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Kriminalität - Köln:Brandalarm: Prozess im Missbrauchsfall verschoben

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Köln (dpa) - Das Kölner Landgericht gilt nicht gerade als Schmuckkästchen - und auch technisch läuft längst nicht mehr alles glatt. Mitte Juni rauschte bei Arbeiten eine tonnenschwere Betonplatte auf ein Saaldach. Am Montag nun die nächste Hiobsbotschaft: Ein Brand - offenbar ausgelöst durch einen technischen Defekt - lässt den Start des lang erwarteten Prozesses gegen einen Koch platzen, dem der sexuelle Missbrauch seiner Tochter vorgeworfen wird. Er gilt als zentraler Verdächtiger im Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach, der sich auf ganz Deutschland erstreckt. Entsprechend groß waren die Erwartungen an das Verfahren.

"Es ist leider so, dass in der Strafsache gegen Jörg L. heute nicht verhandelt werden kann", teilte Gerichtssprecher Jan F. Orth einer Traube wartender Journalisten mit. Im Gericht habe es in einem Kälteraum einen Brand an einem Schaltschrank gegeben. Man gehe von einem technischen Defekt aus. Der Rauch sei aber bis in die sogenannte Vorführstelle gezogen. Dort warten in Haft befindliche Angeklagte auf ihren Prozess.

Auch der 43 Jahre alte Familienvater aus Bergisch Gladbach, der seit Herbst 2019 in Untersuchungshaft sitzt, hätte eigentlich in einer solchen Zelle untergebracht werden müssen. "Das ist aber im Moment aufgrund der Verrauchung nicht zumutbar", so Orth. Der Prozess soll nun am kommenden Montag (17. August) - eine Woche später, als ursprünglich geplant - beginnen.

Es ist davon auszugehen, dass sich der Andrang von Beobachtern dann wiederholen wird. Die Vorwürfe gegen den Koch und Hotelfachmann sind gravierend. Immer wieder soll er seine kleine Tochter sexuell missbraucht haben. Den überwiegenden Teil habe er fotografiert und gefilmt und diese Aufnahmen an gleichgesinnte Chat-Partner weitergeleitet. Insgesamt listet die Staatsanwaltschaft nach Gerichtsangaben 79 Straftaten auf. Allein die Verlesung der Anklageschrift dürfte geraume Zeit in Anspruch nehmen und nichts für schwache Nerven sein. Anwältin Monika Müller-Laschet, die in der Nebenklage die Tochter vertritt, nannte die Taten "schwerwiegend".

Vor allem gilt der 43-Jährige aber auch als zentrales Puzzlestück im Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach, der in gewisser Weise nach ihm benannt ist. Durchsuchungen bei ihm im Oktober 2019 brachten den ganzen Fall ins Rollen. Polizisten fanden nicht nur riesige Mengen kinderpornografischen Materials - sie entdeckten auch digitale Kontakte zu anderen Verdächtigen. Nach und nach kamen sie immer mehr Männern auf die Spur. In Köln hat sich eine Ermittlergruppe - unter großer psychischer Belastung - tief in die Szene eingearbeitet. In der Anfangszeit gab es teilweise mehrere Festnahmen in einer Nacht.

Mittlerweile werden Spuren in Foren, Gruppenchats und Messengerdiensten zu Tausenden möglichen Verdächtigen verfolgt. Allein in Nordrhein-Westfalen wird gegen mehr als 80 Beschuldigte ermittelt. Mehr als 70 weitere Hinweise auf mögliche Täter wurden in andere Bundesländer weitergeleitet, damit sie dort bearbeitet werden können. Rund 50 Kinder wurden identifiziert und aus den Fängen der Täter befreit. In vielen Fällen erfuhren die Mütter erstmals, was ihren Kindern widerfahren war.

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