Kriminalität - Gießen:Mehr Hilfen für Kinder inhaftierter Eltern

Kriminalität - Gießen: Eine geschlossene Pforte in einer Justizvollzugsanstalt. Foto: Frank Molter/dpa/Symbolbild
Eine geschlossene Pforte in einer Justizvollzugsanstalt. Foto: Frank Molter/dpa/Symbolbild (Foto: dpa)

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Gießen (dpa/lhe) - Stress, Scham, Entwicklungsrisiken - die Inhaftierung von Elternteilen kann für Kinder dramatische Folgen haben. Eine neue Landesfachstelle soll dafür sorgen, dass die Bedürfnisse betroffener Kinder in Hessen stärker wahrgenommen werden und sie mehr Unterstützung bekommen. Das "Netzwerk Kinder von Inhaftierten - Hessen" mit der Landesfachstelle sei Teil eines in sechs Bundesländern gestarteten Projekts, sagte Astrid Dietmann-Quurck vom Verein Aktion - Perspektive für junge Menschen und Familien am Donnerstag in Gießen. Im Auftrag der hessischen Ministerien für Soziales und Justiz soll der Verein die Landesfachstelle aufbauen. Ähnliche Projekte seien auch in Berlin, Bayern, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern angelaufen.

Jährlich seien Schätzungen zufolge bundesweit rund 100.000 Kinder von der Inhaftierung eines Elternteils betroffen, genaue Zahlen für Hessen liegen bisher nicht vor. Die psychischen und physischen Folgen für die Kinder und Jugendlichen seien oft gravierend und reichten von Leistungsabfall in der Schule und Vertrauensverlust in Erwachsene über Furcht vor Stigmatisierung bis hin zu körperlichen Beschwerden wie Kopf- und Bauchschmerzen.

In der Jugendhilfe werde das Thema häufig noch nicht genug wahrgenommen. Deshalb will die Landesfachstelle Jugendämter und Justiz besser vernetzen. "Man hat das Gefühl, die sprechen zwei verschiedene Sprachen", sagte Dietmann-Quurck. Dabei sehe etwa die UN-Kinderrechtskonvention vor, dass Kinder, die von einem oder beiden Eltern getrennt seien, "regelmäßige persönliche Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden Eltern" pflegen können sollen - sofern es nicht dem Kindeswohl widerspricht. Die Realität sehe aber häufig anders aus: Zu den spärlichen Besuchszeiten in Gefängnissen von in der Regel nur zwei Stunden pro Monat komme, dass Jugendämter Besuche in den Justizvollzugsanstalten häufig als nicht kindgerecht einschätzten. Deshalb würden diese lieber erst gar nicht organisiert, anstatt sie kindgerecht und freundlich zu gestalten und zu begleiten.

Dies will die Landesfachstelle voranbringen - auch indem Justizbedienstete entsprechend sensibilisiert werden. "Es reicht manchmal schon, dem Kind ein Bonbon zuzustecken", sagte Dietmann-Quurck. Auch die Inhaftierten selbst - ein Großteil davon sind Männer - sollten durch eine stärkere Familienorientierung des Strafvollzugs besser auf die Besuche vorbereitet werden, um bei Besuchskontakten besser mit ihren Kindern ins Gespräch kommen oder spielen und ihnen vielleicht auch kindgerecht erklären zu können, was passiert ist. Es gehe darum, den Kindern zu vermitteln: "Papa oder Mama haben vielleicht einen schlimmen Fehler gemacht, aber die Kinder dürfen nicht dafür bestraft werden." Die Gefangenen können sich bei den Sozialdiensten melden, die dann auswählen, welche Gefangenen für solche Kontakte in Frage kommen. Dabei spielten auch Sicherheitsaspekte eine Rolle. "Natürlich steht das Kindeswohl ganz weit oben", sagte Dietmann-Quurck. Klar sei aber auch: "Die Eltern bleiben die Eltern - was auch immer passiert ist."

Schwerpunktmäßig hat die Landesfachstelle, die sowohl als Anlaufstelle für Betroffene und Fachkräfte fungieren als auch Beratungs- und Qualifizierungsangebote bieten und auch Informationsveranstaltungen organisieren will, zunächst drei Modellregionen mit den Justizvollzugsanstalten Frankfurt III, Butzbach und Kassel I im Blick. Schrittweise und langfristig sollen die neu geschaffenen Vernetzungsstrukturen dann auf die anderen Regionen in Hessen übertragen werden.

© dpa-infocom, dpa:230427-99-470416/3

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