Koydls kleines Lexikon:Die ungehobelte Rasse Yahoo

Warum das Internet-Portal Yahoo so flegelhaft ist und was Google einem kleinen Jungen verdankt, verrät Wolfgang Koydl in seinem etymologischen Wochenrückblick.

Aus Kindern werden Leute, sagt man, und nirgends trifft das mehr zu als auf die Welt der Internet-Firmen. Was vorgestern noch ein Start-up mit den Ausmaßen eines putzigen Gremlins war, stapft heute im Godzilla-Format durch die internationale Finanzwelt. Und wie die japanische Urzeitechse liefern sich Mega-Firmen wie Microsoft, Yahoo und Google derzeit gewaltige Übernahmeschlachten.

Internetportal Yahoo; dpa

Grob und flegelhaft: Passend für den einst ungezogenen Parvenü Yahoo in einer Welt voller Nadelstreifen.

(Foto: Foto: dpa)

Von allen drei Unternehmen gilt das erste als das langweiligste, was den Gründer Bill Gates oft gleich einschließt. Alles andere als spritzig ist auch der Firmenname - die Abkürzung von microcomputer software. Dazu muss man wissen, dass in grauer Vorzeit - 1975, um genau zu sein - als Gates und Paul Allen ihre ersten unternehmerischen Gehversuche unternahmen, jeder Computer, der kleiner war als eine Tiefkühltruhe, als "micro" galt.

Zwölf Monate bosselten Gates und Allen an der Schreibweise herum: Micro-Soft, micro-soft, oder - der Gipfel genialischen Einfallsreichtums - MicroSoft. Am Ende setzte sich die schlichteste Version durch. Zyniker mögen sagen, dass dies das letzte Mal war, dass Microsoft etwas Unkompliziertes tat.

Um wie viel praller sind Yahoo (selbst wenn man das Ausrufezeichen am Ende weglässt) und Google. Als David Filo und Jerry Yang 1994 erstmals ihr Internetportal der Öffentlichkeit vorstellten, hieß es noch brav Jerry's Guide to the World Wide Web. Aber schon bei der offiziellen Firmengründung ein Jahr später war man auf Yahoo gekommen.

In einer Welt voll Nadelstreifen

Zunächst hatte man verschmitzt behauptet, dass es sich dabei um eine Abkürzung für Yet Another Hierarchical Officious Oracle (noch ein hierarchisches aufdringliches Orakel) handele - in Anlehnung an einen damals erfolgreichen Anbieter namens Oracle. Heute lautet die offizielle Erklärung der Firmenzentrale, dass Filo und Yang ganz einfach Klang und Bedeutung des Wortes gefallen habe: In Jonathan Swifts Satire "Gullivers Reisen" sind die Yahoos eine Rasse ungehobelter, ruppiger Menschen, und im Lexikon steht yahoo für grob und flegelhaft - passend für einen einst ungezogenen Parvenü in einer Welt voller Nadelstreifen.

Auch die Suchmaschine Google begann ihre Existenz unter einer viel prosaischeren Bezeichnung: Back Rub (Rückenmassage) nannten die Stanford-Studenten Sergej Brin und Larry Page 1996 ihre Gründung, weil ihre Maschine back links - zurückliegende, frühere Links analysierte. Wahrscheinlich überlegten sie es sich anders, als sie ihren Firmennamen zum ersten Mal googelten, und dabei auf Anbieter von Kissen, Massagen und Aromatherapien stießen.

Zwei Jahre später hatten sie sich für Google entschieden, und tatsächlich eignet sich kein Wort besser für ein Unternehmen, das versucht, die anscheinend unbegrenzte Menge an Informationen auf diesem Planeten zu organisieren. Irgendwann in den zwanziger Jahren suchte der US-Mathematiker Edward Kasner nach einem Wort für die grenzenlose große Zahl 10100 - eine eins mit hundert Nullen.

Bei einem Spaziergang fragte er seinen neunjährigen Neffen Milton Sirotta - und dem fiel googol ein. Das Wort ist sprachwissenschaftlich einzigartig. Anders als alle Wörter aller Sprachen ist es mit keinem anderen Wort verwandt und leitet sich von keinem anderen Wort ab. Es entstand spontan im Kopf eines kleinen Jungen. Bleibt die Frage, warum Google das Wort googol abänderte. Ganz einfach: Es gab bereits eine Website googol.com.

Die ungehobelte Rasse Yahoo

Ein Unternehmer, der vorerst kein Interesse an Internetportalen oder Suchmaschinen mehr zu haben scheint, ist der australische Verleger Rupert Murdoch. Seine Familie stammt aus Schottland und sein Familienname ist schottisch-gälisch: ein Muireadhach war ein Seemann.

Gegner des als rücksichtslos beschriebenen Geschäftsmannes freilich dürften bei zwei anderen Parallelen zu seinem Namen zustimmend nicken. Es gibt auch die Schreibweise Mordoc - und die klingt wie der Name des dunklen Reichs des Bösen aus dem "Herrn der Ringe". Außerdem ist Murdoch verwandt mit dem Familiennamen Moriarty. Professor James Moriarty aber war der Gegenspieler von Sherlock Holmes, ein "Napoleon des Verbrechens", der - ein früher Vorfahr Blofelds und Goldfingers - seine Beutezüge genauso global anging wie Murdoch sein Presse-Empire.

Wesentlich kleineren Kalibers ist der Spiegel in Hamburg, der diese Woche seinem langgedienten Chefredakteur Stefan Aust sang- und klanglos den Stuhl vor die Türe stellte. Es ist unbekannt, ob Rudolf Augstein über die Herkunft des Wortes nachdachte, als er seine Zeitschrift Der Spiegel nannte. Stammvater ist das lateinische speculum = Spiegel, Spiegelbild, der uns andere Wörter geschenkt hat, die man im Zusammenhang mit einem Presseerzeugnis nicht so gerne erwähnt: der Spezi etwa und der Spekulant, oder die ins Kraut schießenden Spekulationen. Speculum leitet sich vom Verb specere = sehen ab, für das es - ähnlich wie im Deutschen - unzählige Vorsilben gibt - von absehen bis zusehen. Diesen Zusammensetzungen verdanken wir eine Vielzahl von Begriffen: Den Aspekt und die Inspektion, die Perspektive, den Prospekt und den Respekt.

Treiben wir uns zum Abschluss ein wenig in Osteuropa herum. In Serbien wurde ein neuer Präsident gewählt, und damit dürfte zumindest die Zukunft des Landes ein wenig klarer geworden sein. Die Herkunft des Landesnamens freilich liegt weitgehend im Dunkeln. Sicher ist nur, dass Serbien kein slawisches Wort ist sondern vermutlich vom iranischen Reitervolk der Sarmaten geprägt wurde.

Sie bezeichneten damit ein in Südrussland lebendes Volk, das im fünften vorchristlichen Jahrhundert aus Zentralasien eingewandert war und später Richtung Balkan und Mitteleuropa weiterzog. Der griechische Geograph Ptolemäus nannte sie serboi, und die in der Lausitz lebenden Sorben sind mit ihnen verwandt. Denn sie leiten ihren Namen von derselben Wurzel ab wie die Serben.

Ein wenig verschwommen war lange Zeit auch der Ursprung des Namens Litauen, jenes Landes, in dem gerade die Verteidigungsminister der Nato tagten. Die Litauer selbst erzählten jedem, dass Lietuva, wie der Staat in der Landessprache heißt, vom litauischen lietus = Regen kommt. Es sei halt ein sehr regnerischer Flecken. Gebildete Stände in früheren Zeiten wiederum suchten eine lateinische Verbindung zu konstruieren: litus ist lateinisch die Küste (der Lido kommt daher), und Litauen sei schließlich ein Land am Meer. Letztlich haben doch die einfachen Litauer recht, wenn auch nur indirekt. Litauen wurde nach dem Flüsschen Lietava benannt, das seinerseits seinen Namen vom Verbum lieti = gießen, schütten erhielt. Und lieti wiederum ist eng verwandt mit lietus, dem Regen.

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