Vögel als Straßenreiniger:Die Müllpicker

Vögel als Straßenreiniger: Im schwedischen Södertälje sollen künftig Krähen bei der Müllentsorgung helfen.

Im schwedischen Södertälje sollen künftig Krähen bei der Müllentsorgung helfen.

(Foto: Aurelien Morissard/imago/IP3press)

Im schwedischen Södertälje liegen zu viele Zigarettenstummel auf den Straßen. Um die Mitarbeiter der Müllentsorgung zu entlasten, trainiert der Verhaltensforscher Christian Günther-Hanssen nicht die Einwohner der Stadt, sondern - die Krähen.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Der Prototyp sieht noch ein wenig wild aus, so als habe der Erfinder Daniel Düsentrieb mal schnell Tick, Trick und Track an seinen Materialreste-Korb gelassen. Aber das Wichtigste: Er funktioniert. "Die Maschine zum Laufen zu bringen", sagt Christian Günther-Hanssen, "das war das Härteste." Und tatsächlich, in dem Video, das er auf seiner Internetseite zeigt, sieht man eine Krähe herantrappeln, im Schnabel einen Zigarettenstummel. Sie wirft ihn in den Schlund des Apparats, hilft noch mal nach - und kaum ist der Stummel verschwunden, öffnet sich eine Klappe, und es rollt die Belohnung heraus: Erdnüsse.

Krähen, die in Parks und auf Straßen Zigarettenstummel auflesen und die Arbeit der Gemeindearbeiter erledigen: Das war die Idee, die dem schwedischen Verhaltensforscher Christian Günther-Hanssen schon im Studium gekommen war, im Psychologiekurs an der Universität Lund, als sie B.F. Skinners Behaviorismus durchnahmen. Zwei Jahre lang hat er an seinem Apparat gebastelt, er sagt, das habe mehr an seinen mangelnden handwerklichen Fähigkeiten gelegen als an den Vögeln: "Die Krähen kapierten ziemlich schnell." Jetzt glaubt er sich so weit, dass er damit vor die Welt treten kann. "Wenn das am Ende wirklich praktikabel ist", sagt Günther-Hanssen, "dann kann das einen Unterschied machen. Wir könnten eine Menge Müll wegschaffen."

Vögel als Straßenreiniger: Der Müllschlucker, in dem die Krähen die Zigarettenstummel entsorgen, ist noch ein Prototyp.

Der Müllschlucker, in dem die Krähen die Zigarettenstummel entsorgen, ist noch ein Prototyp.

(Foto: Screenshot Video/Corvid Cleaning)

Es gibt andere Projekte in der Welt, wo Vögel dazu gebracht werden, gegen Belohnung Dinge aufzupicken - aber bislang habe noch keiner versucht, sagt der Forscher, die Vögel mit ihrem Kunststück dazu zu bringen, dem Menschen hinterherzuräumen. Vom Prototyp zur Revolution der Stadtreinigung ist es noch ein weiter Weg, ob es je dazu kommt, ist offen. Aber der Anfang ist gemacht - und in der Gemeinde Södertälje sind sie elektrisiert. Die kleine Stadt, eine halbe Autostunden von Stockholm entfernt, plant jetzt ein Pilotprojekt gemeinsam mit Christian Günther-Hanssen. Södertälje hat gerade eine "Science Week" veranstaltet, dort trat Günther-Hanssen vor die Kamera zum Online-Interview, gemeinsam mit Tomas Thernström, dem Abfallreferenten in Södertälje. "Ich war gleich interessiert", sagt Thernström. "60 Prozent unseres Mülls draußen auf den Straßen sind Zigarettenstummel. Eine Milliarde von den Dingern landen allein in Schweden jedes Jahr in der Natur. Das ist ein riesiges Problem für uns." 20 Millionen Kronen, ungefähr zwei Millionen Euro, gibt Södertälje im Jahr bislang für seine Straßenreinigung aus.

Den Prototyp zu optimieren, war alles andere als einfach für Günther-Hanssen. Mehrfach musste er die Konstruktion ändern, um statt der Krähen keine Möwen und Ratten anzulocken. Im Moment arbeite er mit Nebelkrähen, aber, sagt er, Elstern und Dohlen könnten auch bald Teil des Projekts sein. Der Forscher schätzt, dass das Training der ersten Gruppe Vögel in zwei bis drei Monaten beendet sein könnte. Die Hoffnung ist, dass die Vögel sich den Trick dann voneinander abschauen: "Krähen sind hochintelligent, sie imitieren einander. Wenn man ein paar Dutzend trainiert hat, dann kommen im Idealfall viele andere und machen es ihnen nach."

Krähen fressen dann weniger Müll, dafür gesundes Futter

Eine der ungeklärten Fragen, die nun untersucht werden, ist die, ob die Vögel bei ihren Reinigungstouren Nikotin aufnehmen. Wenn das nicht der Fall ist, sagt Günther-Hanssen, dann könnte das Projekt den Vögeln sogar gesundheitliche Vorteile bringen: "Sie fressen im Moment so viel Junkfood, das Menschen weggeworfen haben. Wir arbeiten mit Biologen an einem gesunden Futter, das wir in den Maschinen stattdessen ausgeben."

Das große Interesse an seinem Projekt überrasche ihn nicht, sagt Christian Günther-Hanssen: "Es ist eine ungewöhnliche Lösung für ein ernstes Problem." Die Zeitung Dagens Nyheter fragte Södertjäls Abfallreferenten Tomas Thernström, warum er nicht einfach mehr Mülleimer und Aschenbecher aufstelle in der Stadt. Das hätten sie längst getan, sagt der. "Aber ein Viertel der Menschen lassen ihren Müll einfach fallen." Es sei schon auch ein wenig beängstigend, sagt Thernström: "Wir können offenbar eher den Krähen beibringen, Zigarettenstummel aufzuheben, als den Menschen, sie nicht mehr wegzuwerfen."

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