Kriminalität - Jena:Experte: Sexueller Missbrauch in Pflegeheimen Tabuthema

Deutschland
Olaf Scupin, Jenaer Pflegewissenschaftler an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena. Foto: ---/Olaf Scupin/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

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Jena (dpa/th) - In der stationären und ambulanten Altenpflege in Deutschland sind Schätzungen zufolge Tausende Patienten sexuellem Missbrauch ausgesetzt. Es gebe bisher nur wenige Untersuchungen dazu, sagte der Pflegewissenschaftler an der Jenaer Fachhochschule, Professor Olaf Scupin, der Deutschen Presse-Agentur. Stichproben und internationale Studien legten aber nahe, dass zwischen 0,1 bis 1 Prozent der Pflegebedürftigen in Deutschland Opfer sexuellen Missbrauchs würden. Das wären 3400 bis 34 000 Patienten.

"Ich gehe jedoch von einer höheren Dunkelziffer aus", sagte Scupin. Sexueller Missbrauch in der Pflege sei noch immer ein Tabuthema - auch wenn es etwa bereits Schutzkonzepte von Trägern dazu gebe. In Thüringen ermittelt derzeit die Staatsanwaltschaft Meiningen gegen fünf ehemalige Pflegerinnen wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kranken oder Hilfsbedürftigen, sexueller Nötigung, Körperverletzung und Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen.

Die fünf Frauen hatten nach Bekanntwerden der Vorwürfe in einem Pflegeheim in Neuhaus am Rennweg ihre fristlosen Kündigungen erhalten. Die bislang bekannten Opfer sind nach früheren Angaben der Polizei vier Frauen sowie ein Mann im Alter zwischen 55 und 86 Jahren.

"Wir sind bei sexuellem Missbrauch klar im kriminellen Bereich, da steckt ein Plan dahinter - das passiert nicht aus Versehen", sagte Scupin. Die Gelegenheit dafür sei in der Pflege leider günstig. Zwischen Pflegern und Heimbewohnern bestehe ein Abhängigkeitsverhältnis, zudem seien Pflegekräfte mit den Pflegebedürftigen häufig allein im Zimmer.

Hinzu komme bei vielen Pflegebedürftigen Einsamkeit und das Bedürfnis nach Nähe und Wärme. "Das macht es einfacher für die Täter, die ein Überlegenheitsgefühl ausleben können", so Scupin. Manche Bewohner wie Demenzkranke seien außerdem nicht in der Lage, sich verbal oder körperlich zu wehren. Durch Rotation in den Pflegeteams könnte aber beispielsweise Zivilcourage gefördert und den Anfängen fester Tätergruppen gewehrt werden.

Einen Grund für sexuellen Missbrauch in der Pflege schloss der Wissenschaftler allerdings kategorisch aus: "Personalmangel in der Pflege kann dafür nicht verantwortlich gemacht werden. Das greift zu kurz."

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