Kriminalität - Kassel:Amokfahrer von Volkmarsen: Lebenslang gefordert

Deutschland
Einsatzkräfte sichern Spuren, nachdem das Auto in den Rosenmontagszug gefahren war. Foto: Uwe Zucchi/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Kassel (dpa/lhe) - Im Prozess um die Autoattacke auf den Rosenmontagszug im nordhessischen Volkmarsen hat die Staatsanwaltschaft am Donnerstag die Höchststrafe gefordert. Vor dem Landgericht Kassel beantragten die Anklagevertreter eine lebenslange Freiheitsstrafe für den Angeklagten mit dem Vorbehalt anschließender Sicherungsverwahrung. Darüber hinaus sei die besondere Schwere der Schuld festzustellen, sagte Staatsanwalt Tobias Wipplinger.

Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt wirft dem Angeklagten vor, am 24. Februar 2020 mit einem Auto in Volkmarsen vorsätzlich in eine Zuschauermenge gefahren zu sein. Dabei erlitten mindestens 88 Menschen - darunter 26 Kinder - teils schwere Verletzungen. 27 der Opfer wurden im Krankenhaus behandelt. Zwei von ihnen schwebten zeitweise in Lebensgefahr. Viele weitere Betroffene sind laut Staatsanwaltschaft bis heute psychisch erheblich traumatisiert.

Das Motiv für die Tat ist bislang völlig unklar. Der Angeklagte äußerte sich seit seiner Festnahme nicht - weder bei der Polizei noch vor Gericht. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt wirft ihm versuchten Mord sowie gefährliche Körperverletzung in 88 Fällen, in einem Fall versuchten Mord sowie den gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr vor. Es sei zweifelsfrei nachgewiesen worden, dass der Angeklagte die Tat vorsätzlich, gezielt und geplant begangen habe, um Menschen zu töten und zu verletzen, sagte Staatsanwältin Melike Aydogdu in ihrem Plädoyer.

"Ein technischer Defekt am Auto ist ebenso auszuschließen wie ein medizinischer Grund beim Angeklagten", führte Staatsanwalt Wipplinger aus. Der Angeklagte habe zur Tatzeit weder unter Alkohol- noch unter Drogeneinfluss gestanden. Der Mann sei laut psychiatrischem Gutachten schuldfähig, auch wenn bei ihm eine schwere Persönlichkeitsstörung attestiert worden sei. Es gebe keine Hinweise auf eine extremistische oder politische Motivation. Auch eine Beziehungstat sei auszuschließen, sagte Wipplinger.

Er geht von einer geplanten Tat aus. Das belege unter anderem die Aussage einer Nachbarin des Angeklagten. Sie hatte vor Gericht von einem Gespräch mit ihm Monate vor der Tat berichtet, in dem er angekündigt habe, bald in der Zeitung zu stehen.

Zudem habe der Angeklagte am Tag vor der Attacke eine sogenannte Dashcam im Tatfahrzeug installiert, mit der er das Geschehen habe filmen wollen. Kurz vor der Tat habe er sein Auto in erster Reihe geparkt, um problemlos wieder ausparken zu können. Auch habe er den richtigen Zeitpunkt abgepasst, um in den Umzug zu fahren. "Er hat die Tat geordnet, gezielt und man kann fast sagen gelassen vorbereitet", führte Wipplinger aus.

Der Angeklagte habe sich aufgrund seiner desolaten Lebenssituation geprägt durch Arbeitslosigkeit, Alkoholsucht, finanzielle Probleme, soziale Isolation und Frustration an der Menschheit rächen wollen, trug Wipplinger vor. "Es handelt sich bei der Tat um ein Attentat aus einer ganz bösen gegen die Menschen und die Gesellschaft gerichteten Gesinnung heraus." Am schwersten wiege, dass der 31-Jährige einen Mordanschlag auf feiernde Kinder verübt habe.

Er habe heimtückisch, gemeingefährlich und aus niedrigen Beweggründen gehandelt und mit seiner Tat eine ganze Stadt traumatisiert. Der Angeklagte habe so viele Menschen wie möglich töten und verletzen wollen. Er sei mit hoher Geschwindigkeit zielgerichtet in die Menge gefahren. "Es grenzt an ein Wunder, dass niemand ums Leben gekommen ist", betonte Wipplinger. Eine Strafmilderung schloss er aus.

Zuvor hatte Staatsanwältin Aydogdu minutenlang die Namen aller 88 körperlich verletzten Opfer verlesen. Der Angeklagte verfolgte den Vortrag wie auch den gesamten Prozess reglos. Dieses stoische, empathielose, unberührte Verfolgen der gesamten Verhandlung sei "ein weiterer Schlag ins Gesicht der Opfer und verhöhnt sie fast", sagte Nebenklägervertreter Frank Scheffler in seinem Plädoyer.

Die drei Opferanwälte folgten dem Antrag der Staatsanwaltschaft in weiten Teilen. Allerdings hielten zwei der Rechtsanwälte die niedrigen Beweggründe als Mordmotiv für nicht erwiesen, da der Angeklagte sich nicht geäußert habe.

Bevor die Plädoyers gehalten wurden, hatte das Landgericht die Beweisaufnahme nach 24 Verhandlungstagen und 182 Zeugenaussagen geschlossen. Das Plädoyer der Verteidigung wird für den 9. Dezember erwartet, die Urteilsverkündung für den 16. Dezember.

© dpa-infocom, dpa:211201-99-218427/6

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: