Kriminalität:Gewalt verfeindeter Banden entsetzt Franzosen

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Die Polizei hat den Ort einer Schlägerei in einem südlichen Vorort von Paris abgesperrt. Foto: Thomas Coex/AFP/dpa (Foto: dpa)

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Paris (dpa) - Ihre Waffen sind oft einfach - aber tödlich: Eisenstangen, Hämmer, Krücken. Und natürlich Messer. Innerhalb eines Tages sind in Frankreich offenbar bei Kämpfen zwischen rivalisierenden Banden zwei Jugendliche getötet worden.

Beide Vorfälle ereigneten sich im Süden von Paris, im Département Essonne. Innenminister Gérald Darmanin sprach von einer "Explosion" der Gewalt zwischen kriminellen Banden. Die tödlichen Auseinandersetzungen werfen auf grausame Weise ein Schlaglicht auf die Bandenkriminalität im Großraum Paris.

Die erste tödliche Prügelei ereignet sich am Montag in Saint-Chéron. Von dort aus braucht man mit dem Vorstadtzug etwa eine Stunde ins Zentrum von Paris. Rund ein Dutzend Jugendliche gehen dort nahe einer Schule aufeinander los. Sie sind schwarz gekleidet, tragen Kapuzen - so schildert es die Staatsanwältin. Die 14-jährige Lilibelle erleidet eine Stichverletzung, sie stirbt später im Krankenhaus.

Keine 24 Stunden nach ihrem Tod stirbt ein weiterer Jugendlicher - rund 45 Kilometer entfernt. Wieder ist es ersten Erkenntnissen nach eine Schlägerei zwischen rivalisierenden Banden, die das Leben des jungen Mannes fordert. Dutzende junge Menschen sollen aufeinander eingeprügelt haben. In beiden Fällen gibt es erste Festnahmen.

Die erschreckenden Taten haben Entsetzen in Frankreich ausgelöst. Sie kommen nur wenige Wochen nachdem ein 15-Jähriger bei einem brutalen Angriff in Paris schwer verletzt wurde und quasi zum Sterben auf den Betonplatten des Hochhausviertels Beaugrenelle liegen gelassen wurde. Videos zeigten das Ausmaß der Gewalt im Fall Yuriy - dieser überlebte schließlich.

"Diese Schlägereien zwischen Gangs haben in Anzahl, Intensität und Schwere zugenommen", sagt der Präfekt des Départements Essonne, Eric Jalon, dem Sender Franceinfo. 2020 hat es demnach 91 Bandenkämpfe in Essonne gegeben - im Jahr davor waren es 56. "Wir haben es mit mehr oder weniger organisierten, mehr oder weniger strukturierten Phänomenen zu tun", schildert er die Situation. Die Schlägereien würden sich an Verkehrslinien oder Schulen orientieren. Schauplätze seien Bahnhöfe oder Haltestellen.

Doch nehmen die gewalttätigen Auseinandersetzungen zu? Kreise der Generaldirektion der Polizei bestätigen Berichte, wonach es im Jahr 2020 im ganzen Land 357 gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Banden gegeben hat. Das sei im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg um 24 Prozent. Die überwiegende Mehrheit der Vorfälle hat sich demnach im Großraum Paris ereignet. Allerdings seien die Zahlen aktuell nicht so hoch wie in Jahren zuvor, sagte Innenminister Darmanin.

Drogen und die Kontrolle von Plätzen, an denen gedealt werde, seien ein zentrales Motiv für die Streitigkeiten, sagte ein Beamter der Sicherheitsbehörden jüngst der Zeitung "Le Figaro". Anders als früher würden sich die Gangs dann schließlich über soziale Medien wie Snapchat oder Tiktok gegenseitig herausfordern und schließlich zu Kämpfen treffen.

Für den französischen Kriminologen Alain Bauer ist ein Grund für die Gewalt auch der Vertrauensverlust in Institutionen. Es gebe aktuell eine allgemeine soziale Gewalt, sagte er dem Sender Europe 1. Das habe man auch bei den "Gelbwesten"-Protesten gesehen.

"Soziale Netzwerke sind das große Novum", sagt der Soziologe Marwan Mohammed in der Zeitung "Le Monde". Er merkt aber an, dass die Zahl der Opfer etwa in Paris im Vergleich etwa zu US-Großstädten gering sei. "Le Parisien" berichtet unter Berufung auf die Polizeipräfektur von drei Toten im Jahr 2020. Die Täter, so Mohammed, seien meist männliche Jugendliche mit Schulschwierigkeiten, sie seien kaum sozial eingegliedert und schätzten körperliche Stärke.

Doch wie soll dieses Problem gelöst werden? Es seien, sagt Mohammed, die grundlegenden, aber oft vernachlässigten Themen, die hier die entscheidende Rolle spielen: Schulversagen, Perspektivlosigkeit, Integrationsschwierigkeiten oder komplizierte Familiensituationen.

Langfristig brauche es eine neue Sozialpolitik. Etwas anders drückte sich Innenminister Darmanin nach den Taten aus: "Die Gesellschaft ist nicht für alles verantwortlich, sondern in erster Linie die Eltern, die eine Autoritätspflicht haben."

© dpa-infocom, dpa:210224-99-574811/2

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