Kriminalität:Die Akte "Elysium"

Vier Männer aus Deutschland stehen in Limburg vor Gericht, sie sollen eine riesige Kinderporno-Plattform betrieben haben. Im Darknet fanden die Ermittler das Archiv furchtbarer menschlicher Abgründe.

Von Jan Willmroth, Limburg

Joachim P. nimmt an diesem Donnerstagmorgen als Erster Platz auf der Anklagebank. Die fahlgrauen Haare nach hinten gekämmt, den Mund in seinem Bart versteckt, das zitronengelbe kurzärmlige Hemd ist viel zu weit. Auf der anderen Seite des Saals im Limburger Landgericht steht die junge Staatsanwältin und trägt vor, welches Grauen P. und die anderen drei Männer betrieben und verwaltet haben sollen, ein Forum zur Verbreitung von Kinderpornos, wie es in dieser Größe bisher nur wenige auf der Welt gibt. Es sind vier Männer, 40 bis 62 Jahre alt, angeklagt wegen bandenmäßiger Verbreitung von Kinderpornografie und teilweise wegen Kindesmissbrauchs. Sie sehen sich an diesem Tag zum ersten Mal im realen Leben.

Allein die Verlesung der Anklageschrift füllt den ersten Verhandlungstag aus. Die Angeklagten sollen Administratoren und Moderatoren der Darknet-Plattform "Elysium" gewesen sein, die seit Ende 2016 etwa ein halbes Jahr aktiv war: Ein Archiv der totalen Perversion, voll mit Bildern und Videos von missbrauchten und vergewaltigten Kindern. Ein virtueller Ort, an dem sich Täter verabredeten, um sich an Kindern zu vergehen, nicht selten an ihren eigenen.

P., 58, hat die blassen Arme verschränkt auf dem Tisch abgestützt und schaut durch die Gläser seiner Lesebrille auf die Anklageschrift. In Ruhe liest er mit, was er alles getan haben soll, und sieht dabei aus, als erfahre er vom Inhalt dieser gut 150 Seiten zum ersten Mal. An Weihnachten 2016 war er, den die Anklage für den Chef-Administrator der von Deutschland aus verwalteten Kinderhölle hält, besonders aktiv. Die Staatsanwältin liest vom Blatt, verspricht sich nur ein einziges Mal in diesen Stunden, es klingt, als würde sie einen Lieferschein vortragen: Zweiter Weihnachtstag, 26. Dezember 2016, 5.38 Uhr, P. eröffnet unter dem Nicknamen Noctua einen Forumsbeitrag in der Kategorie "Girls_Webcam" und lädt ein Video hoch, das ein zehn- bis zwölfjähriges Mädchen zeigt, wie es sich verschiedene Gegenstände einführt. Um 6.09 Uhr das nächste Video, darin ein Mädchen, das nackt vor der Kamera posiert, der Fokus auf dem Intimbereich. Um 6.37 Uhr ist Noctua wieder aktiv, diesmal müssen ein zehnjähriges Mädchen und ein elfjähriger Junge vor der Kamera nackt aufeinander liegen. Um 6.45 Uhr bietet P. alias Noctua den nächsten Download an, so geht es weiter, bis er aufhört und sich am späten Abend wieder einloggt. 16 weitere Beiträge, allein an diesem Tag. Und das ist nur ein Ausschnitt.

Jeden Zeitpunkt, an dem einer der Männer etwas auf der Plattform anbot, listet die Anklage auf. Jeder Forumsbeitrag wird mit Titel, jedes Video und jede Bilderserie werden mit Dateinamen und Inhalt vorgelesen. Mädchen und Jungen, vier Jahre alt oder elf, die sich anfassen und mit Gegenständen hantieren sowie alle möglichen Körperflüssigkeiten über sich ergehen lassen sollen. Jede einzelne Datei, die im Gerichtssaal eine Rolle spielt, haben Ermittler gesichtet, 1866 Beiträge gezählt, mit Tausenden Dateien. Als die Beamten des BKA und der hessischen Generalstaatsanwaltschaft die Plattform im Juni 2017 abschalten, sind dort 111 907 Mitglieder angemeldet. "Elysium", benannt nach der Insel der Seligen aus der griechischen Mythologie, hatte für jede erdenkliche Vorliebe von pädophilen Tätern eine eigene Kategorie: Kleinstkinder und Säuglinge, Mädchen oder Jungen in sexuellen Posen, Mädchen oder Jungen bei expliziten sexuellen Handlungen mit Erwachsenen, ein Fetisch-Bereich mit Sadomaso- und Sodomie-Darstellungen. Stets aktuell verwaltet und moderiert, wie jedes gut gepflegte Internet-Forum. Nur versteckt im Darknet, jenem Teil des Internets, in dem man sich durch Tor-Browser und Verschlüsselungstechnik weitgehend anonym bewegen kann. Das ist aufwendig, und wer dieses Forum ansteuert, muss ganz gezielt nach ihm gesucht haben.

Dort fanden die Ermittler neben P. auch die anderen Angeklagten. Bernd M., 57, aus der Nähe von Tauberbischofsheim, verheiratet, ein Sohn, angeblich gehört er der rechten Szene an. Er soll Tipps gegeben haben, wie man verschlüsselt kommuniziert. Frank M., der mit seiner Frau, zwei Kindern und seinen Eltern in Limburg lebte und den Server bereitgestellt haben soll. Und Michael G., 62, aus Landsberg am Lech, grauer Vollbart und Pferdeschwanz, der sich mit den Worten vorstellte, er sei "seit 18 Jahren glücklich verheiratet". Laut Anklageschrift war er im Besitz von mehr als 15 000 Dateien. 1992 war er wegen Kindesmissbrauchs und Missbrauchs Schutzbefohlener zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Er soll das Forum auch genutzt haben, um sich in Wien an Sohn und Tochter eines Mittäters zu vergehen.

Alle vier Männer werden aussagen, das haben sie erklärt. Am nächsten Verhandlungstag in knapp drei Wochen soll der erste von ihnen befragt werden. Doch im Darknet, so wissen die Ermittler, hat schon längst die nächste Kinderhölle eröffnet.

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