Koydls kleines Lexikon:Die Razzia der Beduinen

Hanf, Cannabis und die gefürchtete Razzia: Was sich die Beduinen nie hätten träumen lassen und warum Ypsilantis Name verpflichtet, erklärt Wolfgang Koydl im etymologischen Wochenrückblick.

Abgesehen vom Ausnahmefall Yogi Bär gab es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie eine Person des öffentlichen Interesses, deren Nachname mit einem Ypsilon begann. Doch dank der hessischen SPD-Spitzenfrau Andrea Ypsilanti wirft der zweitletzte Buchstabe des Alphabets nun große Schatten auf das Land.

Hanf; AP

Der Schritt vom Cannabis zum Hanf war bei den Griechen nicht weit.

(Foto: Foto: AP)

Wenn es stimmt, dass Namen Leute machen, dann machen auch Buchstaben Namen, und das y war immer schon etwas Besonderes - wie der Autor dieser Kolumne aus eigener Erfahrung bestätigen kann.

Es ist wirklich fraglich, ob die hessische Sozialdemokratin einen derartigen Bekanntheitsgrad erlangt hätte, wenn sie unter ihrem Mädchennamen angetreten wäre. Der lautet schlicht Dill - und das ist ein Kraut, das ein Koch in die Suppe rührt.

Der Name Ypsilanti hingegen prädestiniert zu höheren Ämtern. Mit dem griechischen Buchstaben Ypsilon hat er nichts zu tun. Das Griechische kennt verschiedene i-Laute: das y, das i, das sogenannte lange i, das Althumanisten besser als eta vertraut ist, sowie eine Anzahl von Diphtongen (ai, ei, oi), die ebenfalls als i ausgesprochen werden. Das Ypsilon ist das einfache i, von psilos = einfach. Entsprechend gibt es das epsilon, das einfache e.

Ypsilanti hingegen schreibt sich mit einem langen i und kommt von ypsilos = hoch. Die Yspilanti waren also eine Familie, deren Angehörige überdurchschnittlich hochgewachsen waren oder hohe Ämter bekleideten. Letzteres lässt sich belegen: Wenn Andrea Ypsilanti Ministerpräsidentin wird, wäre sie nicht die erste Ypsilanti, die die Provinz eines mächtigen Staates regiert. Am Hof des türkischen Sultans waren die griechischen Ypsilantis eine einflussreiche Familie, deren Mitglieder unter anderem als Woiwoden die Balkan-Provinzen Walachei und Moldawien verwalteten. Später gingen sie als Freiheitskämpfer für die Unabhängkeit Griechenlands vom Osmanischen Reich in die Geschichte ein.

Falls Frau Ypsilanti in die Staatskanzlei in Wiesbaden einzieht, dann am ehesten mit Hilfe einer Ampel-Koalition. Das Wörtchen sieht zwar nicht so aus, aber es ist ebenfalls aus dem Griechischen - mit Umweg über Rom - zu uns gelangt. Lateinisch war ampulla ein Fläschchen (unsere Ampulle kommt daher). Sie war die Verkleinerung der großen amphora, jenes zweihenkligen Tonkruges, in dem im Altertum Wein oder Ölivenöl aufbewahrt wurde.

Den beiden Henkeln verdankt sie ihren Namen: amphi ist griechisch für beide. Amphibien etwa können beides, im Wasser und auf dem Lande leben, in einem Amphitheater sitzen die Zuschauer im Kreis auf beiden Seiten der Bühne. Pherein ist griechisch für tragen. Luzifer etwa ist in des Wortes strenger Bedeutung der Lichtträger, der gestürzte Engel, der den Menschen das Feuer brachte.

Jahrhundertelang bezeichnete die Ampel ausschließlich das ewige Licht über dem Altar in der Kirche. Erst allmählich verbreitete sich das Wort auf andere Beleuchtungskörper, nur um schnell wieder dem moderneren Lehnwort Lampe Platz zu machen. Glorreiche Auferstehung feierte die Ampel erst als Verkehrssignal, dessen erstes deutsches Exemplar 1922 auf dem Hamburger Stephansplatz aufgestellt wurde. Bremerhaven war übrigens die letzte deutsche Großstadt, die diese Segnung erhielt: Erst 1957 wurde dort die erste Ampel geschaltet.

War die Kolumne der letzten Woche eine lateinische Angelegenheit, so sind wir heute überwiegend griechisch eingestellt. Bayerns Ärzte proben den Aufstand, und ausgerechnet das treudeutsch knarrende Wort Arzt soll ebenfalls griechischer Abstammung sein? Ist es aber, wenn auch auf verschlungenen Wegen, in deren Verlauf es derart abgeschliffen und verkürzt wurde, bis es in germanische Münder passte. Arzt auf Griechisch heißt iathros, was ganz und gar nicht an Arzt erinnert, aber in der Psychiatrie und der Pädiatrie anklingt - dem Heilen von Seelen und Kindern.

Lesen Sie auf Seite 2, warum es den Oberarzt eigentlich gar nicht gibt und was die Beduinen unter einer Razzia verstanden ...

Die Razzia der Beduinen

Antike Fürsten allerdings hielten sich keine gewöhnlichen Quacksalber sondern einen Erz- oder Oberarzt - genannt archiathros. Die Römer machten daraus einen archiater, und als solcher fand er Eingang in den Königshof der frühmittelalterlichen Merowinger. Im neunten Jahrhundert war er zum althochdeutschen arzat geschrumpft, in dem der Arzt gut zu erkennen ist und der das germanische Wort lachi (wörtlich: einer der Krankheiten mit Gebeten und Anrufungen bespricht) verdrängte.

Im gleichen Maße, indem sich der Name vereinfachte, sank übrigens auch die soziale Stellung des Erzarztes - vom Leibarzt der Fürsten zum Heilkundigen für jedermann. Im kollektiven Gedächtnis indes scheint die Erinnerung an den ursprünglich hohen Status des Arztes haften geblieben zu sein. Als Anrede hat er sich aber nie durchgesetzt: Wir sprechen mit dem Herrn Doktor und nicht mit dem Herrn Arzt. Eine Ausnahme ist vielleicht der Herr Oberarzt. Aber den gibt es eigentlich sowieso nicht, weil Arzt ohnehin schon den höheren Rang bezeichnet.

Noch weniger griechisch sieht der Hanf aus - zumal da es nur fünf deutsche Wörter mit der Endung -nf gibt: Hanf, Senf, fünf, Genf und das Schweizer Flüsschen Sernf. Das einsilbige Wörtchen begann jedoch seine Karriere als kannabis, dem griechischen Wort für Hanf und jener Droge, die von der Polizei bei einer ausgedehnten Razzia beschlagnahmt wird. Wenn man weiß, dass ein b sich oft in ein w verwandelt, und ein k am Anfang auch schon mal wie ein leichtes ch gesprochen wird, ist der Schritt vom Cannabis zum Hanf nicht mehr so weit. Die Griechen borgten sich kannabis - das Wort, nicht die Droge - übrigens selber aus: bei dem in der Gegend der heutigen Ukraine und in Südrussland lebenden Volk der Skythen.

Haschisch indes, um beim Thema zu bleiben, hat mit den Griechen nichts zu tun. Im Arabischen bezeichnet man damit bis zum heutigen Tage Gras oder Heu. Und arabischer Abstammung ist auch die Razzia. Die Beduinen auf der Arabischen Halbinsel hätten sich allerdings nie träumen lassen, dass eines Tages Ordnungskräfte Razzien durchführen würden. Denn für sie war eine ghazwa (gesprochen raswa) ein Raubzug, bei dem man einem gegnerischen Stamm die Kamele abknöpfte. Über die algerische Aussprache ghazia gelangte die Razzia erst nach Frankreich und von dort nach Deutschland.

Wir haben die Kolumne mit Yogi Bär begonnen, da passt es, wenn wir sie mit Asterix beenden. Wir wollen aber nicht den neuen Film über den listigen Gallier behandeln, sondern vielmehr des neuen realen Asterix gedenken, der in Frankreich zum Volkshelden aufgestiegen ist: Der Trader Jérôme Kerviel, der seine Bank um Milliardensummen erleichterte.

Ein Trader ist zwar nichts anderes als ein Händler, aber weil das deutsche Wort fatal an einen für Gemüse oder Gemischtwaren erinnert, verwenden wir lieber die englische Variante für Händler an Finanzmärkten. Ironischerweise ist das Wort damit ins Deutsche heimgekehrt: Es waren Kaufleute der Hanse, die Mitte des 14. Jahrhunderts traden nach England brachten. Es hat dieselbe Wurzel wie treten und beschrieb im Grunde genommen nichts anderes als eine Art von kommerziellem Trampelpfad, über den Händler neue Märkte aufspürten und erschlossen.

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