Kriminalität - Hanau:Hanau: Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Polizeibehörden

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Hanau/Wiesbaden (dpa/lhe) - Die Anwälte der Hanauer Opfer-Familien haben gut ein Jahr nach dem rassistisch motivierten Anschlag schwere Vorwürfe gegen die Polizeibehörden erhoben. In einem Schreiben an das hessische Innenministerium mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde hätten sie den Polizeikräften und -behörden vorgeworfen, "die Mordtaten des Täters in Hanau durch amtspflichtwidrige Versäumnisse begünstigt beziehungsweise nicht verhindert zu haben", teilte die "Initiative 19. Februar Hanau" am Mittwoch mit.

Der 43-jährige Deutsche Tobias R. hatte am 19. Februar 2020 in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven erschossen. In der Initiative hatten sich Überlebende sowie Hinterbliebene der Opfer zusammengeschlossen. Anwaltlich vertreten werden sie vom ehemaligen hessischen Justizminister, Rechtsanwalt Rupert von Plottnitz, sowie dem Staatsrechtler Günter Frankenberg. Die Dienstaufsichtsbeschwerde richte sich gegen die nach dem Anschlag am Einsatz beteiligten hessischen Polizeibehörden, sagte Plottnitz der Deutschen Presse-Agentur.

Konkret gehe es in der Dienstaufsichtsbeschwerde um eine in der Tatnacht möglicherweise verschlossene Notausgangstür am zweiten der beiden Tatorte sowie um die "technisch unzulängliche und unterbesetzte Notrufanlage" der Hanauer Polizeistation, hieß es in der Mitteilung. Auch Versäumnisse im Umgang mit den Angehörigen monieren die Anwälte. So seien die Familien über Stunden nicht über den Tod ihrer Angehörigen informiert worden, sagte von Plottnitz.

Dem Innenministerium setzten die Anwälte eine Frist bis zum 23. April, "die durch die genannten Versäumnisse verursachten materiellen und immateriellen Schäden auszugleichen", wie es in der Mitteilung hieß. "Sollte das Innenministerium sich erneut weigern, auf die von unseren Rechtsanwälten dargelegten Versagenspunkte einzugehen, werden wir beim zuständigen Gericht eine Amtshaftungsklage einreichen", erklärte Armin Kurtović für die Familien der Opfer. Sein Sohn Hamza war bei dem Anschlag getötet worden.

"Sowohl der Generalbundesanwalt als auch die hessische Landesregierung haben frühzeitig zugesagt, dass sie nach Beendigung des rechtsstaatlichen Verfahrens mit den Opfern, Hinterbliebenen und ihren Vertretern alle wichtigen Erkenntnisse der Strafverfolgungsbehörden teilen werden", sagte Innenminister Peter Beuth (CDU). Weder er noch die hessische Polizei verzögere eine Beantwortung offener Fragen, sagte Beuth auch mit Blick auf Kritik der SPD-Fraktionschefin im Landtag, Nancy Faeser. "Die Regeln unseres Rechtsstaats verlangen die Gründlichkeit eines geordneten Verfahrens."

Faeser hatten den Schritt der Opferfamilien als verständlich bezeichnet und Beuth vorgeworfen, bislang so gut wie nichts getan zu haben, um alle Umstände der Tat aufzuklären. Ein Untersuchungsausschuss sei "unumgänglich".

Dem Ministerium zufolge laufen weiterhin intensive strafrechtliche Ermittlungen. "Weder die hessische Polizei noch das hessische Innenministerium können aufgrund der nach wie vor laufenden Ermittlungen umfänglich zu konkreten Fragen, die die Tatnacht betreffen, Auskunft geben." Bei der Staatsanwaltschaft Hanau seien zu Fragen des Notrufs sowie des Notausgangs zwei Prüfverfahren eingeleitet worden, "deren Ergebnis selbstverständlich in die umfassende Beantwortung an die Opfer und Hinterbliebenen der Terrortat von Hanau einfließen wird, sobald auch diese rechtsstaatlichen Verfahren abgeschlossen sind".

Zu der Dienstaufsichtsbeschwerde hieß es: Dabei werde die zuständige Disziplinarbehörde gebeten zu prüfen, "ob es durch Amtsträger zu einem rügenswerten Verhalten gekommen ist oder nicht. Angesichts laufender strafrechtlicher Ermittlungen werden Dienstaufsichtsbeschwerden nach Abschluss eines rechtsstaatlichen Verfahrens geprüft".

Beuth hatte Anfang Februar dieses Jahres Engpässe beim Notruf der Hanauer Polizeistation in der Tatnacht eingeräumt, zugleich aber betont, die Beamten seien dennoch innerhalb von ein bis zwei Minuten am ersten Tatort gewesen. Zugleich wies er den Vorwurf zurück, der Notausgang sei auf polizeiliche Anweisung verschlossen gewesen. "Die hessische Polizei würde niemals Anweisungen erteilen, die den Gesetzen zuwiderlaufen", erklärte der Minister dazu.

© dpa-infocom, dpa:210324-99-952407/4

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