schwierig ist, Vertrauen zu den Jugendlichen aufzubauen. Die Ermittler glauben dem RBB-Bericht zufolge, dass die Jugendlichen von den Schleusern sehr genau instruiert werden, was sie zu tun haben.

So erzählte ein junger Vietnamese im polnischen Poznań, wo gerade einer internationalen Schleuserbande der Prozess gemacht wird, dass er zum Arbeiten gezwungen werde, man ihn schlage oder hungern lasse, wenn er nicht gehorche. Er stammt aus einem Dorf in Vietnam, seine Eltern leben nicht mehr, die Schleuser lockten ihn mit dem Versprechen, ihm in Europa Arbeit zu verschaffen. Seine Großmutter musste den Schleusern dafür ihr Haus überlassen. Vor allem arme Familien oder verwaiste Jugendliche werden in Vietnam auf diese Weise getäuscht, viele landen nach Auffassung der Behörden in Massagesalons oder Bordellen. Auch in Nagelstudios sollen sie arbeiten. Und immer wieder führen Spuren zum Dong Xuan Center.

Berlin spielt eine zentrale Rolle, weil hier sehr viele Vietnamesen leben. Die meisten von ihnen kamen zu DDR-Zeiten als Vertragsarbeiter und blieben nach der Wende. Viele sind später aber auch illegal eingereist, leben oft zurückgezogen und wenden sich nicht an die Behörden, sodass sie leichte Opfer für die vietnamesische Mafia sind, die mit Schutzgelderpressung, Drogen- und Zigarettenhandel ihr Geld verdient.

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