Kommentar:Klimawandel ist keine Gefühlssache

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Dieses Jahr sind Treibhauseffekt und Klimakatastrophe kein Thema für die Massen: Mitteleuropa leidet nicht unter Hitze, sondern unter Regen. Doch die Daten zeigen: der Erdball befindet sich weiterhin in einem dramatischen Wandel.

Von Patrick Illinger

Bemerkenswerte Messergebnisse erreichen uns soeben von den Marshall-Inseln. Regentropfen im Rekordformat haben amerikanische Atmosphärenforscher in den Cumulus-Wolken über dem Pazifik gefunden.

Bis zu einem Zentimeter dick können die Tropfen dort werden, berichtet Geophysical Research Letters. Und so mancher, der diesen Sommer in Deutschland verbringt, mag sich nun fragen, ob die Megatropfen von den fernen Marshall-Inseln sich womöglich längst auch über Mitteleuropa kumulieren.

Das ist natürlich nicht so, und so grausam es klingt, nach dem Michaela-Hochdruck-Festival des vergangenen Jahres: Ein Sommer wie in diesem Jahr ist völlig im Rahmen dessen, was Meteorologen unter kontinentalem Klima verstehen.

Sommer wie den des Jahres 2004 wird es auch in 100 Jahren noch geben - globale Erwärmung hin oder her. Der große Unterschied zwischen 2003 und 2004 ist viel mehr psychologischer als wissenschaftlicher Natur.

Treibhauseffekt und Klimakatastrophe sind in diesem Jahr kein Thema für die Massen, schlicht deshalb, weil sich Mitteleuropa zurzeit nicht überhitzt anfühlt. Mit den fortschreitenden Erkenntnissen ernsthafter Klimaforscher hat das jedoch nichts zu tun.

Ein Blick auf das Thermometer genügt nicht

Berge von empirischen Daten gepaart mit Computersimulationen bilden eine erdrückende Indizienkette, die zeigt, dass sich der Erdball weiterhin in einem dramatischen Wandel befindet.

Nur: Um das zu erkennen, genügt nicht ein Blick auf das Thermometer. Klimaforschung ist ein endlos mühsames Geschäft, bei dem pausenlos neue Puzzelstücke zusammengetragen werden müssen und fast zwangsläufig auch Fehler passieren.

Dass soeben Schwächen in einer zentralen, auch den UN als Grundlage dienenden Publikation gefunden wurden, ist in diesem Zusammenhang zwar für die beteiligten Forscher, insbesondere Michael Mann von der University of Virginia, schmerzhaft und peinlich ( SZ, 13.7.).

Doch Formfehler und analytische Irrungen dieser Art waren schon Alltag in der Wissenschaft, bevor Pythagoras seine ersten Dreiecke in den Sand kritzelte. Gegenseitige Kontrolle und Korrektur ist ein integraler Bestandteil wissenschaftlicher Arbeit. Fehler anderer aufzudecken ist in der Forschung kein destruktiver Prozess, sondern Motor des Fortschritts.

Politik und Öffentlichkeit bewerten das passend zu den eigenen Zielen meist anders. Wissenschaftlicher Diskurs wird dort gern als "Unsicherheit der Fachleute" diskreditiert, was den Raum für das von den eigenen Ideologien getriebene Handeln öffnet.

In diesem Sinne verzögert der amerikanische Präsident Bush seit nunmehr einigen Jahren sämtliche dem Klimaschutz dienlichen Auflagen. Und es steht zu befürchten, dass die jüngste Kritik an der Arbeit Manns wie zusätzliches Öl für die Verbrennungsmaschinen der Industrie wirkt.

Vielleicht sollten jene Politiker, die Klimaschutz für eine grüne Knebelstrategie halten, auch mal im Eis der Antarktis bohren, so wie es Forscher des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts acht Jahre lang getan haben, um festzustellen, dass die Erdatmosphäre zurzeit mehr Kohlendioxid enthält als in den vergangenen 740.000 Jahren.

Und warum finanziert die Politik Forschungssatelliten, die feststellen, dass sich der Nordatlantikwirbel, eine mit dem Golfstrom gekoppelte und für das europäische Klima maßgebliche Meeresströmung, abschwächt, während das Protokoll von Kyoto auf den Verhandlungstischen der Diplomatie vergammelt?

Der Klimawandel ist keine Sache des Gefühls, sondern in harter Arbeit gewonnene Erkenntnis. Diese Tatsache kann ein verregneter Sommer nicht aufweichen.

© SZ vom 15.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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