Kriminalfall schockt USA:Bande foltert Behinderte

Philadelphias Bürgermeister spricht von einem "Netz des Schreckens": Einer 51-jährigen Amerikanerin und drei Komplizen wird vorgeworfen, über Jahre Dutzende Menschen, darunter mehrere Behinderte, eingekerkert und misshandelt zu haben.

Ein geistig behinderter Mann angekettet an einen Boiler. Eine behinderte Frau mit ausgeschlagenen Zähnen. Eine unterernährte Teenagerin mit Brand- und Schusswunden. Das sind nur einige der Opfer einer mutmaßlichen Verbrecherbande, die in den USA hilflose und behinderte Menschen gefangen gehalten und gefoltert haben soll - um deren Sozialhilfe abzukassieren. "Was ich gehört habe, was mir beschrieben wurde - ich bin nicht sicher, ob das Wort entsetzlich das angemessen beschreibt", sagte der Bürgermeister von Philadelphia, Michael Nutter.

Kriminalfall schockt USA: Die 51-jährige Ann W. soll einer Verbrecherbande vorgestanden haben, die hilflose Menschen um deren Sozialhilfe betrog.

Die 51-jährige Ann W. soll einer Verbrecherbande vorgestanden haben, die hilflose Menschen um deren Sozialhilfe betrog.

(Foto: AP)

Vier erwachsene Opfer wurden am Samstag im Kellerraum eines Mehrfamilienhauses gefunden. Sie sind offenbar geistig alle auf dem Stand eines zehnjährigen Kindes. Einer von ihnen sagte, er habe die mutmaßliche Anführerin Ann W. über eine Partnervermittlung im Internet kennengelernt. Unklar ist, wie W. die anderen behinderten Erwachsenen kennenlernte.

Eine der Gefangenen brachte in den vergangenen Jahren möglicherweise mehrere Kinder zur Welt. Die Behinderten wurden im Krankenhaus behandelt und danach den Sozialbehörden übergeben.

"Man möchte weinen, wenn man sie sieht"

Die 51-Jährige W. und die drei Komplizen - darunter ihre eigene Tochter, die 32 Jahre alte Jean M. - werden der Entführung, Körperverletzung und anderer Straftaten beschuldigt. Ihre Kaution wurde auf 2,5 Millionen Dollar festgelegt.

Acht Kinder und vier junge Erwachsene, die mit den Beschuldigten in Beziehung stehen, wurden vorsorglich ebenfalls in Obhut genommen. Sie wurden in mehreren Wohnungen in Philadelphia aufgefunden. Unter ihnen war auch die 19-jährige Beatrice W., eine Nichte der Hauptbeschuldigten Ann W. Die Jugendliche war nach Polizeiangaben tagelang in einem Schrank eingeschlossen.

"Ich habe noch nie ein Opfer mit schwereren Verletzungen gesehen", sagte Polizeichef Charles Ramsey. "Das Mädchen wurde geschlagen und misshandelt. Man möchte weinen, wenn man sie sieht."

Bandenchefin bereits wegen Mordes verurteilt

Die Beschuldigten sollen am kommenden Montag erstmals dem Gericht vorgeführt werden. Ann W. wurde in den frühen achtziger Jahren gemeinsam mit einer Schwester bereits wegen Mordes verurteilt. Sie hatte den Freund ihrer Schwester wochenlang in einem Schrank eingeschlossen: Der Mann verhungerte. Ihre Tochter ist wegen Betrugs den Behörden bekannt.

Die Behörden in Virginia bestätigten unterdessen, dass eine Frau aus Philadelphia 2008 in einem von W. gemietetem Haus in Norfolk starb. Die 39-Jährige litt an Meningitis, war dem Totenschein zufolge aber auch stark abgemagert. W. habe das Haus geräumt, nur wenige Stunden, nachdem sie den Todesfall gemeldet hatte. "Niemand war da. Sie haben alles zurückgelassen", berichtete der damalige Vermieter. "Der Fernseher lief noch."

W. war erst sechs Wochen vor dem Vorfall gemeinsam mit drei Frauen in das Haus eingezogen. Sie hatte dem Vermieter erzählt, sie habe die Vormundschaft für die Frauen. Wohin sie mit den Überlebenden danach verschwand, ist unklar.

Allein im vergangenen Jahr reiste Ann W. mit den vier behinderten Erwachsenen von Killeen im US-Staat Texas nach West Palm Beach in Florida und von dort nach Philadelphia. Die Polizei vermutet, dass die Gruppe auf der Flucht vor den Behörden und Vermietern war, die vor Gericht ausstehende Miete einklagen wollten.

Nur durch einen Zufall wurden die Eingekerkten schließlich entdeckt: Bellende Hunde machten den aktuellen Vermieter auf einen winzigen Kellerraum aufmerksam, in dem die Erwachsenen festgehalten wurden. Sie waren so geschwächt, dass sie nur mit Hilfe der Polizisten die Stufen hinaufgehen konnten.

Die Beamten fanden bei den Verdächtigen Sozialversicherungsunterlagen und Vollmachten von etwa 50 Menschen. Bisher ist nicht bekannt, wie viele weitere Opfer es gab und um wie viel Geld es geht. Die Polizei glaubt aber, alle Kinder und Jugendlichen, für die eine Gefahr bestand, gefunden zu haben. "Wir versuchen noch, die vielen Komponenten dessen herauszufinden, was ich als ein verwobenes Netz des Schreckens beschreiben würde", sagte Bürgermeister Nutter.

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