Kriminalität - Hamburg:Gemeinsame Lehren für Hamburg und Schleswig-Holstein

Kriminalität - Hamburg: Holger Schatz (SPD), Justizstaatsrat, spricht im Innen- und Rechtsausschuss des Landtags. Foto: Marcus Brandt/dpa
Holger Schatz (SPD), Justizstaatsrat, spricht im Innen- und Rechtsausschuss des Landtags. Foto: Marcus Brandt/dpa (Foto: dpa)

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Kiel (dpa) - Der Umgang der Behörden mit dem mutmaßlichen Messerangreifer von Brokstedt, Ibrahim A., wirft weiter Fragen auf. Im Innen- und Rechtsausschuss des Landtags wurden am Mittwoch erneut Kommunikationsprobleme der Behörden in Hamburg und Kiel sichtbar. Mails wurden anscheinend aus Datenschutzgründen zwischenzeitlich gelöscht, formale Mitteilungspflichten möglicherweise verletzt. Nun wollen beiden Länder die Kommunikation verbessern.

"Man kann doch anhand dessen, was passiert ist, heute nicht feststellen, dass man gar keinen Fehler gemacht hat", sagte Schleswig-Holsteins Integrationsministerin Aminata Touré (Grüne). Sie habe aber mit Blick auf Hamburg nicht den Eindruck, dass von dort massive Vorwürfe kämen, sondern dass alle ein riesen Interesse daran haben, eine Aufklärung hinzubekommen.

Nach heftiger Kritik und zwischenzeitlicher Absage stellten sich mit Justizstaatsrat Holger Schatz und Innenstaatsrat Thomas Schuster doch zwei hochrangige Behördenvertreter Hamburgs den Fragen der Landtagsabgeordneten. Es habe 2022 in Richtung Kiel "zehn Meldungen durch Kontaktaufnahmen Hamburgs" gegeben, sagte Schatz. Spätestens seit Anfang März hätten nicht nur dem dortigen Ausländeramt, sondern auch dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) alle wesentlichen Informationen zur Inhaftierung des 33-Jährigen vorgelegen. Bis wenige Tage vor der Tat am 25. Januar saß der mutmaßliche Täter in Hamburg wegen gefährlicher Körperverletzung in Haft.

Nach Darstellung von Schatz blieben die entsprechenden Nachrichten aus der Hansestadt aus Kiel aber mehrfach unbeantwortet. Erst am 9. März habe es per Mail erste Nachfragen zu dem Fall gegeben, die auch beantwortet worden seien. "Über die neuen Straftaten des Ibrahim A. hatte das Bamf auch seit 9. März Kenntnis."

Auf Staatssekretärsebene wollen Hamburg und Schleswig-Holstein bald darüber sprechen, wie die Kommunikation der Behörden beider Länder verbessert werden kann. Die Hamburger Justizbehörde habe dazu eingeladen, sagte Schatz.

Für den FDP-Innenpolitiker Bernd Buchholz steht fest, "hier haben alle Beteiligten irgendwo einzelne Fehler gemacht". Am Ende lasse sich aber nicht sagen, dass die Tat ohne diese Fehler hätte verhindert werden können. Alle Beteiligten hätten aber gezeigt, zwischen den beiden Bundesländern sei "der obligatorische Austausch von Informationen bei solchen Fällen nicht gut geregelt".

Auch der SPD-Innenpolitiker Niclas Dürbrook betonte, "wir haben nach wie vor keinen Punkt gefunden, bei dem man sagen kann, wenn es das nicht gegeben hätte, hätten wir die Tat verhindern können". In der vergangenen Woche hätten einige Beteiligte schnell von einem eklatanten Behördenversagen in Hamburg gesprochen. "Es sind an allen Orten kleinere Fehler gemacht worden, die insgesamt ärgerlich sind, die zu Verzögerungen geführt haben, aber die alle für sich keine Erklärung für die Tat sind."

Kiels Ordnungsdezernent Christian Zierau räumte ein, "wir sind noch am Anfang der Aufarbeitung". Klar sei, dass gesetzliche Mitteilungspflichten eingehalten werden müssten. "Das ist keine Holschuld der zuständigen Ausländerbehörden."

Ein per Video zugeschalteter Abteilungsleiter des Bamf sagte, eine Hamburger Meldung vom 1. März sei mitnichten auch an seine Behörde gegangen. Die Stadt Kiel habe das Bamf in dieser Sache bei einer Nachfrage nach Hamburg am 9. März in CC genommen.

Unterdessen berichteten am Mittwoch mehrere Teilnehmer einer nicht-öffentlichen Sitzung des Innenausschusses des Bundestags übereinstimmend, der parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Mahmut Özdemir (SPD), habe gesagt, in die Akte, die das Bamf zu Ibrahim A. anlegte, sei fälschlicherweise ein Ausweis aus Syrien von einer anderen Person gelangt. Daher sei das Bamf zwischenzeitlich davon ausgegangen, dass der Mann ein staatenloser Palästinenser aus Syrien sei. Der Abteilungsleiter hatte vergangene Woche im Ausschuss in Kiel gesagt, Ibrahim A. selbst habe nach seiner Einreise 2014 gesagt, er stamme aus dem Gazastreifen und sei staatenlos.

Thema war auch der Vergleich des Tatverdächtigen mit Amri, dem Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, während seiner Haft. "Es gibt nicht nur einen Anis Amri, es gibt mehrere, ich bin auch einer" - diese Aussage von Ibrahim A. habe das Personal der JVA in einem sogenannten Wahrnehmungsbogen festgehalten, sagte Schatz. Der Mann sei in der Haft häufig mit aggressiven Äußerungen aufgefallen, immer dann, wenn er seinen Willen nicht bekam.

Nach Darstellung von Schatz gab es aber keine Indizien für einen terroristischen Hintergrund des Mannes. Er habe keine Kontakte in islamistische Kreis gehabt, weder einen Koran noch einen Gebetsteppich im Haftraum besessen.

Der 33 Jahre alte Palästinenser Ibrahim A. soll am 25. Januar mit einem Messer in einem Regionalzug auf andere Fahrgäste eingestochen haben. Zwei junge Menschen starben, fünf weitere wurden verletzt. "Drei von ihnen sind noch mit sehr, sehr schweren Verletzungen in der Klinik", sagte Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) dem "Flensburger Tageblatt" (Mittwoch). "Da gibt es nur ganz langsame Verbesserungen. Ihr Zustand ist stabil, aber mit den Verletzungen werden sie wahrscheinlich noch sehr lange zu tun haben."

Der genaue Tathergang in dem Regionalzug von Kiel nach Hamburg ist weiter unklar. "Wir kennen bis heute noch nicht alle Details des Tatablaufs", sagte Sütterlin-Waack. "Die Polizei hat längst alle 120 Zeugen, die im Zug waren, befragt, aber ein komplettes Bild haben wir noch nicht." Zwischen 20 und 30 der Zeugen erlebten demnach das Tatgeschehen mit.

© dpa-infocom, dpa:230208-99-521972/3

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